Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 23-24

Im Oktober richteten (zahn)ärztliche Verbände, Körperschaften und der Apothekerverband Brandbriefe an Bundeskanzler Scholz. Die vorgetragenen Beschwerden sind uns zur Genüge bekannt: überbordende Bürokratie, dysfunktionale Digitalisierung und nicht inflationsgerechte Honorierung für die ambulante Versorgung. Bundesgesundheitsminister Lauterbach antwortete in Bild und bei Markus Lanz mit einem bemerkenswerten Argument: „Unser Gesundheitssystem ist sehr teuer. Trotzdem ist die Lebenserwartung eher gering.“ Ein ultrapopulistischer Schnellschuss: Die Ärzte liefern Euch, liebe Bürgerinnen und Bürger, nicht was sie sollen, also müssen sie alleine mit der Inflation klarkommen. Wie immer bei populistischen Aussagen, halten sie nur dem ersten Blick stand. Würde die Wissenschaft jemals eine Korrelation zwischen ärztlicher Leistung und Lebenserwartung nachweisen können? Was ist mit der Eigenverantwortung des Menschen? Trägt die Gesundheitspolitik nicht die viel größere Verantwortung? Und wenn wir schon beim Populismus sind, warum sollen Lokführer mehr verdienen, wenn die Züge immer unpünktlicher fahren? Jetzt denken wir mal positiv und unterstellen, dass Minister Lauterbach uns eigentlich sagen wollte: Mehr Geld nur für mehr Gesundheit! Wunderbar, da geht die Zahnmedizin sofort mit! Wir liefern nämlich schon seit über 30 Jahren. Eine der häufigsten Erkrankungen des Menschen, die Zahnkaries, ist heute deutlich zurückgedrängt. Verglichen mit 1991 legen wir jede zweite Füllung nicht mehr und entfernen mehr als ein Drittel weniger Zähne. Allein in dem kleinen Zeitfenster von 2012 bis 2017 haben wir nach dem Barmer-Report 10,4 Prozent weniger Zahnersatz angefertigt und das trotz einer dramatisch alternden Bevölkerung. Der dadurch erzielte Einspareffekt ist im Bundesgesundheitsministerium (BMG) bestens bekannt. Unser Anteil an dem Geldtopf der Gesetzlichen Krankenkassen hat sich seit der Jahrtausendwende um 31 Prozent und in der Prothetik sogar um 46 Prozent verringert. Endlich ist nun auch der Weg gefunden worden, wie wir die wichtigere Munderkrankung, die Parodontitis, indenGriff bekommen. Kein Schwerpunkt mehr auf einer „harte Tür“- Politik – Paro-Behandlung nur wenn der API einen Minimalwert unterschreitet –, sondern auf der lebenslangen Begleitung. Erst als bezahlte UPT, später als eigenverantwortliche PZR. Damit sind wir dann nach 140 Jahren wissenschaftlicher Zahnmedizin endlich bei der Erfahrung des täglichen Lebens angekommen. Es genügt halt nicht, die eigene Küche einmal im Leben gründlich zu reinigen, um danach mit deutlich reduziertem Aufwand über die Runden zu kommen. Diese schöne neue Erkenntnis wird dem GKV-Patienten jetzt aber leider nicht mehr viel nützen. Der Geldhahn wurde gleich zu Beginn der Implementierungsphase abgedreht und damit schickt man die Patienten und uns Zahnärztinnen und Zahnärzte in eine dreifache Misere: 1. Dadurch, dass die Parostrecke auf drei Jahre ausgelegt wurde, die Finanzierung aber mit dem ersten Jahr gedeckelt ist, bleibt immer weniger Spielraum für Neupatienten. Inzwischen sind wir unter der Behandlungsquote der alten ParoStrecke. Rein rechnerisch könnte es schon 2024 gar keine Neupatienten mehr geben. 2. Eine Behandlung, die der Gemeinsame Bundesausschuss als wissenschaftlich gesichert eingestuft hat, muss zu Kassenbedingungen angeboten werden. Auch wenn das Geld fehlt. 3. Für ein Festzuschusssystem wie beim Zahnersatz fehlt der Paro-Strecke die Behandlungsalternative. Besonders pikant ist, dass das BMG ohne Folgekostenrechnung entschieden hat. Gerade bei einer Erkrankung, die weitreichende Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit hat, ist das wenig weitsichtig. Wir kennen die Folgekosten: Ein Paro-Euro spart 76 Gesundheits-Euro. Damit würden wir nun wirklich die LauterbachBedingung erfüllen – mehr Geld für mehr Gesundheit – und könnten sogar Einfluss auf die Lebenserwartung nehmen. Aber was zählt schon Gesundheit, wenn ansonsten Krankenhäuser geschlossen werden müssten, die keiner braucht. Prof. Dr. Christoph Benz Präsident der Bundeszahnärztekammer Mehr Geld für mehr Gesundheit? Foto: GEORG JOHANNES LOPATA-AXENTIS.DE 8 | LEITARTIKEL

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