Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 20

40 | PRAXIS ZAHNÄRZTIN AUF ISLAND „Ein Frontzahntrauma durch ein Schaf war neu für mich“ Marie Lenz Die Zahnärztin Marie Lenz bricht in Deutschland ihre Zelte ab und zieht auf die Insel zu ihrem Mann. Per Privatanruf bewirbt sie sich in dem Dörfchen Hella. Da der Zahnarzt im Nachbarort gerade in Rente gegangen ist, fügt sich alles. Ihr neuer Chef suchte eine Verstärkung, seit Juni arbeitet sie jetzt bei ihm. Hier berichtet sie, warum der erste Eindruck mehr zählt als bei uns und warum es trotz guter Zähne häufiger Lücken gibt. Vulkane. Pferde. Gletscher. Atemberaubende Landschaften und fermentierter Hai – Island ist für vieles bekannt, aber an Zahnmedizin habe ich selbst nicht unmittelbar gedacht. Das war auch nicht der Hauptgrund fürs Auswandern. Vielmehr lockten mich die wilde und schöne Natur, die kühleren Sommer als in Deutschland und mein isländischer Mann. Irgendwann habe ich dann meine Umzugskisten gepackt. Island ist zwar kein EU-Mitglied, gehört aber dennoch zum europäischen Wirtschaftsraum. Somit war eine Anerkennung meiner Approbation (bis auf die langsamen Prozesse der deutschen Bürokratie) problemlos machbar. Die Digitalisierung läuft hier übrigens zwangsläufig viel besser. Das spürt man direkt im Behandlungsalltag. Nach meiner Ankunft fing ich direkt an mich zu bewerben und stellte überrascht fest, dass ich keine Reaktion erhielt. Mein Schwiegervater riet mir dann, einfach mal die Privatnummer eines Zahnarztes anzurufen. Der hatte gerade mit gestiegenen Patientenströmen zu kämpfen, weil im Nachbardorf eine Praxis geschlossen hatte. Und so kam es, dass ich nach einem Bewerbungsgespräch und kurzer Probezeit meine Anstellung fand. Nun arbeite ich in den beiden Städtchen Hella und Selfoss östlich von Reykjavik. Im Wartezimmer kennen sich (fast) alle Die Bevölkerungsdichte Islands ist sehr unterschiedlich verteilt. Wer nicht in oder um die Hauptstadt wohnt, muss in den ländlichen Bereichen häufig mit einem unzureichenden zahnmedizinischen Versorgungsnetz zurechtkommen. Zwei Stunden Anfahrt für einen Zahnarzttermin sind dann normal. Eine Fahrt nach Reykjavik wäre für viele nicht zumutbar. Dadurch wird in den Praxen auf dem Land auch kaum überwiesen. Ich war schon ziemlich überrascht, als ein Patient mit großen Schmerzen ohne Termin und ohne Behandlungsgarantie zu mir kam – nach mehr als zwei Stunden Autofahrt. Ein Notfall: Ein Schaf hatte mit einem saftigen Sprung ins Gesicht ein Frontzahntrauma ausgelöst. Das war mir auch noch nicht untergekommen. Die Geschichte machte schnell die Runde. Isländer tauschen sich gerne untereinander aus und kennen sich gerade in den kleinen Städten sehr gut. In Hella kommt es äußerst selten vor, dass sich zwei Patienten nicht kennen, und so wird die Wartezeit mit Gesprächen bei einer Tasse Kaffee überbrückt. Außerdem zeigt man viel Toleranz und Geduld, falls die Cousine, der Nachbar oder die Freundin etwas länger im Behandlungszimmer sitzt. Über diesen engen Austausch spricht sich die Qualität der Behandlungen schnell rum. Eine hohe Patientenzufriedenheit lohnt sich also besonders und ist eigentlich unumgänglich, weil der erste Eindruck noch viel mehr zählt. In der isländischen Gesellschaft sind die Hierarchien flach. Geläufig ist nicht das „Sie“, sondern man spricht sich grundzm113 Nr. 20, 16.10.2023, (1790) Marie Lenz seit 2023 angestellte Zahnärztin in Selfoss und Hella auf Island Foto: Daníel Bergur Ragnarsson

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=