34 | ZAHNMEDIZIN zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1224) Problem besteht darin, dass mit der Pflegebedürftigkeit oft der regelmäßige Kontakt in die Zahnarztpraxis verlorengeht – die Patienten, Pflegekräfte und Angehörigen suchen nur noch beschwerdeorientiert den Kontakt zum Zahnarzt. Nitschke empfahl daher, in der Praxis ein System zu etablieren, mit dem Senioren, die länger als ein Jahr nicht vorstellig geworden sind, wieder zu einer Kontrolluntersuchung eingeladen werden können. Mundgesundheit ist jedoch bis ins hohe Lebensalter möglich. Das zeigt die Forschungsarbeit „Mundgesundheit von Hochbetagten und Hundertjährigen“ von PD Dr. Caroline Sekundo und Prof. Dr. Cornelia Frese (HeidelRUND JEDES VIERTE KIND LEIDET UNTER BRUXISMUS Prof. Dr. Christian Hirsch, M.Sc. (Leipzig) eröffnete das wissenschaftliche Programm mit seinem Vortrag „Bruxismus im Kindes- und Jugendalter – nur ein temporäres Problem?“. Die Antwort gab er gleich vorweg: Es handele sich nicht um ein temporäres Problem. Das Thema habe in der Forschung in den vergangenen Jahren stark zugenommen, da die Ursachen für Bruxismus in vielen Fällen im Kindes- und Jugendalter liegen, erklärte Hirsch. Es bestehe also eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Bruxismus in der Kindheit über die gesamte Lebensspanne persistiert. Grundsätzlich könne man verschiedene Formen unterscheiden: den Wachbruxismus und den nächtlichen Bruxismus. Beide könnten sowohl dynamisch oder statisch als auch chronisch oder akut sein. Die Prävalenzangaben für Bruxismus im Kindes- und Jugendalter variieren laut Hirsch mit Zahlen von 3,5 bis 49,6 Prozent stark. Er geht davon aus, dass schätzungsweise jedes vierte Kind unter Bruxismus leidet. Attrition als Symptom für die dynamische Form des Bruxismus sei mithilfe von Indizes anhand des Zahnhartsubstanzverlusts gut messbar, während die statische Bruxismus-Komponente schwerer zu diagnostizieren sei. Hirsch erklärte, dass die multiplen Ursachen für Zahnhartsubstanzverlust (Erosion, Abrasion, Attrition, MIH) im klinischen Alltag oft vermischt vorliegen. Die Attrition als klinisches Erscheinungsbild des dynamischen Bruxismus lasse sich dadurch abgrenzen, dass sie glatte, flache Schlifffacetten mit dem jeweiligen Antagonisten erzeuge. Manchmal seien auch Mikrofrakturen im Bereich der Inzisalkanten zu beobachten. Die Folgen des Bruxismus können laut Hirsch in primäre und sekundäre unterteilt werden. Zu den primären Folgen zählt er die Attrition, eine höhere Empfindlichkeit der Zähne, den Verlust von Restaurationen sowie die Beschleunigung erosiver Prozesse; zu den sekundären unter anderem Schmerzen in der Kaumuskulatur, Schlafstörungen sowie Einschränkungen der Lebensqualität. Hirsch erläuterte, dass bei einer Dentin-Freilegung bereits im Kindes- und Jugendalter von einer schweren Form des Bruxismus gesprochen werden könne – häufig einhergehend mit Schmerzen im Kausystem mit psychosozialer Beeinträchtigung sowie Schlafstörungen. Woher kommt Bruxismus bei Kindern? Was aber verursacht Bruxismus bei Kindern? Die Qualität des Großteils der Studien zu diesem Thema sei unzureichend, bemerkte Hirsch. Dennoch weise vieles darauf hin, dass die Ursachen meist „zentral und nicht peripher“ lägen. Das bedeute, dass man sie vielmehr im Umfeld des Kindes suchen müsse als im Gebiss selbst. Zu den Auslösern könnten unter anderem psychische Störungen, Probleme beim Einschlafen oder Schlafstörungen, psychoaktive Medikamente, Depressionen, Passivrauchen, Atemwegserkrankungen, Ernährungsstörungen (Reflux), Medienkonsum, Stress und erhöhte Anspannung, familiäre Faktoren / Probleme im sozialen Umfeld und Habits gehören. Bruxismus im Kindesalter habe durch Corona noch einmal deutlich zugenommen – dies zeige sich am vermehrten Aufkommen von Google-Suchanfragen zu diesem Thema. Grundsätzlich seien Jungen häufiger als Mädchen von kindlichem Bruxismus betroffen. Dafür sei ein erhöhter Testosteronspiegel verantwortlich – somit erkläre sich auch, warum in der Pubertät die Zahl bei den Jungen noch einmal deutlich ansteigt. Mädchen mit erhöhten Testosteronwerten seien ebenfalls häufiger von Bruxismus betroffen. Eine kieferorthopädische Behandlung stelle im Übrigen kein erhöhtes Risiko für Bruxismus im Kindesalter dar – ganz im Gegenteil. Hirsch führte hier Studienergebnisse an, die zeigen, dass während der kieferorthopädischen Behandlung bestimmte BruxismusAktivitäten sogar verringert werden. Und was kann man dagegen tun? Auch hier bemängelte Hirsch die kleine Menge an verwertbarer Literatur zu diesem Thema. Grundsätzlich habe sich die „Knirscherschiene“ als rein symptomatische Therapie etabliert. Pharmakologische Interventionen seien zwar ebenfalls wirksam, wurden von Hirsch allerdings nicht empfohlen. Darüber hinaus zeige sich auch eine Verbesserung durch Tonsillektomie. Da die meisten Ursachen aber außerhalb des Kausystems lägen, müssten diese „auch dort angegangen werden“, so sei eine kausale Beeinflussung des Bruxismus möglich. Ergänzend nannte Hirsch beispielsweise Maßnahmen zur Verbesserung des Schlafes (Licht aus, keine Medien mehr vorm Zu-Bett-gehen). Auch Beruhigungstinkturen könnten wirksam sein. Bei zahnärztlichen Behandlung gelte es, den Bruxismus im Blick zu behalten, denn Fissurenversiegelungen seien etwa im Attritionsgebiss kontraindiziert. Auch der Verlust von anderen Restaurationen sei nicht selten. nl Hirsch zeigt das Bild eines stark attritierten Milchgebisses. Foto: zm/nl
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