Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 23-24

TITEL | 39 zm113 Nr. 23-24, 01.12.2023, (2109) KOMMENTAR 1 „Eine betriebsbedingte Kündigung ist verständlich!“ In dem vorliegenden Fallbericht entsteht eine konflikthafte Situation, weil die Interessen von J., der sich eine umsatzstarke angestellte Zahnärztin wünscht, und S., die als frisch approbierte Zahnärztin genau so arbeiten will, wie sie es an der Universität gerade gelernt hat, kollidieren. Inwieweit eine ethische Analyse zu einer Klärung dieses Dilemmas beitragen kann, soll im Folgenden betrachtet werden. Hilfreich ist, dies anhand der hinreichend begründeten Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress durchzuführen. Der Respekt vor der Patientenautonomie wird von S. entsprechend den Standards der Medizinethik beachtet. Sie wendet im Rahmen der Patientenaufklärung das Prinzip des Informed Consent an, bei dem der Respekt vor der Patientenautonomie zum Ausdruck kommt. Sie klärt ihre Patienten über die möglichen Behandlungen und Kosten auf. Bei therapeutischen Entscheidungen bezieht S. die Patienten mit in den Entscheidungsprozess ein. J. fordert nun von seiner angestellten Zahnärztin, dass klinisch intakte Amalgamfüllungen ausgetauscht werden. Da für diese Maßnahme keine zahnmedizinische Indikation besteht, würde S. – sollte sie den Forderungen ihres Chefs nachkommen – das Nichtschadensgebot (Prinzip der Non-Malefizienz) verletzen. Im Fall eines Füllungsaustauschs besteht etwa die Gefahr des Verlusts intakter Zahnhartsubstanz und postoperativer Beschwerden oder endodontaler Komplikationen. Indem S. ihre therapeutischen Entscheidungen nach entsprechenden Indikationen ausrichtet und den an der Universität erlernten zahnmedizinischen Standard anwendet, entspricht ihr professionelles Verhalten dem Gebot des Wohltuns (Prinzip der Benefizienz). Hierzu gehört auch, dass sie den Informed Consent anwendet. Eine Verletzung des Gebots der Gerechtigkeit durch S. ist nicht erkennbar. Relevante medizinethische Gerechtigkeitsprobleme (wie Verteilungsgerechtigkeit oder intergenerationelle Gerechtigkeit) werden in dem Fall nicht berührt. Andererseits zeigt das Verhalten von J., dass durch seine Handlungsanweisungen grundlegende Prinzipien verletzt werden. Insbesondere seine Aufforderung, ohne eine Indikation therapeutische Maßnahmen durchzuführen, widerspricht dem Professionsverständnis der Zahnheilkunde und ist somit negativ zu bewerten. Auch als „Unternehmer“ ist J. der Profession der Zahnmedizin zugehörig und unterliegt damit den Rahmenbedingungen der Medizinethik. Aber welche Auswirkungen hat dies auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses? Inwieweit diese Kündigung von S. arbeitsrechtlich angefochten werden kann, ist kein ethisches, sondern ein rechtliches Problem. J. verstößt allerdings gegen die „Etikette“ der Kollegialität, indem er der jungen Kollegin keine längere Zeit des Erlernens oder Sich-Eingewöhnens in den Praxisalltag zugesteht. Auch sein anfänglich freundschaftliches Verhalten gegenüber S. (Tennis spielen) kann kritisch hinterfragt werden. Aber diese Dinge sind ethisch gesehen eher zweitrangig. Auch muss sich J. fragen lassen, ob seine Praxisstruktur es hergibt, dass eine unerfahrene, frisch approbierte Zahnärztin angestellt werden kann, wenn er doch unbedingt auf die Umsätze der angestellten Zahnärztin angewiesen ist. Prinzipiell hat J. die Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg seiner Praxis. Eine betriebsbedingte Kündigung von S. ist aus seiner Sicht dementsprechend eine betriebsbezogene unternehmerische Entscheidung als Arbeitgeber und damit verständlich. „ Dr. Bernd Oppermann Bahnhofsallee 33, 31134 Hildesheim Foto: privat Foto: Simple Line_stock.adobe.com

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