Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 13

52 | TITEL Bei der Entstehung von Wurzelkaries kommt es unterhalb eines kariogenen Biofilms zunächst zur Diffusion von Säuren ins Dentin und zur Demineralisation. Dabei wird der mineralische Anteil aufgelöst, während der organische Anteil erhalten bleibt. Kollagen wird durch Säureeinwirkungen, wie sie in der Mundhöhle vorkommen, nicht abgebaut (Abbildung 3). Sobald die organische Matrix vollständig entmineralisiert ist, folgt in einem zweiten Schritt deren Degradation durch proteolytische Enzyme und damit der vollständige Verlust des Dentingewebes. Im Gegensatz dazu kann vollständig oder teilweise mineralisiertes Kollagen nicht enzymatisch abgebaut werden und sollte auch auf der Zahnoberfläche belassen werden. Insgesamt kann Dentin leichter entmineralisiert werden als Schmelz [Ogaard et al., 1988], da die Kristallite kleiner sind und das Gewebe permeabler ist. Allerdings kann sich die Demineralisationsrate mit der Zeit verlangsamen, da die organische Matrix zu einem gewissen Grad ein Diffusionshindernis darstellt [Ogaard et al., 1988]. Im initialen Stadium der Wurzelkaries können (ähnlich wie im Schmelz) ein Läsionskörper und eine pseudointakte Oberflächenschicht entstehen [Nyvad et al., 1997]. Aufgrund der histologischen Struktur des Dentins erfolgt jedoch schon früh eine bakterielle Invasion. Meist findet dadurch zunächst eine Ausdehnung nach lateral und erst nach Einbruch der Oberfläche eine Tiefenausdehnung statt [Nyvad et al., 1997]. Insgesamt unterscheidet sich der Kariesprozess im Dentin elementar von dem im Schmelz. Schmelz ist ein nahezu vollständig aus dicht gepackten Hydroxylapatitkristallen bestehendes avitales und relativ wenig permeables Gewebe, bei dem De- und Remineralisationsprozesse an der Grenzfläche zum Biofilm dem jeweiligen Löslichkeitsgleichgewicht folgen und leicht durch Fluoridionen beeinflusst werden können. Auch bei Dentin kann Fluorid positive Effekte entfalten, es sind jedoch höhere Fluoridkonzentrationen erforderlich, um den Mineralverlust unter kariogenen Bedingungen zu verringern [ten Cate et al., 1998]. Risikoindikatoren Zunächst ist plausibel, eine schlechte Mundhygiene, eine kariogene Ernährung, unangepasste Fluoridanwendungen und weitere Faktoren wie Mundtrockenheit oder Zahnersatz als Risikoindikatoren für Wurzelkaries anzunehmen. Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 [Zhang et al., 2020b] zeigt solche Zusammenhänge jedoch nicht unbedingt auf (Tabelle 1). In die Studie gingen 44 Publikationen aus verschiedenen Ländern mit insgesamt über 78.000 Personen ein. Einfache statistisch signifikante Zusammenhänge finden sich am ehesten zum Alter (höhere Prävalenz von Wurzelkaries in höherem Alter), zum Einkommen (geringere Prävalenz von Wurzelkaries bei höherem Einkommen), zum Rauchen (höhere Prävalenz von Wurzelkaries bei Rauchern) und zur Mundhygiene (höhere Prävalenz von Wurzelkaries bei schlechter Mundhygiene). Allerdings überschätzen einfache Analysen solche Zusammenhänge. Rauchen beispielsweise kann ein Confounder (Störfaktor) für ungenügende Mundhygiene oder für Parodontalerkrankungen sein und damit verzerrend auf die entsprechenden Einzelzusammenhänge wirken. Werden die Daten entsprechend adjustiert, werden die erwähnten Zusammenhänge deutlich schwächer und es lassen sich kaum mehr eindeutige Risikoindikatoren identifizieren (Tabelle 1). Anzumerken ist jedoch auch, dass hier Personen unterschiedlicher Altersgruppen und mit sehr heterogenen sozialen Umfeldern und Versorgungskontexten eingeschlossen wurden, die Studien aus drei Jahrzehnten stammen und die Erhebungskriterien sehr unterschiedlich waren. Daher lohnt sich der Blick auf die Analyse nationaler Daten. Schwendicke und Koautoren [Schwendicke et al., 2018] haben die drei Deutschen Mundgesundheitsstudien (DMS III, IV und V) umfassend analysiert und konnten Geschlecht, Alter, koronale Karies, Anzahl der Zähne mit Sondierungstiefen von ≥ 4 mm sowie die Zahnputzhäufigkeit als signifikante Risikoindikatoren identifizieren. Dass die Zahnputzhäufigkeit dabei negativ mit dem Risiko für Wurzelkaries assoziiert war, ist ein interessanter Befund. Die Autoren vermuten, dass regelmäßiges Zähneputzen den Zahnerhalt verbessert und damit mehr Zähne „at risk“ bestehen. Dieser kontraintuitive Zusammenhang wurde aber auch in der erwähnten systemazm113 Nr. 13, 01.07.2023, (1150) Abb. 3: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Dentinprobe, die einer 0,5-prozentigen Zitronensäurelösung ausgesetzt war: Die Dentintubuli sind im Querschnitt getroffen und im demineralisierten Bereich deutlich größer als im Bereich des gesunden Dentins. Die Pfeile kennzeichnen die Grenze zwischen gesundem und demineralisiertem Dentin. Foto: Carolina Ganß Abb. 2: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von gesundem Dentin: a - Dentintubulus, b - Odontoblastenfortsatz, c - peritubuläres Dentin mit einer hohen Mineraldichte, d - intertubuläres Dentin mit einem höheren Anteil organischer Strukturen und einer geringeren Mineraldichte Foto: Carolina Ganß

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