zm113 Nr. 17, 01.09.2023, (1440) 18 | POLITIK Mehr als die Hälfte der von 2005 bis 2017 kumulierten Mundkrebsfälle in Alberta wurden im Stadium IV diagnostiziert, wobei die Überlebensraten bei indigenen und ländlichen Bevölkerungsgruppen am niedrigsten waren. Oder die Verschreibungspraxis von Opioiden: Patienten erhalten trotz der kanadischen Opioidkrise und ohne jede Diagnose nicht selten ein Opioidrezept gegen Zahnschmerzen. Wie aber sollte die Regierung jetzt vorgehen? Das IRPP schlägt insbesondere vor, eine unabhängige Behörde einzusetzen, die von der Bundesregierung finanziert wird und an die die Provinzen ihre Kompetenzen abtreten, um verfassungsrechtliche Streitigkeiten zu vermeiden. „Eine zentrale Behörde könnte auch transparente Standards für den Versicherungsschutz in ganz Kanada festlegen und ein faires Verfahren zur Bestimmung des Leistungsumfangs schaffen", heißt es in dem Bericht. Diese Behörde würde auch die Zusammenarbeit mit der privaten Versicherung regeln, etwa indem sie Zusatzrechnungen und Upselling verbietet. „Unserer Ansicht nach sollte die Bundesregierung sowohl aus Gründen der Gerechtigkeit als auch der Effizienz das Ziel einer flächendeckenden zahnärztlichen Versorgung für einen Kernbestand an notwendigen Leistungen anstreben", bilanziert Flood. ck Flood, C., Allin, S., Lazin, S., Marchildon, G., Oliver, P, & Quiñonez, C. (2023). Toward a Universal Dental Care Plan: Policy Options for Canada. IRPP Insight 46. Institute for Research on Public Policy Levy, B.B., Goodman, J. & Eskander, A. Oral healthcare disparities in Canada: filling in the gaps. Can J Public Health 114, 139–145 (2023). https://doi. org/10.17269 ZUM ZAHNARZT GEHT, WER ES SICH LEISTEN KANN In Kanada sind die Provinz- und Territorialregierungen für die Verwaltung, Organisation und Bereitstellung von Gesundheitsdiensten für die Bevölkerung verantwortlich. Der Bund legt im „Canada Health Act“ (CHA) lediglich die Rahmenbedingungen für das Gesundheitssystem fest. Diese Aufgabenteilung führt dazu, dass Kanada 13 provinzielle/territoriale Krankenversicherungspläne hat. Das kanadische Gesundheitssystem „Medicare“ ist staatlich finanziert, bezahlt aber nur medizinisch notwendige Krankenhausund Arztleistungen. Der CHA verlangt daher von den Provinzen und Territorien keine Kostenübernahme für zahnärztliche Behandlungen, mit Ausnahme von chirurgischen Leistungen, die in Krankenhäusern erbracht werden – zum Beispiel die Extraktion eines infizierten Zahnes bei einem Krebspatienten. Aber diese Fälle kommen relativ selten vor. Der sehr begrenzte öffentliche Schutz wird in der Regel auch nur Sozialhilfeempfängern, Senioren und Kanadiern mit niedrigem Einkommen gewährt. Die meisten zahnärztlichen Leistungen werden daher über eine Privatversicherung abgedeckt oder/und aus eigener Tasche bezahlt. Oder aber man verzichtet ganz auf zahnmedizinische Pflege. Wie eine Kfz-Versicherung, die den Ölwechsel bezahlt, aber bei Unfällen nicht einspringt Offiziellen Schätzungen zufolge hatte 2020 ein Drittel (32 Prozent) der Kanadier überhaupt keinen Zahnversicherungsschutz. Die restlichen zwei Drittel waren zu 76 Prozent über ihren Arbeitgeber versichert, der eine Steuererleichterung für seinen Beitrag zur Prämie erhält. Experten zufolge ist der Begriff „Versicherung“ allerdings irreführend, da nur die routinemäßige Pflege abgesichert wird, während die jährlichen Deckungsgrenzen von in der Regel 2.000 US-Dollar nur wenig Schutz bieten, wenn es um kostenintensive Verfahren wie restaurative Leistungen geht. Dies sei vergleichbar mit einer Kfz-Versicherung, die die regelmäßigen Wartungsarbeiten und Ölwechsel bezahlt, aber bei Unfällen nicht einspringt, kritisieren sie. Der Prozentsatz der Kanadier mit mittlerem Einkommen, die die Kosten als Hürde bei der Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen sehen, sei demzufolge von 12,6 Prozent im Jahr 1996 auf 34,1 Prozent im Jahr 2009 gestiegen. Vor dem Canadian Health Measures Survey (CHMS), der von 2007 bis 2009 auch die Mundgesundheitsdaten der Kanadier erhoben hat, wurden die einzigen klinischen Daten dazu 38 Jahre zuvor gemessen. Krankenhausunterlagen über Einweisungen im Zusammenhang mit Zahnerkrankungen sind aufgrund konkurrierender Codes und mangelnder Vertrautheit damit im Krankenhausumfeld häufig ungenau. Obwohl die Ungleichheiten im Bereich Oral Health weiter zugenommen haben, wird laut Fachleuten voraussichtlich weit über ein Jahrzehnt vergehen, bis wieder ein aktualisierter Überblick über die Mundgesundheit in Kanada vorliegt. Kanada nimmt unter 31 OECD-Ländern den 27. Platz ein, was den prozentualen Anteil der Ausgaben für die zahnärztliche Versorgung durch staatliche Programme angeht. Foto:OECD
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