68 | ZAHNMEDIZIN Marcumar oder Acetylsalicylsäure verstärken [Ouanounou et al., 2015]. Im Rahmen der Erstvorstellung oder von Gesprächen zur pharmakologischen Neueinstellung geriatrischer Patienten sollten auch diese Aspekte erfasst und die Patienten über die schlecht absehbaren Wechselwirkungen mit nicht verschreibungspflichtigen Wirkstoffen aufgeklärt werden. Die hohe Prävalenz der Polypharmazie in der älteren Bevölkerung bedingt ein steigendes Risiko für Wechsel- und Nebenwirkungen, deren Wahrscheinlichkeit mit der Anzahl eingenommener Agenzien exponentiell ansteigt. Insbesondere letztere sind ein häufiger Grund für Krankenhauseinweisungen geriatrischer Patienten mit einer hohen Morbiditäts- und Mortalitätsrate. Zu den hierbei häufig zu Problemen führenden Arzneimitteln zählen Antikoagulanzien, Antikonvulsiva und Herz-Kreislauf-Medikamente [Pasina et al., 2013; Hofer-Dueckelmann et al., 2011; Routledge et al., 2004]. Implikationen für die Lokalanästhesie Grundsätzlich wird die Nutzung von Lokalanästhetika in der zahnärztlichen Praxis als sehr sicher erachtet. Jedoch sollten die altersbedingte Veränderung der Metabolisierung, insbesondere eine eingeschränkte Leber- und Nierenfunktion, sowie mit dem Alter häufig einhergehende Allgemeinerkrankungen beachtet werden. Neben den grundsätzlichen Sicherheitskautelen wie einer streng extravasalen Applikation (Abbildung 5), kann eine Reduktion der Dosis des Lokalanästhetikums oder des Vasokonstriktors notwendig werden. Nach Angaben des Robert KochInstituts leiden in Deutschland über 20 Millionen Menschen an arterieller Hypertonie. Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen bilden die größte Risikopopulation in der zahnärztlichen Praxis. Die Komplikationsrate unter zahnärztlicher Lokalanästhesie bei gesunden Patienten liegt bei 3,5 Prozent, bei Vorliegen von kardiovaskulären Erkrankungen steigt das Risiko auf 5,7 Prozent [Daubländer et al., 1997]. Grundsätzlich kann die vermehrte exogene Zufuhr von Vasokonstriktoren zwar zu einer Minderperfusion des Myokards, zu einer Steigerung des Blutdrucks oder zur Dekompensation einer vorbestehenden Herzinsuffizienz führen, dennoch sollte auch bedacht werden, dass bei einer insuffizienten Anästhesie und damit einhergehenden Schmerzen die Menge systemisch freigesetzter Vasokonstriktiva deutlich über dem liegt, was nach der Gabe von Lokalanästhetika zu erwarten ist. Unter der Beachtung absoluter Kontraindikationen empfiehlt sich eine indikationsspezifische Anwendung von Vasokonstriktiva in möglichst geringer Dosierung. Als Technik der Wahl für multimorbide Patienten bietet sich aufgrund der geringen applizierten Menge Lokalanästhetikum die intraligamentäre Anästhesie an (Abbildung 6) [Kämmerer et al., 2018; Nusstein et al., 2004]; hierbei wird selbst unter Zusatz von Adrenalin 1:100.000 kein signifikanter Anstieg der kardiovaskulären Parameter beobachtet [Nusstein et al., 2004]. Neben der Menge genutzter Vasokonstriktiva spielt insbesondere die Operationszeit eine signifikante Rolle bei der Reduktion von Komplikationen in der Therapie geriatrischer Patienten. Während die Komplikationsrate bei Eingriffen unter 20 Minuten bei drei Prozent liegt, erhöht sich diese mit zunehmender Dauer der Behandlung auf bis zu 15 Prozent; Patienten ohne Risikofaktoren weisen unter längerer Behandlung eine Komplikationsrate von unter vier Prozent auf [Daubländer et al., 1997]. Mit einer Komplikationsrate von zehn Prozent befinden sich Leberfunktionsstörungen unter den Top Ten der kritischen Risikofaktoren in der zahnärztlichen Praxis. Dabei spielt die Abnahme der hepatischen Clearance eine entscheidende Rolle für den Um- und Abbau von Amid-Lokalanästhetika. Aufgrund der verzögerten Metabolisierung kann es bei einer fraktionierten Gabe von Lokalanästhetika zu einem signifikanten Anstieg der Plasmakonzentration kommen. Aus diesem Grund wird bei hepatisch vorbelasteten Patienten die einmalige Gabe einer reduzierten Dosis des Lokalanästhetikums empfohlen [Gheisari et al., 2020]. Besonders die umfangreiche Gruppe zentralnervös aktiver Substanzen führt bekanntermaßen zu einer Verstärkung der vasokonstriktiven Wirkung von Lokalanästhetika. Monoaminooxidase(MAO)-Hemmer führen zu einer Unterdrückung des Adrenalinzm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1258) Abb. 5: Akzidentielle intravasale Lage der Kanüle bei der Infiltrationsanästhesie: Insbesondere bei kardiovaskulär vorerkrankten Patienten oder Polymedikation ist die streng extravasale Lage durch eine negative Aspirationsprobe zu überprüfen. Foto: Universitätsmedizin Mainz Abb. 6: Intraligamentäre Anästhesie eines Prämolaren Foto: Peer W. Kämmerer
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