ZAHNMEDIZIN | 21 ten“ fungieren können. Ein Hapten ist ein chemisches Molekül, das für sich allein keine Immunantwort auslöst – wird es aber an ein größeres Trägermolekül gebunden, beispielsweise an ein Protein, kann es dagegen eine Immunreaktion hervorrufen. Titanoxid kann nicht als Hapten fungieren und eben aus diesem Grund keine klassische Allergie im engeren Sinn hervorrufen. Eine Ausnahme bilden Titanlegierungen, in denen sich andere Metallkomponenten in der Legierung als Ion präsentieren und direkt Verbindungen mit Proteinen bilden können – in diesem Fall kann sehr wohl allergenes Potenzial entstehen (zum Beispiel Implantate aus Titan Grad5). Pathophysiologisch ist es eine Unverträglichkeitsreaktion Wenngleich eine klassische Allergie durch reines Titan nicht ausgelöst werden kann, sind Unverträglichkeitsreaktionen gegenüber dem Material möglich. Diese werden durch eine übermäßige entzündliche Reaktion von Gewebemakrophagen ausgelöst, die mit den ins Gewebe disseminierten Titanoxidpartikeln in Kontakt kommen. Makrophagen haben die Fähigkeit, kleine Titandioxidpartikel (< 10 μm) zu phagozytieren, was wiederum zur Produktion und Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine anregt [Bi et al., 2001; Cadosch et al., 2009; Zhou et al., 2021], die sowohl in vitro als auch in vivo nachgewiesen werden können. Lymphozyten scheinen bei diesem Vorgang die Adhäsion und Fusion von Makrophagen an Fremdmaterialoberflächen zu verstärken [Ding et al., 2012]. Auf der anderen Seite sorgen gegenregulatorische Zytokine wie zum Beispiel das IL-10 für eine Toleranzinduktion gegenüber dem Implantat [Thomas et al., 2013]. Titanpartikel gelangen durch partikulären Abrieb (Debris) in das periimplantäre Gewebe. Im Gewebe rund um das Implantat wurden Titanpartikel in Konzentrationen von 100 bis 300 ppm nachgewiesen [Tibau et al., 2019]. Sowohl durch mechanische Reibung beim Inserieren in den Knochen [Romanos et al., 2021] und durch kontinuierliche Mikrobewegungen an der zm113 Nr. 20, 16.10.2023, (1771) Abb. 1: Darstellung unterschiedlicher immunologischer Pathomechanismen: Links: Ionenabgabe von Restaurationsmetall ins Gewebe: Es bildet sich ein Hapten-Protein-Komplex aus – durch Bindung der Ionen an ein körpereigenes Protein. Hierdurch erfährt das Protein eine Veränderung und wird zu einem „Fremdprotein“, das das Immunsystem zu einer Aktivierung von spezifischen T-Lymphozyten anregt. Das Resultat der Proliferation ist eine Sensibilisierung beziehungsweise Allergie auf dieses spezifische Metall. Rechts: Durch die sofortige Oxidation von Titan kommt es zur Ausbildung von Titanpartikeln. Diese können nicht an Proteine binden, so dass nicht die T-Lymphozyten aktiviert, sondern die Fresszellen (Makrophagen) zur Phagozytose angeregt werden. Aktivierte Makrophagen induzieren eine unspezifische Entzündungsreaktion durch Ausschüttung proentzündlicher Zytokine wie TNF-a und IL-1, die wiederum die Entzündungskaskade in Gang setzen. Foto: Lena Katharina Müller-Heupt Abb. 2: Vermuteter Wirkmechanismus bei Titanüberempfindlichkeit mit Störung des immunologischen Gleichgewichts: Titanpartikel lösen eine Kaskade entzündlicher Reaktionen aus, bei denen zunächst Makrophagen rekrutiert werden und ins Gewebe abgegebene Titandioxidpartikel „fressen“ beziehungsweise einschließen. Lymphozyten fördern die Adhäsion und Fusion von Makrophagen auf Materialoberflächen. Makrophagen aktivieren Osteoklasten und verschmelzen zu Riesenzellen (FBGC – Foreign Body Giant Cell), was zur Knochenresorption und zur Bakterieninfiltration führt. L = Lymphozyten, Ti = Titandioxidpartikel, B = Bakterien, Ma = Makrophagen, Oc = Osteoklasten Foto: Lena Katharina Müller-Heupt
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