Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 13

38 | TITEL [Sirsch et al., 2022]. Um die Maßnahmen zur Förderung der Mundgesundheit nachhaltig zu implementieren, ist ein dauerhafter Austausch zwischen Zahnmedizinern und Pflegeverantwortlichen, unter regelmäßiger Einbeziehung geriatrisch-hausärztlicher Expertise notwendig. Die Telemedizin verspricht in Bezug auf die Verbesserung des Zugangs zu zahnmedizinischen Leistungen für Personen in Pflegeeinrichtungen Zukunftspotenzial [Aquilanti et al., 2020]. Nicht in allen Fällen sind Defizite der Mundhygienefähigkeit absehbar. Nach Unfällen oder Schlaganfällen sind Patientinnen und Patienten eventuell von einem auf den anderen Tag nicht mehr in der Lage, ihre Mundhygiene selbstständig adäquat durchzuführen (Abbildung 4). Die Hygienefähigkeit des Zahnersatzes spielt eine wichtige Rolle für die Prävention von Mundhöhlen- und Allgemeinerkrankungen. Das regelmäßige Entfernen des oralen Biofilms oder das Ausgliedern von Prothesen vor dem Schlafengehen sind effiziente Maßnahmen, um das Risiko von Lungenentzündungen zu verringern [Chebib et al., 2021]. Pessimistisch müsste man jeden Zahnersatz so planen, dass er beim Verlust der Mundhygienefähigkeit zu einer einfacher pflegbaren Variante umgearbeitet werden kann. Auch wenn sich Karies, Parodontitis und dentale Traumata bei dieser vulnerablen Hochrisikogruppe in absehbarer Zeit wohl nicht gänzlich vermeiden lassen, ermöglicht die regelmäßige zahnmedizinische Kontrolluntersuchung, dass einzelne Befunde frühzeitig identifiziert und mit moderatem Aufwand therapiert werden können (Abbildung 5). Bei stark reduzierter Therapiefähigkeit sollten als Minimalziel die oralen Strukturen schmerz- und entzündungsfrei sein, um lebensbedrohliche Komplikationen wie Pneumonien oder Bakteriämien zu verhindern. Parodontale und periimplantäre Erkrankungen sollten im Kontext des allgemeinen Gesundheitszustands, der physiologischen Alterung des Immunsystems und der allgemeinen Körperfunktion beurteilt werden [Paris et al., 2020; Müller et al., 2022]. Prothetische Rehabilitationen sind zum Erhalt der Kaufunktion und der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität je nach Lokalisation und Ausmaß des Zahnverlusts sinnvoll, bedingen aber ein Mindestmaß an Mitarbeit von Patient und betreuendem Umfeld. Eine möglicherweise reduzierte Adaptationsfähigkeit an neu angefertigten Zahnersatz gilt es besonders bei neurodegenerativen Erkrankungen im Vorfeld der Therapie zu besprechen [Nitschke et al., 2021]. Umsetzungsmöglichkeiten Die Umsetzung der Alterszahnmedizin in der Praxis ist anspruchsvoll, da sie zusätzlich zur zahnmedizinischen Expertise besondere kommunikative Fähigkeiten sowie ein fundiertes geriatrisches und allgemeinmedizinisches Wissen bedingt Wenn man diese Hürden aber überwindet, kann die Behandlung älterer und pflegebedürftiger Patientinnen und Patienten subjektiv erfüllend sein. Orale Rehabilitationen bei Personen mit Pflege- und/oder Unterstützungsbedarf verlangen ein routiniertes und effizientes Behandeln sowie ein barrierefreies Praxiskonzept. Ein barrierefreies Praxiskonzept bedeutet nicht nur, dass die Praxis mit dem Rollstuhl zugänglich ist, sondern vor allem ein im Umgang und in der Kommunikation mit Personen mit erhöhtem Pflegebedarf geübtes Praxisteam, dass die PatientInnen entsprechend ihrer alters- und/oder erkrankungsassoziierten Bedürfnisse unterstützt. Patientinnen und Patienten mit stark reduzierter Therapiefähigkeit profitieren in besonderem Maß von zeiteffektiven Methoden und Materialien, zum Beispiel Bulk-fill-Kompositen, Reparaturfüllungen, Glasionomerzementen zm113 Nr. 13, 01.07.2023, (1136) Abb. 4: 84-jährige Patientin nach sturzbedingtem schwerem Schädelhirntrauma: a: insuffiziente Mundhygiene, frakturierter Prothesenzahn 11 und verschraubte Implantatrestaurationen, b: Panoramaschichtaufnahme Abb. 5: 86-jährige Patientin mit FrailtySyndrom: a: insuffiziente Mundhygiene und Wurzelkaries an Zahn 43, b: nach Kariesentfernung und Füllungstherapie mittels Glasionomerzement Fotos: Anna-Lena Hillebrecht a a b b

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