Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 14

ZAHNMEDIZIN | 35 zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1225) berg), die auf dem Deutschen Zahnärztetag mit dem Millerpreis 2023 ausgezeichnet wurde. Die Forscherinnen wollten wissen, welche Faktoren für eine gute Mundgesundheit im hohen Alter verantwortlich sind. Eine Wunderformel dafür scheint es aber nicht zu geben. Die untersuchten 100-Jährigen zeigten im Wesentlichen seniorentypische mundgesundheitliche Alterungserscheinungen – mit dem Unterschied allerdings, dass die Entwicklung bei ihnen 20 bis 30 Jahre später abläuft im Vergleich zu jüngeren Senioren. Die wissenschaftliche Forschung fördert immer mehr und immer komplexere Zusammenhänge zwischen den ES KOMMT AUF DAS RICHTIGE TIMING AN Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner referierte über die frühe, präventionsorientierte Kieferorthopädie. „You see it, you treat it“, laute bekanntermaßen die Hauptideologie einer kieferorthopädischen Frühbehandlung. Doch stimmt das wirklich immer? Aus der Sicht von Korbmacher-Steiner gilt diese Faustregel nicht uneingeschränkt, entscheidend sei vielmehr das richtige Timing – denn für verschiedene kieferorthopädische Anomalien gebe es unterschiedliche ideale Behandlungszeitpunkte. Korbmacher-Steiner zitierte die S3-Leitlinie „Ideale Behandlungszeitpunkte kieferorthopädischer Anomalien“: „Die Therapie einer skelettalen bzw. dentalen Klasse-III-Anomalie sollte frühzeitig, zum Beispiel in der frühen Wechselgebissphase, begonnen werden. Zudem gibt es Hinweise, dass bei einer Klasse-III-Anomalie eine frühe Behandlung die Notwendigkeit eines operativen Eingriffs zur Korrektur der Anomalie reduziert“ [DGKFO, DGZMK]. Entscheidend sei dabei die Frage, ob die Ergebnisse der Frühbehandlung auch langfristig stabil seien. Zur Erläuterung zeigte Korbmacher-Steiner den Fallbericht einer Patientin mit einer deutlichen Anomalie des progenen Formenkreises und zirkulärem Kreuzbiss (Abbildung), die sich im Alter von sechs Jahren bei ihr vorgestellt hatte und ausschließlich eine Frühbehandlung wünschte. Begonnen wurde mit einer GNE mit Aufbiss und Delaire zur aktiven transversalen Erweiterung und ventralen Entwicklung des Oberkiefers. Der Kreuzbiss wurde überstellt und durch den Platzgewinn kam es zu einem akzelerierten Zahnwechsel. Nach einem Jahr wurde die Situation über ein funktionskieferorthopädisches Gerät (Fränkel III) stabilisiert und optimiert. Die frühe Intervention (sieben Quartale kieferorthopädische Frühbehandlung) hatte zu einer deutlichen Harmonisierung des Wachstums von Ober- und Unterkiefer geführt und sich mit dem weiteren Wachstum manifestiert. Korbmacher-Steiner ergänzte, dass danach nie wieder apparativ interveniert werden musste. Auch bei ausgeprägten transversalen Anomalien (skelettal beziehungsweise dental) im Oberkiefer sollte mit der Therapie frühzeitig begonnen werden, um die Adaptivität der maxillären Strukturen auszunutzen, lautet die Empfehlung der S3-Leitlinie. Bei einer maxillären Konstriktion, also einer skelettal schmalen apicalen Basis des Oberkiefers, habe die frühe Intervention viele Vorteile gegenüber einer späteren Intervention, erklärte Korbmacher-Steiner. Die Frühbehandlung könne muskulären Fehlfunktionen entgegenwirken und ein koordiniertes harmonisches Wachstum in der Transversalen und in der Sagittalen ermöglichen. Durch eine frühe Intervention würden die paarig angelegten Großmaxillae eher parallel geöffnet, in der späteren Gruppe dagegen eher v-förmig. Eine parallele Öffnung führe zu einem harmonischen Gaumen, zu einer besseren Zungenadaptation und somit zu einer funktionellen Untermauerung und schließlich einer geringeren Rezidivrate. Ebenso könnten aus einer parallelen Öffnung eine Reduktion des anterionasalen Atemwiderstands und eine Verbesserung der Atmung resultieren. Klasse-II-Anomalien könnten unter Berücksichtigung patientenindividueller Faktoren ebenfalls frühzeitig behandelt werden. Korbmacher-Steiner fasste die Hauptgründe für eine frühe kieferorthopädische Intervention zusammen (die gleichzeitig eine Schnittmenge mit der Medizin bilden): die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität könne verbessert werden, denn Malokklusionen würden diese maßgeblich reduzieren. Daneben würden die Atmung, die Kaufunktion, der Schlaf, das Schlucken und das Sprechen profitieren. Bei einer Klasse II bestehe bei vergrößertem Overjet und fehlender Lippenkompetenz zudem ein erhöhtes Risiko für ein Frontzahntrauma. Zusammenfassend betonte Korbmacher-Steiner, dass das Hauptziel einer frühen kieferorthopädischen Behandlung ein harmonisches Wachstum sei (Physiologie der Formgebung). Um diese Wachstumsprozesse effizient nutzen zu können, müsse man die entsprechenden Zeitfenster kennen. So „sollten wir den Zeitraum von sechs bis neun Jahren ausnutzen“, um das skelettale Wachstum des Oberkiefers zu beeinflussen (unlock the mandible), während das Unterkieferwachstum insbesondere um den puberalen Wachstumsschub gegeben sei. Während einer Normalbehandlung arbeite man im Unterkiefer nur noch mit einem Drittel der Ressourcen, bedingt durch das ablaufende Wachstum, erklärte Korbmacher-Steiner. Im Oberkiefer sei es noch weniger. nl Korbmacher-Steiner präsentierte den Fall einer sechsjährigen Patientin mit einer deutlichen Anomalie des progenen Formenkreises. Intraoral imponierten ein zirkulärer Kreuzbiss, ein 4-mm-Overjet, eine maxilläre Konstriktion in allen Ebenen und eine dentale Kompensation der Unterkieferfront in Form einer retrusiven Frontzahnstellung. Foto: zm-nl

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