Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 7

44 | PRAXIS zum nächsten plötzlich einen leicht verwahrlosten Eindruck, erscheinen zu spät oder gar nicht zum Termin. Aber das kann natürlich alles auch mit Altersvergesslichkeit zu tun haben. Darum ist die Differenzialdiagnose so wichtig. Wie kann man diese ersten Anhaltspunkte weiterverfolgen? Im Gespräch mit den Angehörigen können Zahnmedizinische Fachangestellte oder Verwaltungsfachkräfte das am Telefon schon einmal vorsichtig eruieren. Wenn der Verdacht besteht, dass es sich um eine Demenz handeln könnte, kann man diesen Verdacht durch einen Fragenkatalog erhärten. Damit meine ich jetzt nicht den Mini-Mental-StatusTest – das ist ein etablierter Schnelltest für die Erfassung kognitiver Störungen bei älteren Menschen –, sondern ein paar einfache Fragen, die weitere Hinweise liefern. An welche Fragen denken Sie da ganz konkret? Wenn man mit dem Patienten ins Gespräch kommt, kann man zum Beispiel nach dem Weg zur Praxis oder nach der Uhrzeit fragen. Die einfache Frage „Sind Sie mit dem Bus oder mit dem Auto gekommen?“ reicht manchmal schon. Bei Betroffenen ist schnell zu beobachten, dass sie schwimmen, weil sie Orientierungsschwierigkeiten in Ort und Zeit haben. Das gilt für Menschen mit Altersvergesslichkeit zum Beispiel überhaupt nicht. Da gibt es deutliche Unterschiede; auch zur Altersdepression. Menschen mit Depression wissen häufig, dass sie depressiv sind oder zeigen es. Sie beklagen ihre gesundheitlichen Probleme oder Störungen – Menschen mit Demenz halten sich hingegen für kerngesund, obwohl die Symptome häufig dieselben sind. Prädemente sind außerdem oft ein bisschen fahrig, können sich augenscheinlich nicht gut konzentrieren. Wie sollten ZahnärztInnen einen Verdacht auf Prädemenz kommunizieren? Dann sollten die KollegInnen immer die Interdisziplinarität anstreben. Das ist bei Senioren, aber vor allem bei Patienten mit Demenz oder geriatrischen Patienten ganz wichtig. Ich würde immer versuchen, den Hausarzt zu konsultieren und Auffälligkeiten beschreiben oder den konkreten Verdacht äußern. Beim nächsten Termin kann man dann mit dem Patienten oder den Angehörigen sprechen und ihnen den Besuch eines Geriaters oder eines Neurologen nahelegen. Angenommen, es kommt zu einer Bestätigung des Verdachts, also der Diagnose Demenz, was bedeutet das für die zahnmedizinische Behandlung? Dann muss man ganz viel in der Prävention machen, um perspektivisch Notfälle und Narkosen zu vermeiden. Im letzten Stadium sind Narkosebehandlungen natürlich nicht mehr vermeidbar, aber auch heikel, weil sie oft mit einem Demenzschub einhergehen. Im Fokus sollte stehen, wie man die Mundhygiene und die Nachsorgekompetenz sicherstellt. Bei dieser Patientengruppe ist es aus meiner Erfahrung außerdem wenig sinnhaft, groß zu implantieren. Die 3-S-Regel sollte möglichst eingehalten werden, die Versorgung sollte also „simpel, stabil und sicher" sein. Eine Besonderheit ist die Frontotemporale Demenz, die auch jüngere Patienten entwickeln können – und die immensen Einfluss auf den Behandlungsablauf haben kann. Denn diese Form der Demenz äußert sich häufig durch Distanzlosigkeit oder Agressionen. Das gilt für die anderen Formen der Demenz erst in den fortgeschrittenen Stadien. Darum muss man immer behutsam vorgehen. Wie sieht so eine angepasste behutsame Kommunikation idealerweise aus? Man muss Orientierung geben. Dabei aber möglichst wenig reden, kurze klare Sätze verwenden und, wo immer möglich, Fragen vermeiden. Sonst sind diese Patienten ganz schnell überfordert. Wir fördern die Orientierung durch das Auflegen der flachen Hand durch die Assistenz. Die Patienten spüren sich so selber, haben einen ganz wichtigen Orientierungspunkt. Das nimmt oft schon die Angst und gibt den Demenzpatienten das Gefühl, umsorgt zu werden. Diese Patienten brauchen eine möglichst große Vorhersehbarkeit durch uns. Wir benennen darum, was wir tun und spiegeln auch die Reaktionen oder Emotionen des Patienten. Welche Rolle spielt der Blickkontakt zum Patienten? Der ist immens wichtig. Und auch ein Lächeln kann ganz viel ausmachen. Vor allem in den Stadien, wenn die Patienten zwar nicht mehr das Gesagte verstehen, aber noch gut die Mimik deuten können. zm113 Nr. 07, 01.04.2023, (538) Die Zahnärztin Dr. Claudia Ramm arbeitet seit 1995 niedergelassen in eigener Praxis in Kiel. Seit 2004 belegte sie kontinuierlich Weiterbildungen in der Alterszahnmedizin, seit 2005 arbeitet sie mobil in Alten- und Pflegeheimen, auf Demenz- und Wachkomastationen. 2011 wurde sie Landesbeauftragte der Deutschen Gesellschaft für AlterszahnMedizin e.V. (DGAZ) für Schleswig-Holstein. Sie gibt regelmäßig Schulungen und Workshops für Pflegekräfte, Angehörige, ehrenamtlich Tätige und KollegInnen zum Umgang mit Menschen mit Demenz. Foto: DGAZ

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