Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 19

44 | ZAHNMEDIZIN Neue Materialien So gut Calciumhydroxid in Richtung der Pulpa wirkt, so hat es doch bei der weiteren Versorgung der Kavität den Nachteil mangelnder Verbundfestigkeit. Deshalb versucht man seit Jahrzehnten seitens der Industrie, stabilere Materialien auf Calciumhydoxidbasis zu entwickeln. Seit einiger Zeit drängen sich Calciumsilicat-Zemente zur direkten Überkappung in den Vordergrund mit immer wieder unterschiedlichen Zusammensetzungen und nur wenig Evidenz im Vergleich zum Goldstandard Calciumhydroxid. Immerhin liegen drei experimentelle Studien an Schweinen und eine an non-humanen Primaten vor [Andrei et al., 2021]. Eine abschließende Beurteilung der Biokompatibilität steht noch aus, eine Überlegenheit gegenüber Calciumhydroxid konnte bisher nicht gezeigt werden. Bis in die jüngste Zeit wurden Vergleiche von Pulpaüberkappungsmitteln mit Dycal® (Dentsply) als angebliches Calciumhydroxid-Präparat vorgenommen. Diese Vergleiche sind aber problematisch, weil Dycal® seit der Einführung vor 50 Jahren aus einem Glycolsalicylat in der Basispaste mit Calciumhydroxid in der Katalysatorpaste besteht und nicht klar ist, ob in diesen Rezepturen überhaupt genügend freies Calciumhydroxid vorhanden ist. Ohne den direkten Gewebekontakt von freiem Calciumhydroxid entsteht gar keine begrenzte Nekrosezone, die die Voraussetzung für die Reparaturheilung der Pulpa ist, sondern eine akute Entzündung. Im Tiermodell ging diese Entzündung einer Studie aus dem Jahr 1974 zufolge nach rund zwölf Wochen in eine sistierende chronische Entzündung über. Dabei gibt es auch Dentinbrücken in unterschiedlichen Entfernungen von der Überkappung, was seither als Stand der Wissenschaft gelten kann [Tronstadt, 1974]. Biokompatibilität prüfen Die biologische Verträglichkeit der Arzneimittel und Medizinprodukte ist die Voraussetzung für die Linderung von Beschwerden und für die Heilung. Das gilt für alle Organe, also auch für die Haut, aber nicht für die Hautanhangsgebilde wie die Zähne. Kurzfristig haften keine Pflaster, Lotionen oder Wundsalben wie bei Hautläsionen, sondern nur alloplastische Füllungsmaterialien mit längerem oder lebenslangem unmittelbarem Zahnkontakt. Sie haben zwei Aufgaben: die funktionelle/kosmetische Wiederherstellung des Zahnes und den Pulpaschutz. Die Zahnfüllungen gehören mit mittlerem Risiko in die Klasse IIa der gesetzlichen Überwachung von Medizinprodukten (Medizinprodukte-Gesetz, MedizinprodukteVerordnung). Dieses Risiko besteht – meist vernachlässigbar durch Elution (Auswaschen) von Spuren von Inhaltsstoffen der Füllungsmaterialien – im Hinblick auf Speichel und Schleimhaut, hauptsächlich jedoch in toxischen Effekten auf die Pulpa. Deshalb ist der Pulpaschutz an vitalen Zähnen bei jedem Therapieschritt an exponiertem Dentin die primäre Sorgfaltspflicht. So betrachten es auch die aktuellen Normen der Bestimmung der Biokompatibilität aller dentalen Biomaterialien, die Teil von zm113 Nr. 19, 01.10.2023, (1694) Abb. 10a: Dichte Glasionomerzementfüllung am Schweine-Zahn: Serienschliff ohne Leakage Foto: Gängler / Schwarz Abb. 10b: Rand-Makroleakage und Boden-Mikroleakage an undichter Füllung: Die bakterielle Besiedlung hat keinen Einfluss auf die Pulpareaktionen, die Kavitätennähe zur Pulpa hat dagegen einen großen Einfluss auf die Entzündungsauslösung (Abbildungen 8 vs. 9). Foto: Gängler / Schwarz Abb.11: Normale/gestörte Reizdentinbildung (oben) bei einem Pulpa-Dentin-Anwendungstest an non-humanen Primaten: Aspiration von Odontoblasten-Kernen (unten) in Dentintubuli (freundlicherweise von K. Langeland) Foto: K. Langeland

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