Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 17

ZAHNMEDIZIN | 67 die Datenlage nicht ausreichend, um die Maßnahme umfassend empfehlen zu können. Aus unserer bisherigen Erfahrung hat die Maßnahme aber eine sehr hohe Erfolgsquote, sogar wenn man das Zeitfenster zur Extraktion etwas überschritten hat oder nicht alle Entscheidungsparameter positiv beschieden sind. Da die Extraktion des ersten Molaren eine sehr weitreichende Entscheidung ist, sollte sie nur mit größter Vorsicht und im Konsens aller beteiligten zahnmedizinischen Fachdisziplinen getroffen werden. Und da die Indikation bereits in einem sehr jungen Alter gestellt wird und die Extraktion üblicherweise erst stattfindet, wenn alle zahnerhaltenden Maßnahmen erfolglos angewandt wurden, ist es von großer Wichtigkeit, den Patienten und seine Erziehungsberechtigten frühzeitig in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Die Extraktion des ersten Molaren ist definitiv kein Routineeingriff, dennoch sollte sie fester Bestandteil einer Beratung bei einer ausgeprägten Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation sein. In jedem Fall sind eine gute Diagnostik und eine vorausschauende kieferorthopädische Planung erforderlich. Empfehlenswert sind ein frühes kieferorthopädisches Konsil und ein engmaschiger Recall, um den „idealen“ Zeitpunkt zur Extraktion nicht zu verpassen. Da mitunter ein langer Zeitraum zwischen der Extraktion des ersten Molaren und der Eruption des zweiten liegt, sind komplementäre Maßnahmen, etwa das Eingliedern eines Lückenhalters, zu bedenken, um einerseits eine Übereruption des Antagonisten oder eine Distaldrift der intramaxillären Dentition andererseits zu vermeiden. In der Praxis hat sich ein je sechsmonatiges Recallintervall in der kieferorthopädischen wie in der hauszahnärztlichen Praxis bewährt, so dass alternierend eine vierteljährliche Kontrolle der Situation stattfindet und bei Bedarf schnell interveniert werden kann. Komplementäre Maßnahmen aus zm113 Nr. 17, 01.09.2023, (1489) PATIENTENFALL 3: NEUNJÄHRIGE PATIENTIN MIT HYPOMINERALISATIONSSTÖRUNG AN ZAHN 36 Foto: Praxis PD Dr. Christoph Reichert Abb. 3a, b: Klinische und radiologische Situation aus dem Jahr 2021. Der Zahn 36 hat eine Hypomineralisationsstörung und weist eine starke Destruktion auf. Nebenbefundlich erkennt man einen posterioren Engstand und einen hohen Zerstörungsgrad des Zahnes 16. Von den Entscheidungsparametern von Teo et al. [Teo et al., 2016] lag auch hier keine Mesialangulation des Zahnes 37 vor. Foto: Praxis Dres. König Abb. 3c: Da nicht alle Parameter zutrafen und man im Fall zuvor einen unerwünschten Distaldrift der Prämolaren beobachtete, entschied man sich für eine Hemisektion des Zahnes 36, um für einen möglichen kieferorthopädischen Restlückenschluss das Knochenangebot zu erhalten. In Vorbereitung auf die Hemisektion wurde eine Pulpaamputation der vitalen Pulpa des Zahnes 36 mit anschließender direkter Überkappung mittels hydraulischem Kalziumsilikatzement (Biodentine, Septodont) und adhäsiver Deckfüllung durchgeführt. Dieses Vorgehen hatte zudem den Vorteil, dass durch Prämolarisierung des mesialen Anteils bei unvollständigem Lückenschluss eine weitere Therapieoption zur Verfügung stand. Abbildung 3c dokumentiert die Verlaufskontrolle aus dem Jahr 2023, vor Aufnahme der kieferorthopädischen Therapie. Der Zahn 37 nahm das volle Raumangebot ein und es fand keine Bewegung der Prämolaren nach distal statt. Foto: Praxis PD Dr. Christoph Reichert ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. a c b

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