38 | TITEL zm113 Nr. 23-24, 01.12.2023, (2108) DIE KLINISCH-ETHISCHE FALLDISKUSSION Der Chef will Umsatz, die Absolventin Behandlungen wie an der Uni Stephan Grassl Die Vorbereitungsassistentin will so behandeln, wie sie es im Studium gelernt hat, der Chef will, dass sie Umsatz macht. Am Ende kündigt er ihr, weil sie sich nicht „rechnet“. Ist seine Entscheidung ethisch vertretbar? Der Zahnarzt J. betreibt seit vielen Jahren eine sehr erfolgreiche Zahnarztpraxis in einer ländlichen Region in Süddeutschland. Er hat vier Behandlungszimmer und beschäftigt stets auch junge Absolventinnen und Absolventen, mit denen er meistens sehr gut zusammengearbeitet hat. So hat er auch in diesem Jahr wieder eine frisch gebackene Zahnärztin eingestellt. S. ist eine gewissenhafte Zahnärztin, hatte im Examen hervorragende Noten, ist wissenschaftlich interessiert und will in der Praxis ihre Behandlungen genau so umsetzen, wie sie es in der Universitätszahnklinik gelernt hat. Sie achtet auf Qualität und braucht deshalb für ihre Füllungen, Wurzelkanalbehandlungen und chirurgischen Eingriffe noch ziemlich lange. Darüber hinaus ist sie etwas schüchtern und kann vor den Patienten noch nicht so gut auftreten. Bei kostenintensiveren Behandlungen achtet S. darauf, den Patienten nach fachkompetenter Beratung die Entscheidung über das geplante Verfahren zu überlassen (Informed Consent). Am Anfang spielen sie sogar zusammen Tennis Die junge Zahnärztin hat mit ihrem Chef anfangs ein sehr gutes Verhältnis und unternimmt auch in ihrer Freizeit einige gemeinsame Aktivitäten mit ihm: Sie spielen zum Beispiel jede Woche zusammen Tennis. J. wird aber zunehmend skeptischer, ob S. in seine Praxis passt, da sie wenig Umsatz generiert. Die Stimmung kippt zusehends und eskaliert, als die junge Zahnärztin bei einem Patienten, der bei der Bundespolizei tätig ist, eine 01 durchführt und keinerlei kariöse Stellen findet. Der Patient hat viele alte Amalgamfüllungen, die aber medizinisch einwandfrei sind. Doch dann kippt die Stimmung zusehends J. bittet S. zum Gespräch und teilt ihr mit, dass sie künftig bei solchen Patienten, denen durch ihren Beamtenstatus viele hochwertige Leistungen bezahlt werden, diese auch unbedingt durchführen müsse. Als bald ein verbeamteter Privatpatient in die Praxis kommt und sie ihn abermals ohne größere Versorgungen entlässt, kündigt J. seiner zahnärztlichen Assistentin mit der Begründung, dass sie sich finanziell für ihn nicht „rechne“ und er durch sie ein „Minus“ erwirtschaften würde. Aus ethischer Sicht tun sich nun folgende Fragen auf: Ist diese Kündigung vertretbar? Muss beziehungsweise sollte ein Praxisinhaber Umsatzeinbußen in Kauf nehmen, um einer jungen Kollegin einen ihrer Geschwindigkeit entsprechenden Lernprozess zu ermöglichen? Oder ist es angemessen, von Anfang an auf einem ausreichenden Umsatz der Ausbildungsassistentin zu bestehen und bei Nichterreichen die Kollegin zu entlassen? Der Praxisinhaber ist einerseits verpflichtet, der jungen Kollegin beizustehen und ihr etwas beizubringen, hat aber andererseits auch eine Verantwortung für das finanzielle Wohlergehen seiner Praxis. Er ist an dieser Stelle in einem Dilemma, muss sich aber entscheiden. Aber gibt es hier wirklich nur eine Entweder-oder-Lösung oder können beide Aspekte (Umsatz und Ethik) verbunden werden? Dr. med. dent. Stephan Grassl Gartenstr. 2, 85354 Freising sgrassl@outlook.de Foto: privat
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