Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 19

ZAHNMEDIZIN | 45 ISO 10993-1-20 2018-2021 sind. Das 20-teilige Risikomanagement behandelt Themen wie Tierschutzbestimmungen in der Prüfung bis hin zur Kontrolle von Abbauprodukten. Detaillierter sind die Prüfnormen ISO/TC106 7405-2018 für Dentalmaterialien, die alle fünf Jahre dem wissenschaftlichen Stand angepasst werden und sich deshalb aktuell im Revisionsprozess befinden. Sie regeln in der Pulpa-Dentin-Anwendungsprüfung Ziel, Vorbereitung der Tiere, histologische Schnitte und in der Auswertung die Überlebensrate von Odontoblastenzellen und die verbleibende Dentindicke. Dabei wird in Serienschnitten ein vollständiges Bild der Entzündungskaskade der Pulpa erhoben, das in keinem Zytotoxizitätstest erreicht werden kann. Die deutsche Medizinprodukte-Verordnung (MPV) wird die Übergangsfristen für Produkte mit mittlerem Risiko wahrscheinlich bis zum 31.12.2028 verlängern. Für alle neueren Produktfamilien gelten die Prüfnormen ISO 10993 und 7405 uneingeschränkt. Es gibt aber gerade für die Füllungsmaterialien außer wenigen universitären Enthusiasten niemanden, der sich für die Anwendungsprüfung verantwortlich fühlt. Neben unzählbaren Zytotoxizitätstests gibt es nur vereinzelt Tierversuche, die aber meist nicht ISO-konform durchgeführt wurden. Sie sind aber für die Zahnerhaltung unverzichtbar und sollten an omnivoren (SPF-Schweine) und rodenten Dentitionen (RattenMolaren-Anwendungstest und InzisiviVitalmikroskopie-Test) wie früher auch an non-humanen Affen durchgeführt werden. Eine japanische Gruppe hat jüngst ein Karies-induziertes Pulpitismodell an Rattenmolaren für die vitalerhaltende Therapie nach direkter Überkappung vorgeschlagen [Huang et al., 2023]. Hunde mit einer carnivoren Dentition sind für Pulpatests ungeeignet, weil deren Zähne kaum einer natürlichen Abrasion und Attrition ausgesetzt sind und deshalb keine größeren Pulparäume zum Ausgleich des Substanzverlusts besitzen. Die Mikro- und die Systemzirkulation als Hauptträger der Entzündungskaskade sind kardinal anders aufgebaut. In-vitro-Zellkultur-Modelle zum Beispiel aus Hühnerembryonen oder Rattenzähnen sowie Tooth-on-achip-Modelle sind bisher zu primitiv und können weder die Strukturen noch die Funktion des Dentin-Pulpa-Komplexes vollständig simulieren [Rodrigues et al., 2021]. Außerdem ignorieren diese Studiendesigns die modernen Konzepte multikausaler und vernetzter Wirksysteme aus Mikrobiomen und dem Wirt. Das Oralom als „dynamische Interaktion, orchestriert zwischen der ökologischen Gemeinschaft aller oralen Mikroorganismen [...] und dem Wirt“ [Radaic und Kapila, 2021] kann mit In-vitro-Zytotoxizitätstests nicht im Ansatz abgebildet werden. Der beste Test des Pulpaschutzes ist deshalb ein standardisiertes Tiermodell und der zu prüfende Parameter ist klinisch die langfristige Erhaltung vitaler Zähne. Die ISO-Normen der unverzichtbaren Tierversuche, die neben der Humanmedizin natürlich auch für die Veterinärmedizin von klinischer Bedeutung sind, werden einerseits regelmäßig auf den aktuellen Stand gebracht. Und andererseits sind die Regelwerke für langfristige, klinisch kontrollierte, randomisierte Studien mit jahrzehntelangen zm113 Nr. 19, 01.10.2023, (1695) Abb. 12: Solitäre bakterielle Besiedelung eines einzelnen Dentintubulus am Schweine-Zahn als natürliche Abrasionsfolge: Die Abrasion und Attrition ist bei omnivoren Schweinen deutlich stärker ausgeprägt als beim Menschen. Sie ist folgenlos für die Pulpa. Foto: Peter Gängler Abb. 13: Präparationsschäden an Zähnen non-humaner Primaten mit Verbrennungen von Odontoblastenfortsätzen (oben) und massenhafter Aspiration (unten) von Odontoblastenkernen (freundlicherweise von K. Langeland) Foto: K. Langeland

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