28 | ZAHNMEDIZIN INTERVIEW MIT PROF. FLORIAN BEUER ZUR S3-LEITLINIE MATERIALUNVERTRÄGLICHKEITEN BEI IMPLANTATEN Titan- versus Keramikimplantate: Ist Keramik eine Alternative? Die von der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) initiierte S3-Leitlinie „Materialunverträglichkeiten bei dentalen, enossalen Implantaten“ thematisiert mögliche Unverträglichkeitsreaktionen gegenüber Titan, dem für die Herstellung dentaler Implantate meistverwendeten Material. Wir haben Prof. Dr. Florian Beuer, Präsident der DGI, zu den klinischen Konsequenzen der Leitlinie befragt. Herr Professor Beuer, lange Zeit war Titan das einzige Material, aus dem Zahnimplantate gefertigt wurden. Nach der Markteinführung von Keramikimplantaten aus Zirkondioxid wird nun vermehrt um Allergien und Unverträglichkeiten rund ums Titan diskutiert, die Begriffe „metallfrei“ und „titanfrei“ machen die Runde. Angesichts dieses Vokabulars drängt sich der Eindruck auf, die Diskussion könnte – ähnlich wie beim Fluorid – den Ruf einer jahrzehntelang bewährten Intervention beschädigen. Wie substanziell sind die Argumente? Prof. Dr. Florian Beuer: In der Tat entfaltet die Diskussion über mögliche Unverträglichkeiten des Titans einen gewissen Druck, das Thema auch wissenschaftlich anzugehen. Deshalb hat die DGI die Initiative ergriffen und in der Leitlinie die vorhandene Evidenz zu möglichen Allergien beziehungsweise Unverträglichkeitsreaktionen zusammengefasst. Das Ergebnis war: Klassische Allergien durch Titan sind aus den chemischen Eigenschaften des Materials heraus nicht möglich. Unverträglichkeitsreaktionen sind in seltenen Fällen denkbar, aber die Evidenz dazu ist schwach. Deshalb gibt die Leitlinie ausdrücklich die Empfehlung, auf Allergietests zu verzichten und zunächst einmal alle Behandlungsmöglichkeiten – insbesondere die leitliniengerechte Periimplantitisbehandlung – auszuschöpfen. Die Explantation sollte nur die allerletzte Option sein. Diese Aussagen sind ja eindeutig. Die klinische Schlussfolgerung daraus ist zweigeteilt: Einerseits sollten wir bei besonderen Problemsituationen mit Implantaten eine mögliche Unverträglichkeitsreaktion mitdenken. Andererseits glaube ich, können wir ruhigen Gewissens sagen, dass die übergroße Mehrheit der Probleme mit Implantaten andere Ursachen hat und nicht auf Unverträglichkeitsreaktionen gegen Titan zurückzuführen ist. Macht es zahnmedizinisch Sinn, Patienten von vornherein Keramikimplantate zu empfehlen, um etwaigen Problemen aus dem Weg zu gehen? Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es – wie fast überall in der Medizin – keine klare und finale Erkenntnislage. Wir können uns nur an der vorhandenen Evidenz orientieren und die belegt, dass sich das Titan bislang als langjährig gut bewährtes und sehr biokompatibles Material gezeigt hat. Viele heute auftretende Probleme mit Implantaten sind aus meiner Sicht eher auf die Ausweitung der Indikationen für Implantate auf Patientengruppen mit erhöhtem Risikopotenzial und dem daraus folgenden anspruchsvollen Nachsorgebeziehungsweise Risikomanagement, das insbesondere in der häuslichen Mundhygiene nicht immer umgesetzt werden kann, zurückzuführen. Ich glaube, die Frage nach Keramikimplantaten wird vermutlich eher von Patientenseite kommen. Wenn Patienten emotional stark zu einem Keramikimplantat tendieren, dann ist es schwierig, sie mit den Argumenten für Titan wieder einzufangen. Diese Gruppe wird wahrscheinlich mit einem Titanimplantat nicht glücklich. Da sich die Keramikimplantate im Insertionsprotokoll und bei der weiteren Versorgung von Titanimplantaten teilweise deutlich unterscheiden, muss jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt für sich selbst die Frage beantworten, ob er oder sie selbst in die Keramikimplantologie einsteigt oder entsprechende Patienten überweist. Eine Empfehlung von uns als Behandler würde voraussetzen, dass wir die Keramikimplantate in der Summe ihrer Eigenschaften den Titanimplantaten als überlegen ansehen würden... … Sie sehen also keine Überlegenheit bei der Keramik? Ich bin ein großer Keramikfan und würde mir ein Implantat wünschen, das alle Vorteile des zweiteiligen Titanimplantats hat und aus Keramik ist. Prof. Dr. Florian Beuer, ist Direktor der Abteilung für Zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Funktionslehre an der Charité Universitätsmedizin Berlin und wissenschaftlicher Beirat der zm. Foto: Privat zm113 Nr. 20, 16.10.2023, (1778)
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=