28 | TITEL zm113 Nr. 18, 16.09.2023, (1562) lung in einer Rettungsstelle vor oder nach der zahnärztlichen Behandlung in jedem Fall indiziert. Im Rahmen der intraoralen Diagnostik sollten zunächst funktionelle Einschränkungen (bei Mundöffnung und -schluss) eruiert sowie die Kiefergelenke abgetastet werden (Abbildung 13). Im dritten Schritt ist eine visuell-taktile Beurteilung der Alveolarfortsätze und der intraoralen Weichgewebe zum Ausschluss von Frakturen, Bissverletzungen oder Fremdkörpereinlagerungen notwendig (Abbildung 14). Im letzten Schritt sollten die dentalen Verletzungen eingehend untersucht werden. Anhand eines solchen strukturierten Vorgehens können erste Anzeichen für Knochenfrakturen erkannt und nach der Interpretation der radiologischen Bildgebung kann eine Weiterbehandlung durch die MundKiefer-Gesichtschirurgie eingeleitet werden. Der hier beschriebene Fall zeichnet sich klinisch durch sogenannte unsichere Frakturzeichen aus. Dazu gehören Schmerzen, Schwellungen, Hämatome, Bewegungseinschränkungen und Sensibilitätsstörungen [Breusch et al., 2009]. Einen weiteren klinischen Anhalt auf eine Fraktur des Unterkiefers gab im vorliegenden Fall die einseitige Abplatzung des adhäsiv befestigten Retainers, die auf eine hohe punktuelle Krafteinwirkung mit einer zumindest vorübergehenden Dislokation einer Kieferhälfte hindeutete. Zudem waren die Zähne 41 und 42, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Frakturspalt befanden, gelockert. Bei stark dislozierten Frakturen der Mandibula beobachtet man dagegen „sichere Frakturzeichen“, also Dislokationen und Hypermobilitäten von Knochenfragmenten, Kiefersperren, Krepitationen, sichtbare Knochenfragmente und Stufenbildungen beziehungsweise Knochenfehlstellungen [Gujer et al., 2013]. Obwohl zweidimensionale Röntgenaufnahmen wie Panoramaschichtaufnahmen oder Spezialprojektionen weiterhin in der Praxis zur Sicherung einer Frakturdiagnose verwendet werden, ist die Computertomografie der aktuelle Goldstandard für die simultan durchgeführte Diagnostik und Therapieplanung [Stanford-Moore und Murr, 2022]. Diese Empfehlung stützt sich auch auf eine Untersuchung, der zufolge CTs bei der Erkennung von Unterkieferfrakturen eine nachweislich höhere Sensitivität (100 Prozent) aufweisen als Panoramaschichtaufnahmen (86 Prozent) [Wilson et al., 2001]. Digitale Volumentomografien werden in der Literatur für die Diagnostik von Mittelgesichts- und Unterkieferwinkelfrakturen ebenfalls empfohlen und stellen – nicht zuletzt wegen der geringeren Strahlenbelastung – eine Alternative zur CT dar [Schulze et al., 2004; Heiland et al., 2004]. Zurzeit existiert in Deutschland keine Leitlinie für die Diagnostik und Versorgung von Unterkieferfrakturen. Im vorliegenden Fall konnte durch eine systematische klinische Diagnostik zunächst die Verdachtsdiagnose einer medianen Unterkieferfraktur gestellt werden, die durch eine dreidimensionale Bildgebung gesichert werden konnte. Abb. 14: Strukturierter intraoraler Befund für die Diagnostik von dentalen Traumafällen Teil 2 (entwickelt für das Dentale TraumaBoard des CharitéCentrums 03 für Zahn-, Mundund Kieferheilkunde, Charité – Universitätsmedizin Berlin) STRUKTURIERTER INTRAORALER BEFUND FÜR DIE DIAGNOSTIK VON DENTALEN TRAUMAFÄLLEN TEIL 2 ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. n
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