30 | ZAHNMEDIZIN Zudem gelten Operationen im Bereich des Mundbodens aufgrund der schlechten Komprimierbarkeit der oben genannten ausgeprägten Gefäßverzweigung und der potenziellen Ausbreitungstendenz ohnehin als Hochrisikooperationen hinsichtlich des Blutungsrisikos im Bereich der Oralchirurgie [Römer et al., 2022]. Potenziert wird das Blutungsrisiko zudem durch eingenommene Antikoagulantien und/oder Thrombozytenaggregationshemmer, die im Rahmen der immer älter werdenden und multimorbiden Bevölkerung weiter zunehmen – so nehmen derzeit etwa eine Million Menschen in Deutschland gerinnungshemmende Medikamente ein. Laut aktuellen klinischen Studien werden sogar über 50 Prozent der über 60-jährigen MKG-Patienten mit Antikoagulantien behandelt [Halling and Weigl, 2022]. Daher ist es nicht verwunderlich, dass 90 Prozent der pathologischen Blutungen ihre Ursache in medikamentös verursachten Störungen haben [Walter et al., 2016; Thiem und Kämmerer, 2018]. Um Komplikationen – insbesondere bei Risikopatienten – zu vermeiden, gehören zu den grundlegenden Präventionsmaßnahmen eine entsprechende Ausbildung und Vorbereitung des Operateurs, die perioperativ unmittelbare Verfügbarkeit von Hämostyptika sowie eine umfassende klinische Untersuchung und Anamnese hinsichtlich des Risikoprofils [Kämmerer et al., 2018; Wahl et al., 2018]. Daraus ergeben sich wiederum je nach Patient weitere Maßnahmen, beispielsweise eine 3-D-Planung anhand eines CTs oder DVTs [Dau et al., 2017]. Anhand der digitalen Planung können die Implantatparameter dann im Anschluss an die anatomischen Gegebenheiten angepasst werden. Dies erhöht die Sicherheit und die Genauigkeit der zu setzenden Implantate. Allerdings scheint eine erweiterte radiologische Diagnostik der klinischen Untersuchung (zum Beispiel der Palpation unter sich gehender Knochenareale) nicht überlegen zu sein [Kämmerer und Al-Nawas, 2020]. Sollte es trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen zu einem Zwischenfall kommen, bedarf es einer unverzüglichen Ursachenabklärung sowie deren suffizienter Behandlung. Auch die umgehende stationäre Einweisung des Patienten in eine entsprechende Fachklinik kann erforderlich werden, um die entsprechende Diagnostik und Therapie einzuleiten und somit eine rasche Genesung zu gewährleisten [Kämmerer et al., 2018]. Eine Pausierung der gerinnungshemmenden Medikamente scheint zumindest bei hohem und teilweise bei mittlerem Thromboserisiko mit erhöhten kardiovaskulären Risiken einherzugehen. Daher sollte in diesen Fällen, im Vergleich zu einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit für fatale Blutungsereignisse, ein temporäres Absetzen als kontraindiziert bewertet werden [Römer et al., 2022]. Patienten mit Hämatomen im Bereich des Mundbodens (insbesondere im Rahmen von arteriellen oder starken venösen Blutungen und/oder im Rahmen einer Antikoagulationstherapie) sollten keinesfalls in die Häuslichkeit entlassen werden. Eine Ausbreitung des Hämatoms in Richtung des Halsweichgewebes kann bis zur Verlegung der Atemwege führen und somit bei zu spätem Handeln letal enden. Daher sind die stationäre Überwachung und – im Fall eines Progresses – die schnelle Interventionsmöglichkeit in einer entsprechenden Fachklinik überaus wichtig und möglicherweise überlebensentscheidend. Initial sollte sich die Therapieentscheidung nach der sorgfältigen lokalen Wundinspektion und der Zusammenschau der klinischen Symptomatik richten. Insbesondere sehr große Mundbodenhämatome oder solche mit einem starken Größenprogress und einer damit verbundenen potenziellen Verlegung der Atemwege sollten unbedingt mit einer unverzüglichen Hämatomentlastung und gegebenenfalls einer intra- oder sogar extraoralen Ligatur des verletzten Gefäßes behandelt werden [Laboda, 1990; Bavitz et al., 1994]. Bei mozm113 Nr. 23-24, 01.12.2023, (2100) Dr. Ingo Buttchereit Fachzahnarzt für Oralchirurgie Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie und Parodontologie Foto: privat CME AUF ZM-ONLINE Mundbodenhämatom nach Implantatinsertion unter Thrombozytenaggregationshemmung Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie zwei CME-Punkte der BZÄK/DGZMK. Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, MA, FEBOMFS Leitender Oberarzt/ Stellvertr. Klinikdirektor Klinik und Poliklinik für Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie – Plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz Foto: Kämmerer Noah-Benedikt Kukulenz Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie, Universitätsmedizin Rostock Schillingallee 35, 18057 Rostock Foto: privat
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