44 | ZAHNMEDIZIN und am siebten postoperativen Tag bei stabilen Wundverhältnissen und suffizienter Okklusion in die ambulante Weiterbetreuung entlassen werden konnte. Die pathohistologische Aufarbeitung des Resektats bestätigt eine 1,7 cm große, partiell nekrotische Läsion mit Manifestationen des vorbeschriebenen Plattenepithelkarzinoms. Aktuell befindet sich die Patientin im Rahmen der Tumornachsorge im engmaschigen klinischen Recall. Aufgrund der geringen Tumorgröße und nicht nachweisbarer lymphatischer Metastasierung konnte auf eine adjuvante Bestrahlung verzichtet werden. Die kürzlich erfolgte 12-Monats-CT-Kontrolle nach Therapie zeigte ein regelhaftes Ergebnis ohne Nachweis eines Lokalrezidivs oder pathologisch vergrößerter Lymphknoten (Abbildungen 4 und 5). Diskussion Das Mundhöhlenkarzinom zählt mit etwa 350.000 diagnostizierten Neuerkrankungen pro Jahr zu den sechs häufigsten malignen Tumorerkrankungen weltweit. Darunter repräsentiert das Plattenepithelkarzinom (PECA, OSCC) mit über 90 Prozent den größten Anteil bösartiger Tumorerkrankungen der Mundhöhle [Sung et al., 2021]. In Deutschland allein erkranken jährlich circa 14.000 Menschen an einem derartigen Karzinom mit einer deutlichen Dominanz aufseiten der männlichen Patienten (Inzidenz 24/100.000 Neuerkrankungen bei Männern gegenüber 10,7/100.000 bei Frauen in den Jahren 2017/18) [Erdmann et al., 2021]. Grund für die geschlechterspezifischen Abweichungen sind unter anderem das erhöhte Auftreten entsprechender Risikofaktoren in der männlichen Bevölkerung. Zu den Hauptrisikofaktoren für die Entstehung des Mundhöhlenkarzinoms zählt neben dem Rauchen der chronische Alkoholkonsum, wobei beide Noxen insbesondere in Kombination das Risiko der Karzinomentstehung signifikant potenzieren können [Blatt et al., 2016]. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei Frauen bei 66, bei Männern bei 64 Jahren [Erdmann et al., 2021]. Typische Prädilektionsstellen sind der Zungenrand, der Mundboden und die Alveolarfortsätze [Kämmerer et al., 2017]. Die Prognose des oralen Plattenepithelkarzinoms und dessen krankheitsbedingter Mortalität sind trotz fortschrittlicher, interdisziplinärer Therapiekonzepte mit einer FünfJahres-Überlebensrate von circa 50 Prozent in den vergangenen Jahrzehnten nahezu konstant [Marsh et al., 2011]. Bei Diagnosesicherung im Frühstadium hingegen kann die Überlebensrate 80 Prozent und mehr betragen [Brocklehurst et al., 2013]. Demgegenüber stellt das intraossäre Plattenepithelkarzinom eine seltene Neoplasie dar, die sich anhand ihrer klinisch-pathologischen Merkmale und histologischen Eigenschaften in verschiedene Subtypen untergliedern lässt [Geetha et al., 2015]. Die Einteilung intraossärer Karzinome des Kiefers leitet sich wie folgt aus dem Ursprungsgewebe der malignen Transformation ab [Woolgar et al., 2013]: 1. Speicheldrüsenkarzinome 2. Odontogene Karzinome 3. Primäre intraossäre Plattenepithelkarzinome (PIOSCC). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert das primäre intraossäre Plattenepithelkarzinom als ein seltenes epitheliales Malignom, das den Kiefer befällt, jedoch keine originäre Verbindung zur Mundschleimhaut hat und sich vermutlich aus Resten des odontogenen Epithels, einer odontogenen Zyste, einem Tumor oder deren gutartigen Vorstufen entwickelt [ElNaggar et al., 2017]. Die genauen pathophysiologischen Prozesse der wie im vorliegenden Fall beschriebenen malignen Transformation einer (rezidivierenden) Keratozyste in ein Plattenepithelkarzinom sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig verstanden, jedoch wird davon ausgegangen, dass eine länger bestehende entzündliche Mikroumgebung als Schlüsselfaktor für die maligne Entartung des Keratozystenepithels fungieren kann [Ye et al., 2021]. Einer Übersichtsarbeit von de Morais et al. aus dem Jahr 2021 zufolge manifestiert sich das intraossäre Plattenepithelkarzinom überwiegend im Bereich der posterioren Mandibula. Männer scheinen doppelt so häufig betroffenzu sein wie Frauen. Klinisch imponiert das PIOSCC häufig mit einer Auftreibung der Kortikalis. In einigen Fällen zeigen sich Schmerzen, je nach Lokalisation und Größe sind auch Parästhesien der Lippen oder des Gesichts möglich. Radiologisch präsentieren sich scharf begrenzte oder auch unregelmäßig konturierte Läsionen [de Morais et al., 2021]. Die innere Struktur erscheint in der Regel aufgrund ausbleibender spontaner Reossifizierung transluzent [Huang et al., 2009], was insbesondere vor dem Hintergrund der unspezifischen klinischen Beschwerden häufig die differenzialdiagnostische Unterscheidung zur benignen Zyste erschweren kann. Auch osteolytische Knochenveränderungen bis hin zu pathologischen Frakturen sind beschrieben [Zwetyenga et al., 2001]. Zahnlockerungen im Bereich von Osteolysen sind möglich, Wurzelresorptionen hingegen eher ungewöhnlich [Huang et al., 2009]. Da das PIOSCC keine spezifischen pathohistologischen Merkmale gegenüber metastatischen Prozessen eines regulären Plattenepithelkarzinoms aufweist, muss die Diagnose des primär ossären Plattenepithelkarzinoms immer in Zusammenschau der klinischen und histologischen Befunde getroffenwerden. Zu den diagnostischen Kriterien gehört neben den oben beschriebenen FaktoZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. CME AUF ZM-ONLINE Rezidivierende Keratozyste? Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie zwei CME-Punkte der BZÄK/DGZMK. zm113 Nr. 17, 01.09.2023, (1466)
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=