64 | ZAHNMEDIZIN KLINISCHE PARAMETER BEI FRÜHZEITIGER EXTRAKTION DES SECHSJAHRMOLAREN Ist ein spontaner Lückenschluss vorhersagbar? Christoph Reichert, Anne-Katrin König, Jennifer Antritter, Caroline Wessel, Jessica Zenner Die klinische Erfahrung zeigt: Wird ein kariös tief zerstörter Sechsjahrmolar bei Kindern frühzeitig extrahiert, kommt es nicht selten zum spontanen Lückenschluss – ganz ohne kieferorthopädische Behandlung. Die Extraktion im frühen Kindesalter ist jedoch eine weitreichende Entscheidung, so dass es hilfreich wäre, klinische Parameter zu haben, die den Prozess vorhersagbar machen. Der Beitrag zeigt mögliche Entscheidungskriterien und präsentiert vier Fälle. Es ist eine respektable Leistung der deutschen Zahnärzteschaft, dass die Kariesinzidenz in den vergangenen Jahrzehnten durch nachhaltige Prophylaxe und Aufklärung in Kindergärten, Schulen und Praxen einen deutlichen Rückgang erfahren hat. Der Verlust eines ersten Molaren wurde zur Seltenheit – doch inzwischen ist die Problematik durch die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation vermehrt wieder in den Fokus gerückt [Jordan et al., 2016]. Der erste Molar nimmt eine Schlüsselrolle im Gebiss ein. Ein früher Verlust kann durch Kippungen der Nachbarzähne und durch okklusale Interferenzen zu einer erheblichen Störung der Okklusionsentwicklung führen. Insbesondere bei jungen Patientinnen und Patienten stellt sich die Situation problematisch dar, da wegen des Wachstums definitive prothetische Versorgungsansätze kaum zu realisieren sind und Platzhalter im wachsenden Gebiss häufiger Adaptationen bedürfen. Neben der prothetischen Versorgung oder der Autotransplantation von Zähnen stellt der kieferorthopädische Lückenschluss einen differenzialtherapeutischen Lösungsansatz in der Patientenversorgung dar. In einer epidemiologischen Studie [Albadri et al., 2007] an drei britischen Zentren wurden Daten von 300 Patienten mit einer Indikation zur Extraktion eines ersten Molaren untersucht. Man beobachtete in 25 bis 48 Prozent der Fälle eine Indikation zur Ausgleichsextraktion weiterer Molaren. Indikationen für die Extraktion waren zu 70 Prozent Karies und zu elf Prozent eine Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation. Die Behandlungen erfolgten meist um das elfte Lebensjahr und in 47 bis 77 Prozent der Fälle war eine Allgemeinanästhesie erforderlich. DerkieferorthopädischeLückenschluss nach dem Verlust erster Molaren ist insbesondere im Unterkiefer eine große Herausforderung. Zwar können verschiedene Einflussfaktoren – zum Beispiel Engstände, ein frontal offener Biss, hyperdivergente Basen und entsprechende Verankerungsstrategien – den Erfolg dieser Maßnahmen begünstigen, doch die Behandlung ist sehr aufwendig, beinhaltet einige Risiken und zieht meist eine lang andauDer kieferorthopädische Lückenschluss nach dem Verlust erster Molaren ist insbesondere im Unterkiefer eine große Herausforderung. Foto: Christoph Reichert zm113 Nr. 17, 01.09.2023, (1486) Dr. med. dent. Anne-Katrin König Dres. König Zahnärzte Endodontische Schwerpunktpraxis Kurbrunnenstr. 9, 67098 Bad Dürkheim Foto: Hans-Georg Merkel PD Dr. Christoph Reichert Fachzahnarzt für Kieferorthopädie Mannheimer Str. 16, 67098 Bad Dürkheim Foto: Benedikt Kranz
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