52 | GESELLSCHAFT zm113 Nr. 17, 01.09.2023, (1474) INTERVIEW MIT DOMINIK GROSS UND SARAH WELLENS „Es war schon eher die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“ Zahnärzte als Widerstandskämpfer und „Staatsfeinde“ im „Dritten Reich“ – diese neue Artikelreihe widmet sich einer Gruppe von Personen, die im Untergrund gegen das NS-Regime opponiert haben. Prof. Dr. Dr. Dr. Dominik Groß und Sarah Wellens vom Uniklinikum der RWTH Aachen haben erstmals die Biografien von zehn „Widerständlern“ aufgespürt, für die zm aufgearbeitet und damit die Geschichte des Berufsstandes um eine neue Facette erweitert. Ein Interview mit dem Autorenteam. Sie haben mit Porträts über Zahnärzte als Widerstandskämpfer im NS-Regime eine bislang kaum beachtete Personengruppe wissenschaftlich aufgearbeitet. Wie kam es dazu, und warum jetzt?“ Dominik Groß: Die Frage ist sehr berechtigt: Das Forschungsprojekt, das wir von 2017 bis 2020 für die Bundeszahnärztekammer, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde durchführten, war auf die Täter und auf die Verfolgten des Nationalsozialismus fokussiert. Das war, gemessen am finanziellen Volumen, schon ein sehr umfangreiches Forschungsprogramm. Bestimmte Aspekte und Themen mussten wir bei diesem Projekt ausblenden: zum Beispiel Detailstudien zur Zwangsarbeit in zahnärztlichen Praxen, Untersuchungen zum Ausmaß an Zwangssterilisationen bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und eben auch die mögliche Rolle von Zahnärzten in der Widerstandsbewegung und in der politischen Opposition. Letzteres hatte ich aber stets im Hinterkopf, weil es mich persönlich besonders interessiert hat. Diese Personen aufzuspüren und Fakten über sie zusammenzutragen, war bestimmt sehr aufwendig. Was waren die größten Herausforderungen? Groß: Die größte Herausforderung war tatsächlich, überhaupt an alle Namen heranzukommen, also die Personen erst einmal zu identifizieren. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die betreffenden Zahnärzte nicht oder nur oberflächlich bekannt gewesen. So schön es auch wäre: Es gibt leider bislang keine „fertigen“ Listen von Widerstandskämpfern oder politisch oppositionellen Personen, die man auf die Schnelle mit dem Suchbefehl „Zahnarzt“ screenen könnte. Es war also schon eher die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die zweite Herausforderung betrifftdie Ressourcen: Solche Recherchen sind sehr zeit- und personalintensiv. Auch für mich als Leiter eines Forschungsinstituts ist das ein Knackpunkt. Die Lehrverpflichtungen an der Fakultät und die fremdfinanzierten Forschungsprojekte müssen ja stets Vorrang haben vor solchen „Herzensprojekten“, die ohne finanzielle Förderung daherkommen. Wie sind Sie bei Ihrer Recherche vorgegangen? Groß: Ich habe versucht, das Thema von mehreren Seiten anzugehen und so handhabbar zu machen. Zum Ersten habe ich ja bereits vor über 30 Jahren begonnen, eine biografische Sammlung von Zahnärzten, MKG-Chirurgen und Dentisten anzulegen. Daraus ist mit der Zeit ein Fundus von mehr als 4.000 Personen geworden, die ich in unterschiedlicher Detailliertheit digital erfasst habe. Dort konnte ich erste oppositionelle Zahnärzte identifizieren. Zum Zweiten liegen mir alle gedruckten Zahnärzte-Bücher der Zeiträume vor 1933, zwischen 1933 und 1945 sowie nach 1945 vor; hier findet man alle registrierten Zahnärzte mit ihren Geburtsjahren und Wohnorten. Auch wichtige standespolitische Funktionen sind dort verzeichnet. So kann man zum Beispiel immerhin feststellen, welche Fachvertreter im Verlaufe des „Dritten Reiches“ aus den Verzeichnissen verschwinden und/oder ihre Posten verlieren. Zum Dritten gibt es ein am 1. Oktober 1934 erschienenes „Verzeichnis der nichtarischen und staatsfeindlichen Ärzte, Zahnärzte und Dentisten“ der Krankenkasse der Deutschen Angestellten. In dieses Verzeichnis setzte ich die größtenHoffnungen, wobei sich letztlich zeigte, dass es fast keine nichtjüdischen Heilpersonen auflistet. Und zum Vierten habe ich die verfügbare Sekundärliteratur zur Widerstandsbewegung im „Dritten Reich“ systematisch auf Personen und deren Berufe überprüft. Der Zeitbedarf bei eiProf. Dr. med. dent. Dr. med. Dr. phil. Dominik Groß ist Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Vorsitzender des Klinischen EthikKomitees des Universitätsklinikums der RWTH Aachen. Foto: UK Aachen
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