Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 12

36 | POLITIK zm113 Nr. 12, 16.06.2023, (1038) zin wichtigsten Erkenntnisse, welche die Metaanalyse und die Guideline liefern?“ Zimmer: „Die Evidenz ist wenig vertrauenswürdig“ Die WHO empfiehlt, dass Süßstoffe nicht genutzt werden sollten, um eine Gewichtskontrolle zu erreichen oder das Risiko nicht-übertragbarer Erkrankungen zu reduzieren. „Es handelt sich hierbei um eine sogenannte ,bedingte Empfehlung' (conditional recommendation), also eine zurückhaltend ausgesprochene Empfehlung“, erklärt Zimmer. „Es gibt zwar Belege, dass der Konsum von Süßstoffen zu einem reduzierten Körpergewicht und einem niedrigeren BMI führt, allerdings ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz niedrig und es konnte kein Einfluss auf andere Messparameter wie Blutglucose, -lipide oder Insulin gefunden werden. Beobachtungsstudien mit einer Laufzeit von bis zu 13 Jahren zeigten sogar eine Assoziation mit erhöhtem BMI sowie einem erhöhten Risiko für Typ-2 Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen. Die Vertrauenswürdigkeit dieser Evidenz war allerdings nur niedrig bis sehr niedrig.“ Zur Erläuterung: Evidenz mit einer niedrigen Vertrauenswürdigkeit sollte nur mit Vorsicht für entsprechende Entscheidungen genutzt werden, eine sehr niedrige Vertrauenswürdigkeit stellt gar keine Entscheidungsgrundlage gar. Evidenz mit sehr niedriger Vertrauenswürdigkeit wurde auch für eine Assoziation zwischen Süßstoffen (vor allem Saccharin) und dem Auftreten von Blasenkrebs gefunden. „Kaum eine Grundlage für substanzielle Aussagen“ Alles in allem müsse man den Schluss ziehen, dass die 210 Seiten umfassende Metaanalyse und die 90-seitige Guideline der WHO kaum eine Grundlage für substanzielle Aussagen zu Nutzen und Risiken von Süßstoffen in der Ernährungsberatung zulassen, weder in Richtung Empfehlung noch Ablehnung, lautet das Zwischenfazit der Aktion Zahnfreundlich. Aber wie sieht es mit der Kariesprävention aus? „Die WHO-Guideline trifft dazu keine Aussage, in der Metaanalyse wurden eine Studie bei Erwachsenen und vier bei Kindern bewertet. Vier Studien sind aufgrund einer zu kurzen Laufzeit oder aus methodischen Gründen nicht geeignet, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Konsum von Süßstoffen und Karies nachzuweisen. In der fünften Studie, einer prospektiven Kohortenstudie, wurde ein karieshemmender Effekt des Konsums von Süßstoffen gefunden“, bilanziert Zimmer. Und weiter: „Alles in allem lässt die Metaanalyse aber keine klare Aussage zum Nutzen von Süßstoffen in der Kariesprävention zu. Andererseits ist unbestritten, dass ein Zusammenhang zwischen häufigem Zuckerkonsum und der Entstehung von Karies besteht. Wenn also die Frequenz der Aufnahme von Zucker, insbesondere in Form von zuckerhaltigen Getränken oder Süßigkeiten, durch den Ersatz mit Süßstoffen reduziert werden kann, sollte auf jeden Fall ein kariespräventiver Nutzen für unsere Patientinnen und Patienten resultieren.“ Deshalb empfiehlt die Aktion Zahnfreundlich, in der Ernährungsberatung in der Zahnarztpraxis auf den Nutzen von Süßstoffen, insbesondere zum Süßen von Getränken sowie in Süßigkeiten und Kaugummis hinzuweisen. „Die höchste Sicherheit besteht bei zahnfreundlich getesteten Produkten, die das Logo ,Zahnmännchen mit Schirm' tragen", betont Zimmer. mg Use of non-sugar sweeteners: WHO guideline. Geneva: World Health Organization; 2023. Licence: CC BYNC-SA 3.0 IGO., https:// apps.who.int/iris/rest/bitstreams/1501485/retrieve DAS SAGT DIE DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNÄHRUNG Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) beinhaltet die WHO-Leitlinie nur eine einzelne Empfehlung: Süßstoffe sollten nicht eingesetzt werden, um eine Körpergewichtszunahme zu vermeiden oder um das Risiko für nicht-übertragbare Krankheiten zu reduzieren. Auch die DGE betont, dass es sich dabei um eine bedingte Empfehlung handelt, dies bedeute, dass „sich die Leitliniengruppe nicht sicher ist, ob der Nutzen der Umsetzung der Empfehlung gegenüber den unerwünschten Folgen überwiegt, oder dass der erwartete Netto-Nutzen klein ist". Die Empfehlung der DGE lautet darum: Süßungsmittel machen per se nicht schlank. Sie können jedoch im Rahmen eines ausgewogenen Ernährungs- und Bewegungsverhaltens bei der Gewichtsreduktion helfen. Sie tragen dazu bei, die Energiezufuhr zu reduzieren und stellen daher – insbesondere in Phasen einer Gewichtsreduktion – eine Alternative zu herkömmlichen Zuckern dar. „Im Rahmen einer vollwertigen Ernährung wie sie von der DGE empfohlen wird, sind Süßungsmittel als energiefreier Ersatz für herkömmliche Zucker geeignet. Aufgrund einer möglichen Gewöhnung an den süßen Geschmack sollte ihr Verzehr allerdings in Maßen erfolgen. Das gilt insbesondere für Kinder.“ Auf Grundlage der verfügbaren Evidenz sei es zudem sinnvoll, wenn man weder Softdrinks mit Zucker noch solche mit Süßstoffen regelmäßig konsumiert. Wasser sei der beste Durstlöscher. In Bezug auf Karies sind die Folgen von Zuckerkonsum bekannt, daher stellen nicht kariogene Süßungsmittel eine Alternative dar. Aber auch hier gelte: in Maßen. Das Fazit der DGE lautet: Süßungsmittel sind laut der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) unbedenklich und sicher. Bei kombinierter Verwendung seien die Auswirkungen auf die Gesundheit jedoch nicht ganz eindeutig. „Den Hinweisen aus wissenschaftlichen Studien, dass Süßungsmittel das Mikrobiom verändern können und Adipositas und Diabetes mellitus auslösen können, sollte in aussagekräftigen langfristigen Studien an ausreichend großen Populationen nachgegangen werden.“

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