ZAHNMEDIZIN | 43 Charité in Berlin (www.embryotox.de) auch für pharmakologische Fragen im Umfeld des Stillens eine wertvolle Hilfe. Das Stillen Grundsätzlich ist die Muttermilch im ersten halben Lebensjahr die ideale Ernährung für Säuglinge [Koletzko et al., 2016]. Stillen, also die ausschließliche Ernährung des Säuglings oder Kleinkindes an der Brust, hat vielfältige positive Auswirkungen auf die Gesundheit des Kindes [Brettschneider et al., 2018; Horta und Victora, 2013]. Sowohl unter dem ganzheitlich medizinischen Aspekt als auch mit zahnmedizinisch-kieferorthopädischem Fokus profitieren Kinder vom Stillem in vielerlei Hinsicht. Vor diesem Hintergrund raten verschiedene Autoren sogar dazu, über das erste Lebensjahr hinaus ergänzend zur Beikost zu stillen [Kuminek et al., 2021; Mittelhammer, 2023]. Für das ausschließliche Stillen, das heißt, der Säugling erhält neben der Muttermilch keine weiteren Flüssigkeiten oder Beikost, hat die Nationale Stillkommission im Jahr 2004 vor dem Hintergrund der Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) folgende Empfehlung gegeben [Bundesinstitut für Risikobewertung, 2020]: Ausschließliches Stillen stellt in den ersten sechs Monaten für die Mehrzahl der Säuglinge die optimale Ernährung dar. Beikost sollte – in Abhängigkeit vom Gedeihen und der Essfähigkeit des Kindes – nicht später als zu Beginn des siebten Lebensmonats und keinesfalls vor dem Beginn des fünften Monats gegeben werden. Die Daten der repräsentativen „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGS) zeigen, dass nur sehr wenige Kinder bis zum sechsten Lebensmonat ausschließlich gestillt werden (Tabelle 1). Die mittlere Stilldauer für ausschließliches Stillen lag in der Untersuchungsgruppe der Geburtsjahrgänge 2012 bis 2016 bei 3,9 Monaten [Brettschneider et al., 2018]. Allerdings beendet knapp ein Viertel aller Frauen das Stillen aufgrund einer Medikamenteneinnahme [Gupta und Dadhich, 2007]. Die durchschnittliche Stilldauer (jegliches Stillen) beträgt seit Langem etwa acht Monate [Robert Koch-Institut, 2020]. Physiologische Aspekte des Stillens Zahlreiche Faktoren beeinflussen die Verteilung eines von der Mutter eingenommenen Medikaments im Körper und die Auswirkungen auf den gestillten Säugling. Die Wirkstoffe des Arzneimittels werden von der Mutter aufgenommen, verteilt, verstoffwechselt und substanzspezifisch renal oder hepatisch eliminiert. Nur ein Teil gelangt über die Blutbahn ins Milchbildungsgewebe. Der Substanzgehalt in der Muttermilch wird während der Laktation zumeist durch transzelluläre Transportprozesse (überwiegend passive Diffusion, seltener aktiver Transport) reguliert [Schäfer, 2010; Fischer et al., 2019; Ude und Burkhardt, 2020]. Medikamente gehen besonders leicht in die Milch über, wenn die Substanz gut fettlöslich / schlecht wasserlöslichist, eine geringe Molekülmasse hat (< 200 g/mol), alkalisch ist, einen geringen Ionisationsgrad hat, nur eine geringe Proteinbindung aufweist [Schäfer und Koch, 1998; Schäfer, 2010; Fischer et al., 2019; Ude und Burkhardt, 2020]. Besonders das Ausmaß der Proteinbindung eines Arzneistoffs entscheidet darüber, in welchem Umfang der Wirkstoff beim Stillen vom Säugling aufgenommen wird. So ist bekannt, dass bei einer Proteinbindung von mehr als 85 zm113 Nr. 15-16, 16.08.2023, (1361) Dr. med. Bertram Stitz Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe Hospital zum Heiligen Geist gGmbH Am Hospital 6, 34560 Fritzlar Foto: privat Prof. Dr. Dr. Andreas Neff Klinik und Poliklinik für Mund-, Kieferund plastische Gesichtschirurgie Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg FB 20 der Philipps-Universität Marburg Baldingerstraße, 35043 Marburg Foto: privat PD Dr. med. Dr. med. dent. Frank Halling Gesundheitszentrum Fulda, Praxis für MKG-Chirurgie / Plast. Operationen, Gerloser Weg 23a, 36039 Fulda und Klinik und Poliklinik für Mund-, Kieferund plastische Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg Baldingerstraße, 35043 Marburg Foto: privat PRÄVALENZEN ZUM AUSSCHLIESSLICHEN STILLEN (GEBURTSJAHRGÄNGE 2012–2016) Ausschließliches Stillen n (Anzahl der Studienteilnehmer) Prävalenz (in %) initial 1.367 67,7 2Monate 1.360 57,3 4Monate 1.331 40,0 6Monate 1.302 12,5 Tab. 1: Quelle: modifiziert nach [Brettschneider et al., 2018] AUSSCHLIEßLICHEN STILLEN
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