ZAHNMEDIZIN | 61 Aufgrund der Multimorbidität mit cerebrovaskulären Insulten und Demenz und des sehr hohen Alters der zu Pflegenden war die Mehrheit der teilnehmenden Zahnärzte der Meinung, die Suprakonstruktionen vor Pflegebeginn wenigstens in Deckprothesen umzuarbeiten. Es wurde auch erwogen, die Aufbauten zu entfernen und Implantate submukös zu belassen („Sleeping implant“) beziehungsweise die Implantate sogar zu entfernen. Es stellt sich die Frage, ob Implantatversorgungen zukünftigen geriatrischen Problemen mit zunehmendem Alter Rechnung tragen müssen und können. Der Wunsch nach aufwendigem (festsitzendem) Zahnersatz kann natürlich auch Älteren nicht verwehrt werden. Zudem zeigen Literaturrecherchen, dass ein fortgeschrittenes Alter und Allgemeinerkrankungen das Risiko für Implantatverluste nicht erhöhen [Schimmel et al., 2018; Srinivasan et al., 2017]. Festsitzender Zahnersatz auf Implantaten muss zuallererst hygienefähig sein, das heißt zugänglich für Zahnbürste, Interdentalraumbürstchen sowie die natürliche Spülwirkung des Speichels. Die Realität sieht manchmal allerdings anders aus (Abbildung 6). Herausnehmbarer Zahnersatz oder eine bedingte Abnehmbarkeit von festsitzendem Zahnersatz kann nicht nur die Hygiene erleichtern, sondern erst dadurch sind Reparaturen, Erweiterungen oder spätere Umwandlungen der Suprakonstruktionen unkompliziert möglich. Bedingt abnehmbar sind nicht nur verschraubte, sondern auch provisorisch oder „semi-definitiv“ zementierte Brücken. Werden Zähne in Verbundbrücken einbezogen, sollten die natürlichen Stümpfe mit einem definitiv zementierten Käppchen aus Metall oder Keramik geschützt werden [Mundt et al., 2012]. Umfangreiche Reviews zeigen, dass biologische und technische Komplikationen auch bei festsitzenden Suprakonstruktionen keine seltenen Ereignisse sind, obwohl generell herausnehmbare Prothesen mehr Nachsorge erfordern [Jung et al., 2012; Pjetursson et al., 2012; Pjetursson et al., 2018]. Zudem ist eine effektive Periimplantitistherapie nach Kronenbeziehungsweise Brückenabnahme viel einfacher. Bei Zahn- oder Implantatverlusten können Brücken entfernt und manchmal sogar unter ihrem Erhalt umgewandelt werden. Bei manuellen oder visuellen Einschränkungen, bei großen Knochendefiziten und im parodontal vorgeschädigten Gebiss sollten die Patienten auf abnehmbare Konstruktionen gelenkt werden. So bieten kombiniert zahn- und implantatgetragene Doppelkronenprothesen eine ausreichende Stabilität bei Reduktion der Basis im Bereich des Gaumendaches. Die Prothesen haben einen ausreichenden Halt und die verbliebenen Zähne werden entlastet. Die Literatur zur sogenannten strategischen Pfeilervermehrung zeigt gute Überlebensraten von Implantaten (> 92 Prozent) und Suprakonstruktionen (100 Prozent) nach fünf Jahren [Bassetti et al., 2018; Lian et al., 2018; Molinero-Mourelle et al., 2022]. Tragen Patienten schon Prothesen und Pfeiler gehen verloren oder sind ungünstig verteilt, dann können Implantate unter dem vorhandenen Zahnersatz für eine bessere Abstützung, ein besseres Kauvermögen und eine höhere Zufriedenheit sorgen [Wolfart et al., 2013; Wolfart et al., 2016]. Dies funktioniert natürlich auch mit kostengünstigen Miniimplantaten, wie eine kürzlich beendete prospektive randomisierte Drei-JahresStudie zeigen konnte (Abbildung 7) [Al Jaghsi et al., 2021; Mundt et al., 2020; Mundt et al., 2022]. Falls einteilige Miniimplantate in der Altenpflege wegen Entzündungen oder Bissverletzungen Probleme bereiten, können die Retentionsköpfe problemlos mit Diamantoder Hartmetallfräsen abgetrennt werden und die Schraube im Knochen verbleiben. Fazit Zahnlosigkeit verschiebt sich ins hohe Alter. Für multimorbide Patienten mit fortgeschrittener Alveolarkammatrophie und Problemen mit dem Prothesenhalt sind einfache und erschwingliche Konzepte – wie das mittig stehende einzelne Implantat im Unterkiefer oder Miniimplantate zur Prothesenstabilisierung – gefragt. Der Anteil dentaler Implantate bei Pflegebedürftigen wird ansteigen und somit auch die möglichen Probleme mit Implantatversorgungen. Wenn (ältere) Patienten festsitzende Suprakonstruktionen erhalten, sollten diese pflegefähig, bedingt abnehmbar (semidefinitiv zementiert, verschraubt) und somit um- und bei Bedarf rückbaubar sein. Für Patienten mit funktionellen und medizinischen Einschränkungen sind herausnehmbare Suprakonstruktionen, falls möglich unter Erhalt der vorhandenen Prothese, besser geeignet, da sie minimalinvasiv, leichter pflegbar, umbau- und erweiterbar gestaltet werden können. zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1251) PROF. DR. TORSTEN MUNDT Universitätsmedizin Greifswald, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Alterszahnheilkunde und Medizinische Werkstoffkunde Walther-Rathenau-Str. 42a, 17475 Greifswald mundt@uni-greifswald.de 1984–1989: Studium der Zahnheilkunde in Greifswald 1989–1994: Assistent am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Greifswald in der Abteilung für Parodontologie und in der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik 1995: Promotion und leitender Oberarzt in der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik 2007: Spezialist für Prothetik der DGPro 2011: Habilitation 2012: stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes M-V der DGI 2017: Professur Implantatprothetik mit Verstetigung 2022 2018: Delegierter der Kammerversammlung M-V und Vorsitzender des Fortbildungsausschusses 2019: Vorsitzender der Mecklenburg-Vorpommerschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an den Universitäten Greifswald und Rostock e.V.
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