TITEL | 49 aktuell Möglichkeiten, die Situation zu verbessern. Zudem ist die Implementierungsphase des neuen DNQPExpertenstandards zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege abgeschlossen. Der Expertenstandard nimmt Pflegefachkräfte in die Verantwortung, Munderkrankungen, Mundhygienedefizite und Risiken für die Mundgesundheit zu erkennen, zu adressieren und entsprechende pflegerische Maßnahmen einzuleiten [Expertenstandard]. Immer mehr Schulungsmaterialien stehen auch digital (24/7) zur Verfügung. So etwa auf der kostenlos verfügbaren Plattform mundpflege.net (Abbildung 6). Therapeutischer Nutzen bei Pflegebedarf/Multimorbidität Auch wenn bisher umfangreiche Daten zu den therapeutischen Erfolgen einer systematischen parodontalen Therapie entsprechend der PAR-Richtlinie bei hochaltrigen und insbesondere bei Menschen mit Pflegebedarf in der aufsuchenden Betreuung fehlen, ist ein therapeutischer Nutzen zu erwarten. Allein die konsequente Umsetzung der verkürzten PAR-Strecke, kombiniert mit den Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen, ermöglicht eine regelmäßige Betreuung in einem zeitlich festgelegten Intervall, die per se schon einen positiven Einfluss auf die Mundgesundheit haben wird. Erste, bisher nicht veröffentlichte Studienergebnisse unserer Arbeitsgruppe in einer Kooperation mit der Praxis Dr. Bleiel, Rheinbreitbach, konnten den klinischen Nutzen bei bisher eingeschlossenen Studienteilnehmern in Hinblick auf den Plaqueindex nach sieben Tagen und nach drei Monaten, die Reduktion des Bleeding on Probing sowie der Sondierungstiefen zeigen. Bei Betrachtung der vorläufigen Ergebnisse fällt allerdings auf, dass die resultierenden Werte sich nicht direkt mit resultierenden Therapieerfolgen bei jüngeren Erwachsenen, die in der zahnärztlichen Praxis versorgt werden, vergleichen lassen. Zukünftige Untersuchungen werden diese ersten Ergebnisse bestätigen müssen, wobei sicherlich die Patienten-basierten Risikofaktoren des Alterns und des Pflegebedarfs, eine veränderte Ernährung, insbesondere aber die nicht gelöste tägliche Mundhygienesituation den potenziellen Therapieerfolg negativ beeinflussen und somit die zu erwartende durchschnittliche Reduktion der Sondierungstiefen womöglich geringer ausfallen wird als in den üblichen Studienpopulationen. Nutzen für die Allgemeingesundheit Neben dem erreichbaren Therapieerfolg hinsichtlich des Parodonts stellt sich die Frage, ob durch eine optimierte Mundhygiene, einer daraus resultierenden gingivalen und parodontalen Entzündungsreduktion und eine verbesserte Prothesenhygiene auch eine verbesserte systemische Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität erreicht werden können. Wenige Daten zu hoch- und höchstaltrigen Patienten mit Multimorbidität vor und nach erfolgter systematischer Parodontaltherapie liegen vor, wenn auch der positive Einfluss insbesondere durch die reduzierte orale Entzündung plausibel erscheint [Simpson et al., 2022; Machado et al., 2021; Scannapieco et al., 2003; Azarpazhooh et al., 2006]. Eine optimierte und stabile Mund- und Prothesenpflege scheint das Risiko für Pneumonien zu senken, der positive Einfluss einer parodontalen Therapie auf die metabolische Einstellung bei Diabetes bei jüngeren Patientengruppen ist anerkannt [Sabharwal et al., 2018]. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass schwere, lang bestehende Parodontitiden zumindest den Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen beeinflussen können [Nascimento et al., 2019]. Allerdings fehlen gerade bei älteren multimorbiden Patienten gut designte randomisiert-kontrollierte prospektive Untersuchungen, die die Ergebnisse für die Patientengruppe verifizieren und möglichst viele Einflussfaktoren des hohen Alters einbeziehen. Ein nicht zu unterschätzender, schnell eintretender Benefit einer antientzündlichen oralen Therapie ist sicherlich der psychologische Aspekt reduzierter Blutung für das private und pflegerische Unterstützungsumfeld, das die Blutung bei der Durchführung von Mundpflege als große Barriere wahrnimmt [Hillebrecht et al., 2023]. Eine milde oder moderate Parodontitis scheint aus Patientensicht im höheren Lebensalter einen eher geringen Einfluss auf das Wohlbefinden und die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten zu haben – wie auch andere chronische moderate Munderkrankungen [Slade et al., 2011]. Dies scheint teilweise bedingt zu sein durch lebenslang adaptierte Bewältigungsstrategien [Sprangers et al., 1999]. Auf der anderen Seite ist der negative Einfluss durch Schmerzen, Zahnverlust und herausnehmbare prothetische Versorgungen, den Verlust der Kaufunktion und eine damit einhergehende Mangelernährung wie auch schwere Parodontitiden mit Zahnlockerung und Zahnverlust und Mundtrockenheit gut dokumentiert [Thomson, 2014]. Zukünftiges Ziel komplexer Präventions- und Therapiekonzepte für die große Zahl älterer Senioren mit und ohne Pflegebedarf wird es sein, durch die konsequent durchgeführten systematischen Interventionen möglichst viele der beschriebenen Risiken für eine defizitäre Mundhygiene und parodontale Erkrankungen zu adressieren, um klinisch-objektiv und aus Patientensicht Verbesserungen zu erwirken. zm113 Nr. 13, 01.07.2023, (1147) ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.
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