Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 9

16 | POLITIK INTERVIEW MIT BZÖG-CHEFIN DR. ILKA GOTTSTEIN „Immer noch gibt es Kinder, die keine eigene Zahnbürste besitzen!“ Allmählich könnte die Gruppenprophylaxe in Kitas und Grundschulen wieder durchstarten, aber es geht schleppend voran. Was die zahnärztlichen Dienste wirklich brauchen, worauf sie in Zukunft setzen und warum der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst für sie so wichtig ist: Dr. Ilka Gottstein, erste Vorsitzende des Bundesverbandes der Zahnärztinnen und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BZÖG), im Gespräch mit den zm. Wo stehen die Zahnärztlichen Dienste nach dem Ende der Pandemie-Auflagen? Dr. Ilka Gottstein: Mit Beendigung der Corona-Auflagen sind auch die zahnärztlichen Kolleginnen und KollegenimÖffentlichen Gesundheitsdienst von ihren Sonderaufgaben entbunden worden und haben wieder ihre originären Aufgaben übernommen. So wurden die Vorsorgeuntersuchungen in den Settings Kindertagesstätte und Schule endlich wieder bundesweit aktiviert – doch leider läuft die Wiederaufnahme der Maßnahmen in den Kitas selbst oft schleppend. Viel Überzeugungs- und Motivationsarbeit seitens aller Akteure (zahnärztliche Dienste des ÖGD, Patenschaftszahnärztinnen und -zahnärzte mit ihren Teams und die Prophylaxefachkräfte der Landesarbeitsgemeinschaften) ist nun gefragt, um die Situation zu verbessern. Besonders das so wichtige (möglichst tägliche) Zähneputzen in den Einrichtungen ist nicht mehr selbstverständlich. Ein gravierendes Problem: In fast allen Kitas gibt es inzwischen einen chronischen Personalmangel bei den Erzieherinnen und Erziehern. Dementsprechend gewachsen sind die Gruppengrößen der Kinder, die eine Umsetzung des gemeinsamen Zähneputzens teils unmöglich werden lassen. Was sind jetzt Ihre größten Herausforderungen bei der Präventionsarbeit in den Settings Kita und Grundschule? Bei Kitas sind oftmals gut gedachte neue pädagogische Ansätze des jeweiligen Trägers für die Gruppenprophylaxe erschwerend, zum Beispiel das „offene Kita-Konzept“, bei dem die Kinder selber Entscheidungen zu verschiedenen Tätigkeiten treffen können. Hier muss mit Feingefühl zusammen mit der Kita an einer gemeinsamen Lösung gearbeitet werden. Oftmals ist jetzt die Betreuung der ganz Kleinen unter zwei Jahren, die vor der Pandemie bereits gut in die Gruppenprophylaxe integriert wurden, eingebrochen. Gestartet wird häufiger erst ab zwei bis drei Jahren mit dem Zähneputzen. Da der erzieherische Standpunkt „Zähneputzen ist Sache der Eltern“ immer wieder Platz für Diskussionen bietet, plädieren wir für eine einheitliche Vorgabe auf Bundes- beziehungsweise Länderebene. Und in den Grundschulen wird das Zähneputzen derzeit nur in wenigen Schulen (oft Ganztagsschulen) regelmäßig angeboten. Auch hier ist das am häufigsten genannte Problem der Personalmangel. Ein viel diskutiertes Thema ist die Steigerung der Mundgesundheitskompetenz: Was kann der ÖGD dazu beitragen? Immer noch gibt es Sechsjährige, die noch nie beim Zahnarzt waren und erstmals bei unseren Vorsorgeuntersuchungen in der Schule untersucht werden. Immer noch gibt es Kinder, die in ihrem häuslichen Umfeld keine eigene Zahnbürste besitzen und deren Sorgeberechtigte keinen Wert auf regelmäßige Zahnpflege und Zahnarztbesuche legen. Diese Kinder haben leider keine Lobby – hier sind wir in der Pflicht, sozialkompensatorisch zu unterstützen. Wir geben Empowerment in puncto Mundgesundheit für viele Bevölkerungsschichten: Kinder, Jugendliche, Sorgeberechtigte, Schwangere, junge Problemfamilien, Menschen mit Handicap und mit Pflegebedarf. Konnte der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst Ihre Erwartungen erfüllen? Wie sieht ihre Zwischenbilanz aus? Vorgesehen sind im Pakt vier Milliarden Euro im Zeitraum von 2021 bis Ende 2025, die für die personelle Verstärkung des ÖGD und für die Digitalisierung aufgebracht werden sollen. Genaue Zahlen zur bisherigen Zwischenbilanz speziell für die Personalaufstockung der zahnärztlichen Dienste liegen uns noch nicht vor. Fest steht, dass die Umsetzung des Pakts in den einzelnen Bundesländern recht unterschiedlich verläuft. Was die digitale Ausrüstung betrifft, haben wir aber bereits gut profitieren können. Die technische Ausstattung der zahnärztlichen Dienste mit modernsten Geräten wie Laptops, Monitoren und Scannern ist deutlich besser geworden und an der Basis angekommen. Dr. Ilka Gottstein, erste Vorsitzende des Bundesverbandes der Zahnärztinnen und Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes Foto: privat zm113 Nr. 09, 01.05.2023, (706)

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=