zm113 Nr. 21, 01.11.2023, (1864) 10 | LESERFORUM MODERNER PULPASCHUTZ Unterfüllen oder nicht? Zum Artikel „Biokompatibilität von Füllungsmaterialien: Welchen Schutz bekommt die Pulpa?“ in zm 19/2023, S. 40–46. Leider wird eine zentrale Behauptung nicht belegt: „Jedes präparierte Dentin am vitalen schmerzsymptomlosen Zahn muss mit einem biokompatiblen Pulpaschutz überall dort, wo die Dentintubuli einen Zugang zur Pulpa haben, abgedeckt werden. Dafür sind Zink-Phosphat-Zemente und Glasionomerzemente ohne Zweifel am besten geeignet.“ Was international zu dieser Frage an systematischen Übersichtsarbeiten veröffentlicht wurde [Arandi et al., 2020; Igor et al., 2019; Blum et al., 2018; Schenkel et al., 2016], weist aber in die gegenteilige Richtung, die sich so zusammenfassen lässt: „Die besten verfügbaren Belege deuten darauf hin, dass Zahnärzte Komposite im Seitenzahnbereich ohne Unterfüllungen legen können, außer solchen zu therapeutischen Zwecken, ohne nachteilige Auswirkungen auf postoperative Komplikationen, mit möglichen Leistungsverbesserungen im klinischen Gebrauch und mit Effizienzeinsparungen bei der Behandlungszeit“ [Blum et al., 2018]. Michael Logies, Wallenhorst Arandi NZ, Rabi T. Cavity Bases Revisited. CCIDE. 2020;12:305-312. doi:10.2147/ CCIDE.S263414 Igor B, Wilson N. Consequences of no more linings under composite restorations. British Dental Journal. 2019;226:749-752. doi:10.1038/s41415-019-0270-2 Blum IR, Wilson NHF. An end to linings under posterior composites? J Am Dent Assoc. 2018;149(3):209-213. doi:10.1016/j.adaj.2017.09.053 Schenkel AB, Peltz I, Veitz-Keenan A. Dental cavity liners for Class I and Class II resinbased composite restorations. Cochrane Database Syst Rev. 2016;10(10):CD010526. doi:10.1002/14651858.CD010526.pub2 Antwort von Prof. Dr. Peter Gängler, Autor des Artikels „Biokompatibilität von Füllungsmaterialien: Welchen Schutz bekommt die Pulpa?“ in zm 19/2023, S. 40–46. Lieber Herr Kollege Logies, vielen Dank für Ihren Leserbrief, der tatsächlich das Dilemma des Pulpaschutzes in der Praxis aufgreift. Sie zitieren unter anderen den Cochrane-Report von 2016, später heißt es im Update von 2019: „There is inconsistent, low-quality evidence regarding the difference in postoperative hypersensitivity subsequent to placing a dental cavity liner under Class I and Class II posterior resinbased composite restorations in permanent posterior teeth in adults or children 15 years or older“ [Schenkel et al., 2019]. Wenn man die Biokompatibilität allein aus der postoperativen Hypersensibilität, die tatsächlich eine akute Pulpitis ist, betrachtet, erreicht man eine Evidenz von niedriger Qualität, man missachtet die ISO-Normen der Bestimmung der Biokompatibilität aller dentalen Biomaterialien in ISO 19993, 1 – 20 von 2018–2021 und insbesondere die Prüfnormen der ISO/TC 106 7405 von 2018 (die alle fünf Jahre, also in diesem Jahr, dem wissenschaftlichen Stand angepasst werden), die zwingend die Pulpa-Dentin-Anwendungsprüfung für Füllungsmaterialien vorsehen und urteilt aus den klinischen Daten und mitunter aus Zytotoxizitätstesten. Aber ein entscheidender Pulpaschaden lässt sich so weder bestimmen noch ausschließen. Und ob im Gefolge eines Präparationstraumas oder einer Monomerschädigung 5, 20 oder 60 Prozent aller nächstgelegenen primären Odontoblasten untergehen, ist für die Vitalerhaltung von klinischer Bedeutung. Als die Glasionomerzemente vor mehr als einem halben Jahrhundert entwickelt wurden, unterlagen sie einer normgerechten Biokompatibilitätstestung, und sie waren so pulpaschonend wie die seit mehr als vor einem Jahrhundert eingeführten Zink-PhosphatZemente [Benkert et al., 1987; Beer et al., 1990; Nicholson et al., 1991]. Für lichthärtende GIZ und Composite-Materialien ohne Pulpaschutz steht diese Evidenz bis heute aus. Wir kennen die genaue Pulpaentfernung vom Kavitätenboden oder von der Kronenpräparation nicht, wir wissen nicht, wie viele offene Dentintubuli die Pulpa erreichen, also warum nicht den bestmöglichen Schutz als Unterfüllung oder Befestigungszement, den die moderne Zahnmedizin bietet, anwenden? Das ist keine Spitzfindigkeit, sondern eine Verhütung von ungezählten Wurzelkanalbehandlungen. Und warum sollen wir mit einer Evidenz von niedriger Qualität zufrieden sein, wenn es eine größtmögliche Evidenz aus der Pulpa-Dentin-Anwendungsprüfung gibt, die einen Pulpaschaden durch das Füllungsmaterial ausschließt. Nicht umsonst werden Biokompatibilitäts-Tests der Zemente bis in unsere heutige Zeit durchgeführt – sie zeigen eine deutlich höhere Gewebeverträglichkeit gegenüber CompositeMaterialien [Kotha et al., 2023]. Mit vielen Grüßen, Ihr Peter Gängler Nicholson JW, Braybrook JH, Wasson EA. The biocompatibility of glass-poly(alkenoate) (Glass-Ionomer) cements: a review. J Biomater Sci Polym Ed. 1991;2(4):277-85. doi: 10.1163/156856291x00179. PMID: 1663390. Kotha AK, Nicholson JW, Booth SE. Biological Evaluation of Zinc Phosphate Cement for Potential Bone Contact Applications. Biomedicines. 2023 Jan 18;11(2):250. doi: 10.3390/biomedicines11020250. PMID: 36830786; PMCID: PMC9953316. Benkert O, Beer R, Gängler P, Koch I. Biologisch-experimentelle Untersuchungen zahnärztlicher Füllungswerkstoffe im Anwendungstest am Hausschwein. Zahn-Mund-Kieferheilkd. 1987;75: 555-61. Beer R, Gängler P, Wutzler P, Krehan F. Vergleichende biologische Prüfung des Glasionomerzementes Ketac-Bond. Dtsch Zahnärztl Z. 1990; 45: 202-8. Schenkel AB, Veitz-Keenan A. Dental cavity liners for Class I and Class II resin-based composite restorations. Cochrane Database Syst Rev. 2019 Mar 5;3(3):CD010526. doi: 10.1002/14651858.CD010526.pub3. PMID: 30834516; PMCID: PMC6399099.
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