TITEL | 37 Art und Weise der Entscheidungsfindung. Während früher ein stark paternalistisches Modell vorherrschte, geht die Entwicklung heute zu partizipativen Entscheidungsprozessen mit informierten Patientinnen und Patienten. Eine patientenzentrierte zahnmedizinische Betreuung hat einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität dieser vulnerablen Personengruppe [Baniasadi et al., 2021]. Der Erhalt der Kaufunktion ist besonders bei Personen mit der Gefahr von Fehl- und Mangelernährung wichtig. Hier kann Zahnmedizin die Gesundheit und die Lebensqualität der Senioren direkt unterstützen. Versorgungsoptionen Zahnmedizinische Leitlinien zur zahnmedizinischen Betreuung von geriatrischen und demenziell erkrankten PatientInnen sind aktuell im Entstehungsprozess. Zusätzlich zu den oft komplexen zahnmedizinischen Befunden müssen bei der individuellen Therapieplanung dieser vulnerablen Klientel die Therapiefähigkeit und die Eigenverantwortlichkeit berücksichtigt werden. Dabei ist es weniger das Alter, sondern vielmehr der Zustand der körperlichen und mentalen Funktionsfähigkeit, der den Erfolg zahnmedizinischer Therapien limitiert. Therapien, die bei gesunden Personen jahrelang das Alltagsgeschäft der Zahnmedizin waren, sind bei Personen mit erhöhtem Pflege- und/oder Unterstützungsbedarf eventuell nicht umsetzbar. Gebrechlichkeit (Frailty) ist ein Zustand zwischen guter Gesundheit und Pflegebedürftigkeit im Alter – ein Zwischenstadium, in dem ein vorher fitter älterer Mensch Symptome der Gebrechlichkeit entwickelt und die Gefahr besteht, dass sich sein Zustand verschlechtert. Die geriatrischen Erkrankungen Frailty und auch Demenz sind im Rahmen zahnmedizinischer Behandlungen mit einer reduzierten Kooperations- und Therapiefähigkeit sowie bei der Anfertigung von Zahnersatz mit einer reduzierten Adaptationsfähigkeit assoziiert (Abbildung 3). Je nach Therapiebedarf und -fähigkeit gilt es bei geriatrischen PatientInnen, ein pragmatisches Therapieziel und Behandlungssetting (aufsuchende Betreuung, ambulante Behandlung in der Praxis, Sanierung in ITN) zu wählen. Präventive, erkrankungsspezifische und funktionsorientierte Maßnahmen müssen sich bei der Behandlung älterer, mehrfach erkrankter Patienten sinnvoll ergänzen. Restaurative Therapien sollten immer von einer Intensivierung der Prophylaxemaßnahmen begleitet werden, um die Therapieergebnisse zu erhalten. Bei Personen mit reduzierter Mundhygienefähigkeit sollten diese Defizite frühzeitig erkannt und über individuelle Unterstützungsangebote kompensiert werden. Gesetzlich Krankenversicherte, die einem Pflegegrad nach Paragraf 15 SGB XI zugeordnet sind oder Eingliederungshilfe nach Paragraf 99 SGB IX erhalten, haben deshalb seit dem 01.07.2018 Anspruch auf spezielle Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen nach Paragraf 22a SGBV. Auch aufseiten der Pflege wurden durch die Einführung des DNQP-Expertenstandards Rahmenbedingungen zur Verbesserung der Mundgesundheit bei Personen mit Pflegebedarf geschaffen. Der Expertenstandard definiert unter anderem das Aufgabenspektrum, den Verantwortungsbereich und das nötige Kompetenzprofil von Pflegefachpersonen in Bezug auf die Mundgesundheit bei Personen mit Pflegebedarf. Als zentrale Anforderung an Pflegefachpersonen formuliert der Expertenstandard zudem die Kompetenz, einschätzen zu können, wann weitere zahnmedizinische Expertise hinzuzuziehen ist zm113 Nr. 13, 01.07.2023, (1135) 1 Sehr fit Personen in dieser Kategorie sind robust, aktiv, voller Energie und motiviert. Sie trainieren üblicherweise regelmäßig und sind mit die Fittesten innerhalb ihrer Altersgruppe. 4 Vulnerabel Auch wenn sie nicht auf externe Hilfen im Alltag angewiesen sind, sind Personen in dieser Kategorie aufgrund ihrer Krankheitssymptome oft in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Häufig klagen sie über Tagesmüdigkeit und/oder berichten, dass Alltagsaktivitäten mehr Zeit benötigen. 7 Ausgeprägt frail Personen in dieser Kategorie sind aufgrund körperlicher oder kognitiver Einschränkungen bei der Körperpflege komplett auf externe Hilfe angewiesen. Dennoch sind sie gesundheitlich stabil. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie innerhalb der nächsten 6 Monate sterben, ist gering. 2 Durchschnittlich aktiv Personen in dieser Kategorie zeigen keine aktiven Krankheitssymptome, sind aber nicht so fit wie Personen in Kategorie 1. Sie sind durchschnittlich aktiv oder zeitweilig sehr aktiv, z.B. saisonal. 5 Geringgradig frail Personen in dieser Kategorie sind offensichtlich in ihren Aktivitäten verlangsamt und benötigen Hilfe bei anspruchsvollen Alltagsaktivitäten, wie finanziellen Angelegenheiten, Transport, schwerer Hausarbeit und im Umgang mit Medikamenten. Geringgradige Frailty beeinträchtigt das selbständige Einkaufen, Spazierengehen sowie die Essenszubereitung und Haushaltstätigkeiten. 8 Extrem frail Komplett von Unterstützung abhängig und sich ihrem Lebensende nähernd. Oft erholen sich Personen in dieser Kategoeriauch von leichten Erkrankungen nicht. 3 Gut zurechtkommend Die Krankheitssymptome dieser Personengruppe sind gut kontrolliert, aber außer Gehen im Rahmen von Alltagsaktivitäten bewegen sie sich nicht regelmäßig. 6 Mittelgradig frail Personen in dieser Kategorie benötigen Hilfe bei allen außerhäuslichen Tätigkeiten und bei der Haushaltsführung. Im Haus haben sie oft Schwierigkeiten mit Treppen, benötigen Hilfe beim Baden/Duschen und eventuell Anleitung oder minimale Unterstützung beim Ankleiden. 9 Terminal erkrankt Personen in dieser Kategorie haben eine Lebenserwartung <6 Monate. Die Kategorie bezieht sich auf Personen, die anderweitig keine Zeichen von Frailty aufweisen. Der Schweregrad der Frailty entspricht der Schwere der Demenz. Typische Symptome einer leichten Demenz sind Vergesslichkeit bezüglich Details jüngster Ereignisse, auch wenn man sich an das Ereignis selbst noch erinnert, sowie das Wiederholen von Fragen und Gesagtem sowie sozialer Rückzug. – Bei mittelgradiger Demenz ist das Kurzzeitgedächtnis stark beeinträchtigt, obwohl die Personen sich augenscheinlich noch gut an Ereignisse der Vergangenheit erinnern können. Die Körperpflege erfolgt selbstständig mit verbaler Unterstützung. – Personen mit schwerer Demenz sind nicht in der Lage, ihre Körperpflege ohne Hilfestellung auszuführen. DIE STUFEN DER CLINICAL FRAILTY SCALE (CFS) Abb. 3: Die Stufen der CFS modifiziert nach [Rockwood et al., 2005] und [Singler et al., 2020], mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie
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