Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 21

ZAHNMEDIZIN | 49 Foto: Michael Bamberger Vielleicht wollte er Sie als Praxisnachfolger aufbauen? Ja, der Gedanke kam mir auch, aber aufgeklärt hat sich das nie. Und das Argument mit der Geschicklichkeit beim Reparieren hat gezogen? Es hat zwar noch kein Feuer entfacht, aber es hat gereicht, mich in die zahnmedizinische Ausbildung zu locken. Die Zahnmedizin war ja damals ein Fach des Reparierens – das war nicht von der Hand zu weisen. Wann fingen Sie denn an, für das Fach zu brennen? Das begann schon bald nach dem Beginn des Studiums. Ich wurde zwar von meinen Eltern finanziell unterstützt, musste aber Geld dazuverdienen. Ich habe dann in Münster angefangen, in der Anatomie bei Prof. Pablo Santamaria zu arbeiten. Das hatte überhaupt nichts mit Zahnmedizin zu tun, hat mich aber nachhaltig geprägt. Zunächst kam mir natürlich das handwerkliche Geschick zugute, aber in unserer Arbeitsgruppe wurde gar nichts repariert, sondern es wurde geforscht. Zum ersten Mal kam ich hier mit lebendiger Wissenschaft in Berührung. Ich lernte, wie man Präparate herstellt, Experimente durchführt, Daten auswertet, kurz: Mit wissenschaftlicher Arbeit Neuland zu betreten und neues Wissen zu generieren. Das hat dann das Feuer in mir entfacht. Die 70er-Jahre gelten aus heutiger Perspektive als dunkle Zeit der professoralen Eminenzen und die Idee der evidenzbasierten Medizin war noch zwei Dekaden entfernt. Wie haben Sie das Studium damals wahrgenommen? Es war rückblickend gesehen eine harte Schule, was aber nicht uneingeschränkt schlecht war. Der Vorteil dabei ist: Wenn Professoren, Lehrende, Aufsichtsführende ein klares Prozedere vertreten, dann kann man sich daran orientieren und – gerade wenn es um praktische Dinge geht – auch besser lernen. Der Nachteil ist natürlich, dass das nur gilt, wenn es gut und richtig läuft. Wenn etwas falsch läuft und man dann keine Kritik äußern kann – und so war es tatsächlich –, dann verkehrt sich die positive Mentorenrolle des Lehrers in die des gefürchteten Willkürherrschers. Hört man einigen Studierenden heute zu, sind die Diktatoren keineswegs aus dem akademischen Umfeld verschwunden. Wie viel hat sich da verändert? Es mag Fälle von ungerechtfertigter Härte geben, aber die ganze Kultur an den Universitäten hat sich seit den 70ern sehr stark verändert. Hochschullehrer werden heute von den Studierenden „evaluiert“ und auch ordentlich kritisiert. Manchmal geht mir das offen gesagt auch etwas zu weit und die Wahrnehmungen verkehren sich ins Gegenteil: Nicht ich lerne und die Studierenden sagen mir, was ich zu tun habe, sondern sie lernen und meine Mitarbeiterinnen und ich geben ihnen klare Vorgaben. Diese grundlegenden Leitplanken des Lehrens und Lernens dürfen nicht in Beliebigkeit zerbröseln. Sind wir im Überschwang des gut gemeinten Partizipierens und Mitbestimmens von einem Extrem ins andere gefallen? Ich denke, in vielerlei Hinsicht ist das tatsächlich so. Es gibt bei vielen Studierenden, ob das eine Mehrheit ist, kann ich nicht sagen, einen gewissen Zeitgeist, etwa so: „Ich komme jetzt an die Uni. Ihr habt mir was beizubringen und wehe ihr macht das in einer Form, die mir nicht passt!" Ich bin immer verblüfft, mit welcher Selbstverständlichkeit und mit welchem Selbstbewusstsein solche Forderungen vorgetragen werden. Was meinen Sie, woher kommt diese Anspruchshaltung? Die ist natürlich auch politisch befördert worden. Wenn die Politik und die Hochschulgremien Gelder nach einem Beliebtheitsscoring anonymer Evaluationsbögen verteilen, dann geht das in die falsche Richtung. Sie haben nach dem Studium wissenschaftlich gearbeitet, viel publiziert und 1993 dann den Ruf nach Freiburg angenommen. Mit 39 Jahren waren Sie plötzlich Chef. Wie verlief der Start? Freiburg war damals sehr modern orientiert: Da gab es erlösorientierte Ergebnisrechnungen, Qualitätssicherungsmechanismen, leistungsbezogene Mittelzuweisungen. Alles Dinge, die ein modernes Unternehmen ausgemacht haben. Und diese Orientierung zog natürlich auch Menschen an, die etwas leisten wollten und hier ihre Chance gesucht haben, beispielsweise Prof. Thomas Attin, der aus Köln mit mir nach Freiburg wechselte, und Prof. Andrej Kielbassa, den ich noch aus Marburger Zeiten kannte. Mit ihnen und Prof. Hans-Günther Schaller, der später als Chef nach Halle ging, und einigen Mitarbeitern vor Ort ist es dann gelungen, eine moderne Führung zu etablieren und die Klinik zu entwickeln. Wir waren eine tolle Mannschaft, hatten super Personal und das ist bis heute so geblieben. zm113 Nr. 21, 01.11.2023, (1903) Prof. Dr. Elmar Hellwig ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie am Universitätsklinikum Freiburg und wissenschaftlicher Beirat der zm.

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