Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 11

42 | ZAHNMEDIZIN zm113 Nr. 11, 01.06.2023, (940) teren therapeutischen Interventionen zu planen. Das betrifft vor allem die sorgfältige Planung von Beginn an sowie die Vorgehensweise der Wurzelkanaltherapie und des strukturierten Nachsorgeregimes. Die Wurzelkanalbehandlung von replantierten avulsierten Zähnen mit geschlossenem Apex sollte unmittelbar vor der Schienenentfernung innerhalb von sieben bis zehn Tagen nach dem Trauma eingeleitet werden (Empfehlung 52). Therapie bei posttraumatischer Ankylose und Zahnverlust Biologie des Kieferwachstums Zwischen dem 12. und dem 20. Lebensjahr erfährt der Alveolarfortsatz in der oberen Front ein Vertikalwachstum von bis zu 10 mm. Dieses Wachstum gleicht eine Bissöffnung aus, die aus der Eruption der zweiten Molaren und der individuellen muskulären Architektur und Funktion resultiert und vom pubertalen Wachstumsspurt angetrieben wird. Nach Proffitt wird das Vertikalwachstum des Alveloarfortsatzes im PDL generiert. Die extrazelluläre Fertigstellung des Kollagens entspricht einem Polymerisationsvorgang, der naturgemäß eine Schrumpfung beinhaltet. Aus dem Zusammenwirken aller Schrumpfungskräfte ergibt sich eine lebenslange Eruption. Der Zahn eruptiert damit auf Basis der stetigen Neubildung seiner Sharpey‘schen Fasern und „zieht dabei den Alveolarknochen hinter sich her“ [Proffitt, 1993]. Dieser Vorgang nimmt auch noch im dritten Lebensjahrzehnt, insbesondere bei Frauen, ein ästhetisch relevantes Ausmaßein. Während des Wachstums führt eine zunehmende Ankylose-bedingte Infraposition zu biologischen, funktionellen und ästhetischen Einbußen. Bei Patienten nach Abschluss des Wachstums kann die Ankylose als langfristiges Therapieergebnis akzeptabel sein, insofern diese nicht so weit fortgeschritten ist, dass die Gefahr einer Zahnfraktur oder einer Infektion aufgrund der Verbindung zwischen Resorptionsprozess und gingivalem Sulkus besteht (Empfehlung 58). Was tun bei Ankylose? Nach dem Wachstumsabschluss ist eine Ankylose (Ersatzresorption) des traumatisierten Zahnes als langfristiges Therapieergebnis akzeptabel. In der Regel wird die Zahnwurzel im Verlauf von drei bis 15 Jahren durch Alveolarknochen ersetzt, was eine spätere Implantation beim Erwachsenen an Ort und Stelle erleichtert. Während des Wachstums hingegen ist eine Ankylose mit funktionellen und ästhetischen Einbußen (Infraposition wegen des defizitären vertikalen Knochenwachstums) nicht erwünscht. Mittelfristig kommt es beim Jugendlichen durch das Fortschreiten der Ersatzresorption zum vorhersagbaren (sekundären) Zahnverlust. Die erfolgreiche Therapie der posttraumatischen Ankylose im jugendlichen Gebiss stellt eine schwierige Aufgabe dar und setzt die interdisziplinäre Zusammenarbeit von MKG-/Oralchirurg, Zahnarzt und Kieferorthopäde im Hinblick auf die spätere definitive Versorgung voraus. Dabei kommt dem richtigen „Timing“ (Zeitfenster) eine entscheidende Bedeutung für die erfolgreiche Therapie der posttraumatischen Ankylose zu. Im frühen Wechselgebiss (7. bis 12. Lebensjahr) mit Durchbruch der ersten Molaren sowie der ersten und zweiten bleibenden Schneidezähne scheidet eine aktive Bewegung der Nachbarzähne etwa für einen kieferorthopädischen Lückenschluss in der Regel aus. Danach folgt eine Pause von bis zu 1,5 Jahren, bevor die zweite Phase des Zahnwechsels (spätes Wechselgebiss) beginnt. Nach dem Durchbruch von Prämolaren und Eckzähnen (12. bis 14. Lebensjahr) können dann die Kollegen der Kieferorthopädie tätig werden. Die verschiedenen zur Verfügung stehenden Therapieoptionen sind in Tabelle 2 nach therapeutischem Zeitfenster geordnet dargestellt [Nolte et al. 2022]. Dekoronation Eine Dekoronation ist eine chirurgische Intervention, die durchgeführt werden kann, wenn aufgrund ausgeprägter Schädigungen der desmodontalen Zellen und der Wurzeloberfläche eine Abb. 1: Falldarstellung eines Patientenfalls nach Avulsion der Zähne 11, 12 und 21: A) Zustand nach Frontzahntrauma mit einem E-Scooter, B) Röntgenkontrollaufnahme nach Reposition, C) flexible Schienung, D) radiologische Kontrolle nach MTA-Applikation, E) nach acht Wochen und F) nach sechs Monaten, G) klinische Kontrolle nach sechs Monaten Foto: Eva Dommisch Handlungsempfehlungen bei Ankylose Empfehlungsgrad Konsensbasierte Empfehlung: Da eine „Heilung“ der Ankylose nicht möglich ist, sollte im Rahmen der Therapie der altersabhängig sinnvollste Kompromiss gewählt werden, der das temporäre Belassen des Zahnes mit kunststoffadhäsiver Kronenverlängerung, die chirurgische Anluxation, die Dekoronation und die (vollständige) chirurgische Entfernung des Zahnes mit einschließt. Konsensstärke: starker Konsens

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