Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 18

88 | ZAHNMEDIZIN DER BESONDERE FALL MIT CME Prolongierte Nachblutung nach Zahnextraktion Daniel Stephan, Peer W. Kämmerer Vermehrte Blutungsereignisse nach Zahnextraktionen sind bei multimorbiden Patienten weniger überraschend als bei Gesunden. Wenn die Blutungen jedoch im hauszahnärztlichen Setting nicht mehr kontrollierbar sind, muss nach der Ursache gesucht werden. Im vorliegenden Fall ergab eine umfangreiche Diagnostik schließlich eine seltene Autoimmunerkrankung. Ein 82-jähriger Patient stellte sich mit ausgeprägter Nachblutung nach alio loco erfolgter Extraktion mehrerer Seitenzähne im ersten Quadranten unter Apixaban-Therapie vor. Seit der drei Tage zuvor durchgeführten Zahnextraktion war es zu rezidivierenden Blutungsereignissen gekommen, die initial von der Hauszahnärztin versorgt wurden, zuletzt von ihr aber nicht mehr kontrollierbar waren, weshalb der Patient überwiesen wurde. Hier konnte die Blutung nach der Durchführung der Wundrevision und der lokalen Anwendung hämostyptischer Maßnahmen vorerst gestoppt werden. Aufgrund des bis dahin aufgetretenen Blutverlusts und des reduzierten Allgemeinzustands wurde der Patient zur weiteren Überwachung stationär aufgenommen. Es präsentierte sich ein multimorbider Patient mit 3-Gefäß-KHK und Zustand nach multipler Stentimplantation (RCA, RIVA, RPDL) sowie anamnestisch bekanntem Aneurysma der Aorta ascendens, Vorhofflimmern, Tinnitus und Glaukom. Zusätzlich zeigten sich in der körperlichen Untersuchung ausgeprägte faziale und cervikale Hämatome (Abbildung 1). Bereits im Aufnahmelabor ließ sich eine ausgeprägte Thrombozytopenie mit einer Thrombozytenanzahl von gerade einmal 1.000/µL nachweisen. Unter Einbeziehung der Kollegen der Hämatoonkologie wurde die Verdachtsdiagnose einer Immunthrombozytopenie gestellt. Nach der Transfusion eines Thrombozytenkonzentrats und der Einleitung einer HochdosisGlukokortikoid-Therapie mit Prednison (100 mg/d) zeigte sich ein suffizienter Anstieg der Thrombozytenzahl auf über 20.000/µL. Nach wiederholter Anwendung hämostyptischer Maßnahmen ließ sich auch die intraorale Wundsituation stabilisieren (Abbildung 2), so dass im weiteren stationären Verlauf keine erneuten Blutungsereignisse auftraten. Weiterhin ließ sich anhand des Blutbilds des Patienten eine Anämie (Hb 10,2 g/dL) nachweisen, allerdings ohne Manifestation klinischer Symptome. Aufgrund des Verdachts einer autoimmunhämolytischen Anämie wurden zwei Erythrozytenkonzentrate auf Abruf bereitgehalten, mussten aber bei stabilem Verlauf ohne weitere HB-Abfälle nicht transfundiert werden. In enger Zusammenarbeit mit den Kollegen der Hämatoonkolgie besserte sich der Allgemeinzustand des Patienten, so dass er nach einer Woche mit einer stabilen und zeitgerechten Wundsituation entlassen werden konnte. Folglich wurde die Abklärung der Grunderkrankung im ambulanten Rahmen weitergeführt. Ohne wegweisende autoimmunologische Diagnostik mit negativen Antinukleären, CCP-, Cardiolipin-IgM-, CardiolipinIgG- und Doppelstrang-DNS-Antikörpern sowie negativen pANCA, cANCA und Rheumafaktor erfolgte außerdem der radiologische Ausschluss eines Lymphoms. Eine paroxysmal nächtliche Hämoglobinurie wurde mittels Durchflusszytometrie ebenso ausgeschlossen. Insgesamt zeigten sich alle durchgeführten Untersuchungen ohne pathologischen Befund, auch Auto-Antikörper konnten im mehrfach durchgeführten Coombs-Test nicht nachgewiesen werden. Hepatitis B und C sowie die HIV-Serologie zeigten sich negativ und alle Schilddrüsenparameter normwertig. Bei simultan erfolgtem Ausschluss eines myelodysplastischen Syndroms oder Non-Hodgkin-Lymphoms durch Knochenmarkspunktion präsentierte sich altersbezogen deutlich hypozelluläres Knochenmark mit einer trilineär gesteigerten, atypiefreien Hämatopose bei geringgradiger Lymphoplasmozytose, vereinbar mit einem erhöhten Abb. 1: 82-jähriger Patient mit ausgeprägten fazialen und cervikalen Hämatomen bei der Aufnahmeuntersuchung Foto: Universitätsmedizin Mainz zm113 Nr. 18, 16.09.2023, (1622)

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