Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 17

48 | GESELLSCHAFT WIDERSTANDSKÄMPFER UND „STAATSFEINDE“ IM „DRITTEN REICH“ Ulrich Boelsen (1900-1990) – Mitglied des „Leuschner-Netzes“ Dominik Groß, Sarah Wellens Ulrich Boelsen gehörte zur kleinen Gruppe der Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime aus den Reihen der Zahnärzte. Er überlebte nicht nur die Zeit des „Dritten Reiches“, sondern trug nach Kriegsende in Neu-Isenburg maßgeblich zu einer geordneten politischen Übergabe bei. Zudem hinterließ er eine Art politisches Vermächtnis. Ulrich Ernst Boelsen kam am 7. April 1900 in Emden in Ostfriesland als Sohn des Ehepaares Wilhelm (1865-1930) und Auguste Boelsen, geborene Schumacher (1869-1929) zur Welt. Nach dem Abitur und einem kurzen militärischen Einsatz am Ende des Ersten Weltkrieges nahm er das Studium der Zahnheilkunde auf, das damals eine Regelstudienzeit von sieben Semestern umfasste. 1922schlosser seine akademische Ausbildung ab und erlangte die zahnärztliche Approbation [AZD 1925/26]. Anschließend war er für kurze Zeit als Zahnarzt in seiner Geburtsstadt Emden tätig. 1923 promovierte er an der Universität Frankfurt am Main „Ueber Mundschleimhauterkrankungen bei Bismogenolbehandlung“ zum Dr. med. dent. Als Doktorvater fungierte der jüdische Hochschullehrer und Geheimrat Karl Herxheimer (1861-1942). Herxheimer war einer der führenden Dermatologen seiner Zeit, Mitbegründer der Universität Frankfurt und erster Direktor der dortigen Universitäts-Hautklinik. Er sollte ab 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten verfolgt und am 6. Dezember 1942 im KZ Theresienstadt ermordet werden. Posthum wurde er Namensgeber der Karl-Herxheimer-Medaille, die von der „Deutschen Dermatologischen Gesellschaft“ bis heute für besondere Leistungen in diesem Fachgebiet verliehen wird [Notter 1994]. Boelsen war nach der Promotion zunächst in Frankfurt am Main als Zahnarzt tätig – erst in der Tölpitzstraße, dann in der Straße „Eiserne Hand“. Vor 1928 ließ er sich dann in eigener Praxis in der Friedensallee in Neu-Isenburg bei Offenburg nieder. Dort führte er zunächst kurzzeitig eine Sozietät mit dem Prothetiker und späteren Marburger Honorarprofessor August Elbrecht (1892-1944) [AZD 1925/26 und 1927/28]. Elbrecht gründete jedoch bereits Ende der 1920er Jahre in NeuIsenburg ein innovatives Dentallaboratorium, das auf den stahlartigen Werkstoff Wipla („Wie Platin“) spezialisiert war. In der Folge gelang Elbrecht die Entwicklung von partiellen Prothesen und Schienen aus V2A-Stahl; er ging als Namensgeber der „Elbrechtschiene“, einer abnehmbaren gegossenen „Parodontoseschiene“, in die Fachgeschichte ein [Groß 2022]. NachdemAusscheidenElbrechtsführte Boelsen in Neu-Isenburg eine Einzelpraxis – zunächst in der Bahnhofstraße, ab 1941 in der Roonstraße und ab 1946 in der Zeppelinstraße, wo er noch 1978 – im stattlichen Alter von 78 Jahren – praktizierte [DZB 1932/33 - 1941; ADDZ 1948; DZA 1953 - 1978]. Boelsen war verheiratet mit Auguste Gertrud Boelsen, geborene Zerrath (1902-1988). Bis zu seinem Lebensende wohnte er in Neu-Isenburg (Zeppelinstraße). Gründung des „LeuschnerNetzes“ in Neu-Ilsenburg Boelsen kämpfte im „Dritten Reich“ heimlich gegen das NS-Regime. Hierzu begründete er mit Gleichgesinnten in Neu-Isenburg eine Zelle des „Leuschner-Netzes“ beziehungsweise „Leuschnerkreises“ [Groß 2023; Bonavita 2023]. Letzterer ist benannt nach dem Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Widerstandskämpfer Wilhelm Leuschner (1890-1944). Axel Ulrich schrieb 1997 in seinem Buch „Polis. 20. Juli 1944“ über jene Zelle: „In NeuIsenburg existierte um den früheren Bibliotheksrat Dr. Wilhelm Weinreich, auch er Sozialdemokrat, den Arzt Dr. Hans Hayn sowie den Zahnarzt Dr. Ulrich Boelsen eine kleine Gruppe Oppositioneller, die an ihrer Peripherie aber bis zu 100 Personen erfasst haben soll; enge Verbindungen bestanden dort nach Frankfurt zu Christian Fries, ins Ruhrgebiet, sogar zur ‚Union deutscher sozialistischer Organisationen in zm113 Nr. 17, 01.09.2023, (1470) ZU UNSERER REIHE ZAHNÄRZTE ALS WIDERSTANDSKÄMPFER UND „STAATSFEINDE“ IM DRITTEN REICH 1. zm 17/2023: Ulrich Boelsen 2. zm 19/2023: Hermann Ley 3. zm 21/2023: Paul Rentsch 4. zm 23/24/2023: Helmuth Ellbrechter 5. zm 1-2/2024: Emanuel Berghoff 6. zm 3/2024: Rudi Glass 7. zm 5/2024: Helmut Himpel 8. zm 7/2024: Walter Rank 9. zm 9/2024: Ewald Fabian 10. zm 11/2024: Streitfälle (Otto Berger & Karl Eisenreich)

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