ZAHNMEDIZIN | 69 Metabolismus, was die systemische Toxizität der Lokalanästhesie erhöhen kann. Obwohl dieser Effekt auf der Basis aktueller Studien als eher gering eingestuft wird, wird die gleichzeitige Einnahme von MAO-Hemmern in der Fachinformation als Kontraindikation aufgeführt [Goulet et al., 1992]. Trizyklische Antidepressiva hemmen die Wiederaufnahme von Adrenalin in die Nervenzellen; auch hier kann es somit unter der zahnärztlichen Lokalanästhesie zu einer Wirkverstärkung des Vasokonstriktors kommen. Es werden Mengen von maximal 0,05 mg Adrenalin unter strenger Vermeidung der intravasalen Applikation empfohlen [Meechan, 2002]. Implikationen für die Analgesie Zu den in der zahnärztlichen Praxis häufig genutzten Analgetika zählen insbesondere Paracetamol und Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). Obwohl die Einnahme von maximal 4 g Paracetamol für gesunde Personen als ungefährlich erachtet wird, zählt das Arzneimittel zu den führenden Ursachen für akutes Leberversagen weltweit. Wird Paracetamol überdosiert, kann es zu hepatotoxischen Effekten kommen, doch auch Erkrankungen der Leber können die Metabolisierung erschweren. Liegen eine Leberzirrhose und zusätzliche Risikofaktoren für Hepatotoxizität (Mangelernährung oder Alkoholkonsum) vor, soll die Dosis auf maximal 2 g pro Tag reduziert werden. Im Vergleich zu anderen Analgetika kann die Einnahme von Paracetamol als vergleichbar sicher eingestuft werden, dennoch sollten kumulativ hepatotoxische Effekte oder Veränderungen des Lebermetabolismus aufgrund von Polypharmazie – auch von durch den Patienten selbstständig eingenommenen naturheilkundlichen Agenzien – beachtet und die Dosis gegebenenfalls angepasst werden [Stamer et al., 2021; Maucher, 2019]. In Anbetracht der hohen Verfügbarkeit von NSAR als „Over-the-counter“- Medikamente zur Schmerztherapie und deren guter Wirksamkeit bei Zahnschmerzen gehören diese Analgetika zu den in der zahnärztlichen Praxis am häufigsten genutzten Mitteln. Die gute Lipidlöslichkeit führt bei älteren Personen durch die altersabhängige Zunahme des Fettgewebes jedoch zu einer deutlich stärkeren Verteilung der Medikamente. Zusammengenommen mit einer, durch die reduzierte Albuminmenge gesteigerten Plasmakonzentration und einer physiologischen oder pathologischen Reduktion der Nierenfunktion im Alter kann die häufige und lange Einnahme von NSAR bei älteren Personen mit einer gesteigerten Toxizität einhergehen [Chutka et al., 2004]. Zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen einer längerfristigen Einnahme von NSAR zählen gastrointestinale Symptome wie Gastritis oder Ulzera. In den USA sterben jährlich 16.000 Personen an den Folgen gastrointestinaler Komplikationen der Therapie mit NSAR [Wolfe et al., 1999]; aus diesem Grund ist die Verschreibung von NSAR bei Personen mit aktiver Gastritis oder einer Ulkusanamnese kontraindiziert. Andererseits wird die Kombination von NSAR mit Protonenpumpeninhibitoren insbesondere dann empfohlen, wenn eine Komedikation mit Glukokortikoiden, Selektiven SerotoninWiederaufnahme-Inhibitoren oder gerinnungshemmenden Medikamenten erfolgt, ein erhöhtes Lebensalter oder schwerwiegende Allgemeinerkrankungen vorliegen oder Herz- oder Nierenfunktionsstörungen bekannt sind [Maucher, 2021]. Besondere Vorsicht ist bei der Verschreibung von Diclofenac und selektiven Cyclooxygenase2-Inhibitoren wie Etoricoxib geboten; die Gabe von Diclofenac und Etoricoxib ist bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinsuffizient NYHA II–IV, Koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen) kontraindiziert. Für die Kombination von NSAR und Acetylsalicylsäure zur Prophylaxe und Therapie kardiovaskulärer Ereignisse wird außerdem seit Langem die Abschwächung der Wirkung von Acetylsalicylsäure diskutiert. Um dieses Problem zu umgehen, wird eine zeitlich versetzte Einnahme empfohlen [Alqahtani et al., 2018]. Auch Methotrexat (MTX) kann durch NSAR von seiner Bindungsstelle verdrängt werden. Dieses Phänomen ist weniger für die niedrig dosierte Therapie bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, sondern vielmehr im Rahmen der Chemotherapie relevant. In diesem Fall ist die gleichzeitige Gabe von NSAR kontraindiziert [Haas, 1999]. Da es unter NSARTherapie außerdem zu einer Reduktion des renalen Blutflusses kommt, kann die Wirkung von Diuretika, β-Blockern und ACE-Hemmern verändert sein. In Anbetracht der gerinnungshemmenden Eigenschaften von NSAR geht außerdem die gleichzeitige Gabe mit Thrombozytenaggregationshemmern und Antikoagulanzien mit einem erhöhten Blutungsrisiko einher. In solchen Fällen, in denen die alleinige Therapie mit Paracetamol nicht zielführend ist, wird – soweit nicht kontraindiziert – eine kurzfristige Gabe der NSAR für weniger als fünf Tage empfohlen [Khatchadourian et al., 2014; Szeto et al., 2020]. Fazit Neben den Einflüssen der Polymedikation im Speziellen bestehen enge Verbindungen zwischen oraler und systemischer Gesundheit. Durch die Zunahme altersbedingter Erkrankungen in der geriatrischen Bevölkerung ist diese Bevölkerungsgruppe besonders betroffen. Aufgrund der zentralen Stellung als Gesundheitsfürsorger, aber auch als langjähriger Begleiter geriatrischer Patienten besitzen Zahnärzte eine große Bedeutung für ältere Personen. Als häufig erster Ansprechpartner im Krankheitsfall steht dabei nicht immer der Zahn, sondern häufig die Medizin im Vordergrund. Eine ausführliche Anamnese und die Auseinandersetzung mit den allgemeinmedizinischen Implikationen der Pharmakologie für die orale Gesundheit bilden die Basis für die Einordnung oraler Pathologien in das medizinische Gesamtbild eines Patienten und ermöglichen eine individuell abgestimmte und sichere zahnärztliche Behandlung. zm113 Nr. 14, 16.07.2023, (1259) CME AUF ZM-ONLINE Polypharmazie – Implikationen für die Zahnmedizin Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie zwei CME-Punkte der BZÄK/DGZMK.
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