PRAXIS | 75 fersystem kommt ins Gleichgewicht“, erklärt die Logopädin. „Auch im weiteren Tagesverlauf kann man durch die richtige Zungenruhehaltung Verspannungen entgegenwirken.“ In der Zahnarztpraxis ist der Tagesablauf eng getaktet. Laut Reindl können aber schon kleine Kiefer-Yoga-Einheiten Zahnärztinnen und Zahnärzten dabei helfen, in einem gesunden Flow zu bleiben – oder wieder dahin zurückzukehren. Die Autorin hat folgende Tipps: Kiefer: Eine Kaumuskelmassage hilft dem Kiefer dabei, geschmeidig zu bleiben (Abbildung 2). Dafür die Hände zu Fäusten ballen, oben am Jochbein ansetzen und die von dort bis zum Kieferwinkel in den Wangen verlaufenden Kausmuskeln mit ausreichend Druck und langsam immer nur von oben nach unten massieren. Die Zunge liegt locker unten und der Kiefer ist möglichst entspannt. 10bis 15-mal wiederholen. Lippen: Sie sollen in der Lage sein, locker geschlossen zu bleiben, so dass die Zungenruhehaltung funktioniert. Beim Kiefer-Yoga für die Lippen soll alle Kraft in die Lippen fokussiert werden, während alle anderen Muskeln entspannen. Reindl beschreibt unter anderem die Übung „Lippenspitzen“. Dafür Zeige- und Mittelfinger ober- und unterhalb der Mundwinkel positionieren und in Richtung Ohren ziehen. Die Lippen gegen den Widerstand zu einem Kussmund spitzen. Die Zahnreihen bleiben dabei geschlossen, die Zungenspitze ruht am Gaumen. Fünf Sekunden halten und fünfmal wiederholen. Nacken: Kiefer und Nacken stehen in enger Verbindung. Während der Behandlung befinden sich Zahnärztinnen und Zahnärzte in gebeugter Haltung, was den Atemweg einengt. Um mehr Platz für die Atmung zu schaffen, kommt es zu einer Vorhalteposition des Kopfes, die Reindl als „Geierhals“ beschreibt. Dadurch müssen die Nackenmuskeln plötzlich viel Gewicht tragen, was die Spannung in Nacken, Schultern und Becken vergrößert. Es kommt zum Rundrücken und Haltungsänderungen bis ins Becken, die wiederum für erhöhte Spannung in den Kaumuskeln sorgen. Reindl empfiehlt, nach jeder Behandlung, den Nacken zu entspannen und die Aufrichtung des Kopfes zu aktivieren. Dafür genügt es, die Arme hinter dem Kopf zu verschränken (Abbildung 1). Wer es schafft, kann die Hände auch bis auf die Schulterblätter bringen. Dann mit dem Kopf nach hinten drücken, die Position fünf Sekunden halten und das Ganze fünfmal wiederholen. Hände: Sie sind für die feinmotorische zahnärztliche Arbeit sehr wichtig. „Im Gehirn liegen die Areale für Kiefer und Hände sehr eng zusammen. Wenn man die eine Region stimuliert, wirkt sich das positiv auf die andere aus“, so Reindl. Für die Entspannung der Hände rät sie zu einer Übung, die sie „Wasserspritzen“ nennt: Hierfür zunächst Hände und Arme ausschütteln, die Schultern dazunehmen und den Kiefer bewusst lockern. Dann in die Dehnung der Finger gehen, indem man die Hände zu Fäusten ballt und anschließend die Finger schnell maximal spreizt, als wolle man Wasser wegspritzen. Auch mit den Daumen in die Dehnung gehen und die Übung zwanzigmal schnell wiederholen. Atmung: Reindl empfiehlt, am Tag etwa 5-minütige „Kieferpausen“ einzulegen: „In dieser Zeit sollte man versuchen, die Kiefermuskulatur zu entspannen und sich alles den Buckel runter rutschen zu lassen.“ Dabei seien Atemtechniken wir die Yoga-Wechselatmung hilfreich. Dabei verschließt man mit einem Finger das rechte Nasenloch und atmet über das linke Nasenloch bis tief ins Becken ein. Danach verschließt man das linke Nasenloch und atmet über das rechte tief ein. Diesen Wechsel setzt man zwei Minuten lang fort (Abbildung 3). Der Kiefer verarbeitet im Schlaf den Stress vom Tag „Der Kiefer verarbeitet im Schlaf allen Stress, der vom Tag unverarbeitet übriggeblieben ist“, sagt Julia Reindl. Um dem entgegenzuwirken, könne es helfen, allen Ärger vor dem Schlafengehen zu Papier zu bringen und die Aufzeichnung symbolisch nicht im Schlafzimmer aufzubewahren. In ihrem Buch beschreibt die Autorin außerdem eine „Kiefermeditation“, die am Abend dabei helfen soll, zur Ruhe zukommen. Reindl: „Wenn man Kiefer-Yoga praktiziert, kommt man weg davon, sich durch den Alltag zu beißen. Die Idee dahinter ist, durch die Kieferentspannung aus dem Stress auszusteigen, innere Balance zu finden und idealerweise ein Gefühl der Selbstbestimmtheit zu erlangen. Das brauchen wir, um innere Freude und Begeisterung zu spüren. Auch für die Arbeit, mit der wir uns täglich beschäftigen.“ sth zm113 Nr. 12, 16.06.2023, (1077) Abb. 3: Auch das Praktizieren von Atemtechniken wie der Wechselatmung kann Kiefer und Körper entspannen. Wie viele andere Übungen des Kiefer-Yoga kann man sie leicht in den Alltag in der zahnärztlichen Praxis integrieren. Foto: Tom Lechner
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