40 | TITEL KOMMENTAR 2 „Die Herangehensweise des Chefs ist nicht gerechtfertigt“ Ist diese Kündigung vertretbar?“ ist eher eine juristische Fragestellung, die im Rahmen einer ethischen Debatte gar nicht zu beantworten ist. Stattdessen müsste man die Frage stellen, ob eine (arbeitsrechtliche) Sanktion überhaupt angemessen ist. Dieser Fragestellung soll unter Anwendung der Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress nachgegangen werden. Die vorliegende Falldarstellung greift eine Problematik auf, die sicherlich eine nicht unerhebliche Zahl an Assistentinnen und Assistenten betrifft. Eine Arbeitsstelle als Vorbereitungsassistent zu finden, ist nicht einfach und der Wunsch, die zwei Jahre „schnell hinter sich zu bringen“, sicherlich groß. Die Arbeitsweise und die Anforderungen an die jungen Kollegen in den Praxen unterscheiden sich mitunter stark von der Arbeitsweise in den klinischen Kursen an den Universitäten, in denen wirtschaftliche Belange eine untergeordnete Rolle spielen. Die Entscheidung der Assistentin, nach dem Prinzip des Nichtschadensgebots (Non-Malefizienz) zu handeln und so nur insuffiziente Füllungen auszutauschen, ist lobenswert und scheint zunächst selbstverständlich. Der rein finanziell getriebene Gedanke von J. ist unter Anwendung dieses Prinzips nicht nachvollziehbar. Es werden ausschließlich wirtschaftliche Interessen zugrunde gelegt und das Patientenwohl bewusst zurückgestellt. Des Weiteren wird beschrieben, dass sich die Assistentin an das Prinzip der Patientenautonomie hält und ihre Patienten nach der Maßgabe des Informed Consent berät. Durch die ausführliche Beratung und Aufklärung ihrer Patienten können diese so selbstbestimmt entscheiden. Dies führt zu längeren Behandlungszeiten und somit zu einem geringeren Umsatz. Das dadurch entstehende finanzielle Minus der jungen Assistentin führt zu für J. nicht akzeptablen Einbußen. Das Prinzip der Benefizienz, die Verpflichtung, das Wohlergehen des Patienten zu fördern, setzt eine Abwägung von Schaden und Nutzen voraus. Dieses Gebot hier anzuwenden ist wesentlich schwieriger. J. fordert seine Assistentin auf, alte Amalgamfüllungen auszutauschen. Dies kann auch als Nutzen für den Patienten gesehen werden. Die rein wirtschaftliche Begründung, die J. angibt, erscheint für die junge Assistentin ethisch eher fragwürdig. Das Prinzip der Gerechtigkeit beschreibt die gerechte Verteilung von Gütern und auch Chancen. J. trägt unternehmerische Verantwortung gegenüber allen Mitarbeitern. So ist es seine Aufgabe, wirtschaftlich zu gewährleisten, dass alle Mitarbeiter bezahlt werden können und die dafür erforderlichen Umsätze erzielt zm113 Nr. 23-24, 01.12.2023, (2110) Nicole Gumprecht Zahnarztpraxis Nova-Smile Münsterstr. 248, 40470 Düsseldorf nicole.gumprecht@nova-smile.de Foto: privat DIE PRINZIPIENETHIK Ethische Dilemmata, also Situationen,in denen der Zahnarzt zwischen zwei konkurrierenden, nicht miteinander zu vereinbarenden Handlungsoptionen zu entscheiden oder den Patienten zu beraten hat, lassen sich mit den Instrumenten der Medizinethik lösen. Viele der geläufigen Ethik-Konzeptionen (wie die Tugendethik, die Pflichtenethik, der Konsequentialismus oder die Fürsorge-Ethik) sind jedoch stark theoretisch hinterlegt und aufgrund ihrer Komplexität in der Praxis nur schwer zu handhaben. Eine methodische Möglichkeit von hoher praktischer Relevanz besteht hingegen in der Anwendung der sogenannten Prinzipienethik nach Tom L. Beauchamp und James F. Childress: Hierbei werden vier Prinzipien „mittlerer Reichweite“, die unabhängig von weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen als allgemeingültige ethisch-moralische Eckpunkte angesehen werden können, bewertet und gegeneinander abgewogen. Drei dieser Prinzipien – die Patientenautonomie, das Nichtschadensgebot (Non-Malefizienz) und das Wohltunsgebot (Benefizienz) – fokussieren ausschließlich auf den Patienten, während das vierte Prinzip Gerechtigkeit weiter greift und sich auch auf andere betroffene Personen oder Personengruppen, etwa den (Zahn-)Arzt, die Familie oder die Solidargemeinschaft, bezieht. Für ethische Dilemmata gibt es in den meisten Fällen keine allgemein verbindliche Lösung, sondern vielfach können differierende Bewertungen und Handlungen resultieren. Die Prinzipienethik ermöglicht aufgrund der Gewichtung und Abwägung der einzelnen Faktoren und Argumente subjektive, aber dennoch nachvollziehbare und begründete Gesamtbeurteilungen und Entscheidungen. Deshalb kommen bei klinisch-ethischen Falldiskussionen in den zm immer wenigstens zwei Kommentatoren zu Wort. Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth
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