zm113 Nr. 08, 16.04.2023, (638) 44 | PRAXIS „PERSONAL WIRD AN WICHTIGEREN STELLEN GEBRAUCHT“ Prof. Dr. Birgit Lugrin hat seit 2015 eine Professur für Medieninformatik an der Universität Würzburg. Sie gehörte zu den LeiterInnen des Forschungsprojekts für soziale Robotik. Trotz großer Herausforderungen sieht sie viel Potenzial für den Einsatz von Robotern in Zahnarztpraxen. Frau Prof. Lugrin, die wissenschaftliche Auswertung des Projekts dauert noch an. Können Sie trotzdem schon sagen, wie Sie den Einsatz des sozialen Roboters in der Praxis von Dr. Dr. Herzlieb bewerten? Prof. Dr. Birgit Lugrin: Der Roboter kam vor allem beim Personal sehr gut an. Überrascht hat mich, dass das Personal eine Entlastung empfunden hat, obwohl die Funktionalität unseres Prototypen recht eingeschränkt war. Die Angestellten berichteten, dass sie, sobald sie den Roboter hörten, wussten, dass nun jemand an der Anmeldung steht. Sie hatten in diesen Situationen also noch ein bis zwei Minuten Zeit, um das fertigzustellen, woran sie gerade gearbeitet haben. Roboter haben am Empfang also schon jetzt ihre Berechtigung? Ich denke, dass das Potenzial für diese Anwendungsmöglichkeit sehr hoch ist, ja. Vor allem natürlich, da durch den Fachkräftemangel das Personal an wichtigeren Stellen gebraucht wird – und häufig sowieso schon überlastet ist. Wo sehen Sie denn die größten Herausforderungen beim Einsatz von sozialen Robotern? Heute erhältliche Roboter sind noch sehr wartungsintensiv und alle Funktionalitäten, die einen Mehrwert in der echten Welt liefern, müssen für die jeweilige Situation aufwendig programmiert werden. Daher lohnt es sich für Unternehmen häufig noch nicht, einen Roboter anzuschaffen. Außerdem findet die meiste Forschung noch in den Laboren statt. Feldforschung wie in Zusammenarbeit mit Dr. Herzlieb ist eher die Ausnahme, aber sehr wichtig, um das Feld tatsächlich voranzutreiben. Das wurde „durchaus nicht gerade zimperlich“ getestet, berichtet Herzlieb. Dessen Technikpartner, die internationale IT- und Unternehmensberatung PBD.Global, entwickelte eigens einen 3D-Simulator namens „Pepper in Gefahr“, der den Roboter in der Praxis virtuell gegen Laserdrucker, unachtsam geöffnete Schranktüren und OP-Stühle rasseln ließ. Pepper musste im wahrsten Sinne des Wortes seine Praxistauglichkeit beweisen, erklärt Herzlieb. „Diese Testphase war gnadenlos, denn soziale Robotik soll für unsere Mitarbeitenden und Behandelnden eine Unterstützung sein, keine zusätzliche Last.“ Gut funktioniert hat die Integration in den Praxisalltag, findet der Praxischef. Denn auch das Team hieß Pepper schnell als Verstärkung willkommen. Im eng getakteten Behandlungsalltag ermöglichte die Entlastung durch den sozialen Roboter es den Behandelnden und Mitarbeitenden, einige wertvolle Minuten mehr mit den Patienten zu verbringen. „Wenn die Mitarbeiterinnen gerade ein Telefonat führen, bei der Behandlung assistieren oder anderweitig beschäftigt sind, ist der Rückhalt durch Pepper am Empfang unschätzbar“, erklärt Häußler. Entsprechend positiv seien die Reaktionen des Teams auf die kurzfristige Unterstützung gewesen. Diese Erfahrung teilt auch Andreas Groh, Senior Partner beim PBD.Global, das Herzlieb die Infrastruktur für den Betrieb des Roboters in der Praxis bereitstellt: „Das Klischee, dass soziale Roboter Mitarbeitern die Arbeitsplätze wegnehmen, ist haltlos. Mitarbeiterteams tendieren dazu, Pepper als wertgeschätzte Entlastung zu sehen und sie oft sogar als Teammitglied aufzunehmen.“ Als ein vergleichbares Modell bei einem schottischen Lebensmittelkonzern wieder abgebaut wurde, weil es damals Probleme mit der Sprachausgabe gab, zeigten einige Kunden Schadenfreude, berichtet Groh, dafür gab es aber Tränen bei den Mitarbeitern, die sich an Pepper als Teammitglied gewöhnt hatten. Echte Probleme gab es Herzlieb zufolge mit der niedlichen Roboterhelferin bisher keine. Das sei auch der guten Vorbereitung zu verdanken. Denn eine Herausforderung war die Bauweise der Praxis mit viel Glas, das zu Hall neigt. Auch gab es das Phänomen, dass manche Patienten Berührungsängste mit Pepper zeigten – nicht etwa, weil sie ein Roboter ist, sondern weil sie Angst hatten, etwas an dem Gerät kaputt zu machen. „Das wäre ja sicher sehr teuer“, äußerte eine Patientin. Doch Pepper bringt so leicht nichts um. Als der Roboter mit französisch-japanischen Wurzeln 2021 seinen ersten Auftritt in der Praxis absolvierte, damals noch unter den wachsamen Augen der WissenschaftlerInnen, war er bereits mehr als sechs Jahre in der Entwicklung und in anderen Branchen bereits im Einsatz, wodurch der Hersteller Erfahrungen sammeln konnte. Trotzdem ging dem Einsatz bei Herzlieb eine mehrmonatige Planungsphase voraus, die gesamte Praxis wurde per Laser vermessen und von einem Architekturbüro als sogenannter „digitaler Zwilling“ nachgebaut. Schließlich seien die Sicherheitsanforderungen in der volldigitalen, hochvernetzten Praxis groß und Pepper kein billiges Unterfangen. „Die Version, bei der der Hersteller alle Sensoren zugänglich macht und eine spezielle Entwicklungsschnittstelle (API) anbietet, kostet einen fünfstelligen Betrag", erklärt der Zahnarzt, „und ist damit deutlich teurer als die verbreitetere, eingeschränkte Business-Version, die in einer Schweizer Großbank oder in Silicon-Valley-Hotels ihren Dienst tut.“ In der „Virtual Reality“ des 3-D-Modells konnten dank der Entwicklerschnittstelle zum Roboter ohne die Gefahr einer Beschädigung verschiedene Einsatzszenarien für Pepper durchgespielt und zum Teil auch als noch zu futuristisch wieder verworfen werden. Wenn
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