Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 19

GESELLSCHAFT | 39 Organisationen und Gruppierungen. Ley war zweifellos stärker von Repressionenbetroffen als Boelsen: Seine politische Einstellung war den Nationalsozialisten schon vor dem Machtwechsel bekannt, hatte nach 1933 seine Einordnung als „Staatsfeind“ zur Folge und führte zu etlichen repressiven Maßnahmen wie der Zwangsexmatrikulation und diversen Inhaftierungen. Auffällig ist auch, dass beide Zahnärzte nach Kriegsende mit den Besatzungsmächten eng zusammenarbeiteten: Boelsen übernahm in der Amerikanischen Besatzungszone politische Funktionen, Ley in der Sowjetischen Zone. Promotion zur „Rassenhygiene“ Doch im Lebenslauf von Ley gibt es einen Aspekt, der im Kontrast zur übrigen Vita steht und auch in der DDR weitgehend ausgeblendet blieb: Sein Promotionsprojekt am Ende des „Dritten Reiches“. Ley promovierte bei dem bekannten Leipziger „Rassehygieniker“ Gustav Ernst Gerhard Dresel. Dieser war unter anderem Mitglied der NSDAP, der SA und der SS. 1945 wurde Dresel aufgrund seiner politischen Belastung von der amerikanischen Besatzungsbehörde verhaftet; der Lehrstuhl wurde ihm zugleich entzogen. Es muss überraschen, dass Ley eine Doktorarbeit bei Dresel annahm, die noch dazu explizit im Bereich der „Rassenhygiene“ angesiedelt war. Sie betraf „Die Erkrankung der Zähne und ihre Beziehung zur Rasse“. Noch mehr überrascht der Tenor der Arbeit, die in Systematik und Wortwahl stark auf die NS-„Rassenhygiene“ Bezug nimmt. Ley untersuchte 1.955 Soldaten „auf rassische Zugehörigkeit und ihre Gebißverhältnisse“ und kam zu dem Ergebnis, dass „rassische“ Faktoren bei den „Gebißverhältnissen“ eine weit größere Rolle spielten als Umwelteinflüsse. Zudem gab er an, bei bestimmten „Rassen“ eine höhere Kariesresistenz zu erkennen als bei anderen. Seine Resultate fasste er folgendermaßen zusammen: „1. Die langschädelig langgesichtigen Rassen erwiesen sich als kariesanfälliger und mehr zu Zahnstellungsunregelmäßigkeiten neigend als die breitschädelig-breitgesichtigen Rassen. 2. Dinarische Kiefer zeigten besonders schlechte Verhältnisse […]. 5. Die Umweltverhältnisse, bei mir vertreten durch Herkunft und Beruf, erwiesen sich bei meiner Untersuchung als nicht ausschlaggebend. Sie traten hinter den Gesamtverhältnissen unserer Kulturstufe zurück“ [Ley 1944, 39f.]. Was bewog einen nachweislichen Gegner der NS-Ideologie zur Annahme eines „rassenhygienischen“ Themas und zu stark („rassen“)ideologisch eingefärbten Aussagen? Eine handfeste Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Ein Erklärungsansatz wäre, dass Ley 1943 nur diese eine Option auf eine Promotion vorfand und sich vor diesem Hintergrund dazu entschloss, das Thema – ohne innere Überzeugung – „abzuarbeiten“ und mit dem politisch gewünschten Ergebnis zu versehen. Hierfür spricht, dass Ley die Untersuchungen zu dieser Arbeit während seines Kriegsdienstes an Soldaten vornehmen konnte; die Themenstellung bot somit sehr günstige zeitliche und arbeitsökonomische Rahmenbedingungen. Ein zweiter Erklärungsansatz besteht darin, dass Ley in der Übernahme des Themas die Möglichkeit zu einer ideologischen „Tarnung“ sah, das heißt, dass er so den Eindruck einer politischen „Läuterung“ erwecken und sich hierdurch vor weiteren Repressionen schützen konnte. In jedem Fall liefert der Exkurs Leys in die NS-„Rassenhygiene“ ein eindrucksvolles Beispiel für die historische Tatsache, dass sich viele Lebensverläufe nicht einfach den Kategorien „schwarz“ oder „weiß“ zuordnen lassen. Vielmehr zeigen etliche Biografien in einer retrospektiven Analyse (scheinbare) Widersprüche und Brüche. Der Neuzeithistoriker Thomas Nipperdey (1927–1992) brachte dieses Phänomen mit einer vielzitierten Feststellung auf den Punkt: „Die Grundfarbe der Geschichte ist grau, in unendlichen Schattierungen.“ zm113 Nr. 19, 01.10.2023, (1689) ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. „ There is nosubstitutefor quality Einer für fastalles Jetzt bestellen! busch-dentalshop.de Universal Kronentrenner mit besonders effektiver Diamantverzahnung • schnell • vibrationsarm • bruchfest Ideal für alle Metalle, NEM und Keramik.

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