zm113 Nr. 05, 01.03.2023, (359) POLITIK / PRAXIS | 73 ter Siegel sei von der Pressefreiheit umfasst. Die Wettbewerbswidrigkeit der Prüfsiegel ergebe sich daraus, dass in irreführender Weise der Bereich des redaktionellen, wertenden Beitrags verlassen und der Eindruck erweckt wird, es finde eine Bewertung nach objektiven Kriterien statt. „Hinzu kommt, dass Medien zwar regelmäßig darauf angewiesen sind, sich durch Anzeigen zu finanzieren, nicht jedoch durch die Vergabe von Prüfsiegeln gegen ein nicht unerhebliches Entgelt.“ Dass dies eine unübliche, nicht zwingend erforderliche Art der Finanzierung redaktioneller Beiträge ist, zeigten Ausführungen des Verlags, wonach die Verteilung der Siegel erst eine Reaktion auf den vor etwa zehn Jahren eingetretenen „Wildwuchs“ gewesen sei. „Davor wurden dieMagazine mit den Ärztelisten ganz offensichtlich anders finanziert“, so das Gericht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nach Ansicht des Burda-Verlags betrifft es außerdem nur den Anbieter der Siegel und enthält keine Pflichten für einzelne Ärzte. Das heißt, die Ärzte können die Siegel unverändert nutzen und damit auf ihre Leistung aufmerksam machen, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Wertigkeit und Aussagekraft der Siegel seien ungebrochen hoch. Weiter lässt der Verlag mitteilen, man halte das Urteil für falsch und werden Berufung einlegen. „Die Ärzte-Empfehlungslisten sind für Patienten eine der wenigen objektiven Informationsquellen“, heißt es weiter. „Sie tragen zusammen mit den in Praxen und auf Websites platzierten Empfehlungssiegeln zur Orientierung bei.“ Die FocusListen würden auf Basis einer qualitativ hochwertigen Methodik von einem Expertenteam im Gesundheitssektor erstellt. „Ganz im Sinne von nutzwertigem, verbraucherfreundlichem Journalismus werden für die Listen eine Vielzahl relevanter Kriterien herangezogen und die Ergebnisse verständlich aufbereitet.“ mg Landgericht München I Az.: 4 HKO 14545/21 Urteil vom 13. Februar 2023 REPRÄSENTATIVE BITKOM-BEFRAGUNG Mehr als die Hälfte der Patienten liest Arzt-Bewertungen im Netz Bei der Suche nach Arztpraxen, Kliniken oder Heimen lesen 55 Prozent der Deutschen Online-Bewertungen, bevor sie ihre Wahl treffen. 17 Prozent haben auch selbst schon eine solche Beurteilung geschrieben. Laut der repräsentativen Befragung des Digitalverbandes Bitkom lesen jeweils 34 Prozent der Deutschen Bewertungen bei der Auswahl von Krankenhäusern und bei Ärztinnen und Ärzten. Ein Fünftel liest OnlineBewertungen über medizinische Praxen und Einrichtungen, etwa für Physiotherapie oder von Heilpraktikern. 17 Prozent lesen Online-Bewertungen über Reha-Kliniken und 13 Prozent über Pflege-Einrichtungen. 42 Prozent der Internetnutzer geben indes an, Online-Bewertungen zu Ärzten oder medizinischen Einrichtungen grundsätzlich nicht zu vertrauen. Bei denen, die sie lesen, spielen die Bewertungen mitunter eine große Rolle. Bei der Wahl von Ärztinnen und Ärzten haben die Bewertungen bei 57 Prozent eine „sehr große“ oder „eher große“ Bedeutung. Bei Krankenhäusern liegt dieser Wert bei 65 Prozent und bei Pflegeeinrichtungen sogar bei 87 Prozent. ck Der Digitalverband Bitkom befragte 1.144 Deutsche ab 16 Jahren. Die telefonische Umfrage ist repräsentativ. Arzt bewerten Foto: kebox_adobe-stock.com SIEGEL GEGEN GEBÜHR Auch nach dem Verkauf des umstrittenen Arztbewertungsportals jameda setzt Hubert Burda Media bei seinem Geschäftsmodell weiter auf „Gütesiegel gegen Geld“. Focus-Siegel gibt es nicht nur für Arztpraxen (mehr als 4.000 zahlen eine jährliche Lizenzgebühr), sondern auch für Krankenhäuser, Privat- und Rehakliniken, Arbeitgeber, Unternehmensberater, Personaldienstleister und „empfohlene Unternehmen mit Top-Klima Engagement“. Gleichzeitig ist Burda mit 50 Prozent am Hamburger Unternehmen New Work SE beteiligt, das Portale wie XING und kununu betreibt. Letzteres verkauft Arbeitgebern das Gütesiegel „Top Company“ für 990 Euro pro Jahr. Die Content-Produktion übernehmen – wie schon bei jameda – die NutzerInnen. Nach eigenen Angaben listet kununu aktuell mehr als 5 Millionen Erfahrungsberichte von Arbeitnehmenden in mehr als 1 Million Unternehmen.
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