zm113 Nr. 23-24, 01.12.2023, (2112) 42 | TITEL KOMMENTAR 3 „Eine Kündigung erscheint hier nicht angemessen!“ Der Fall schildert den Umgang mit einer jungen Zahnärztin in ihrer Vorbereitungszeit. Die Entlassung der jungen Kollegin wird vonseiten des Praxisinhabers mit mangelndem Umsatz begründet. Aus der Schilderung geht hervor, dass der Kollege bereits mehrere junge Mitarbeiter beschäftigt hat. Daraus lässt sich schließen, dass er doch zumindest eine gewisse Erfahrung mitbringt in der Frage, was junge Zahnärtzinnen und Zahnärzte ungefähr in der vorgegebenen Arbeitszeit bewältigen können beziehungsweise welchen Umsatz sie erwirtschaften können. Weiterhin kann angenommen werden, dass der Kollege die Effektivitätssteigerungen junger Mitarbeiter über den Zeitraum der Vorbereitungszeit einschätzen kann. Offensichtlich erfüllt diese Kollegin nicht seine Erwartungen. Prinzipiell sollte sich selbstverständlich die Geschwindigkeit in der Behandlung über die Routine steigern. Dies ist freilich individuell sehr abhängig von der Persönlichkeit der Assistenten. Ein ganz anderer Sachverhalt ist die Forderung der Erbringung medizinisch nicht erforderlicher Leistungen – im hier geschilderten Fall in Abhängigkeit vom Versicherungsstatus. Die Notwendigkeit einer Behandlung sollte immer unabhängig vom Versicherungsstatus ermessen werden; gleiches gilt für die Aufklärung über verschiedene Therapiemöglichkeiten – und dies ganz im Sinne eines „Shared Decision Making“ und eines „Informed Consent“, so wie es die junge Kollegin gelernt und praktiziert hat. Es ist einleuchtend, dass der Praxisinhaber wirtschaftlich denken muss. Den jungen Kollegen sollte und muss in ihren Anfangszeiten gleichwohl eine gewisse Zeit gewährt werden, um Routine zu entwickeln. Zudem dürfen ökonomische Aspekte nicht zu falschen Indikationsstellungen beziehungsweise zur Überversorgung von Patienten führen. Aus meiner Sicht hätte der Praxisinhaber in einem klärenden Gespräch seine Sichtweise in Bezug auf Privatpatienten frühzeitig ansprechen können, zumal er bereits Erfahrungen mit Ausbildungsassistenten gesammelt hat. Auch hätte er früher auf die Umsatzproblematik hinweisen können. Eine Kündigung erscheint hier jedoch nicht angemessen. Ebenso ist es nicht vertretbar, die Assistentin zu nötigen, Indikationen gegen ihre fachliche Überzeugung und gegen das Lege-artis-Prinzip zu stellen. Dr. Karin Groß Klinik für Zahnärztliche Prothetik und Biomaterialien Zentrum für Implantologie Uniklinikum der RWTH Aachen Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen kgross@ukaachen.de werden. Aus Sicht der jungen Assistentin ist dies nachvollziehbar. Es stellt sich jedoch die Frage, ob es dafür notwendig ist, das für sie so stark überwiegende Prinzip des Selbstbestimmungsrechts des Patienten geringer zu werten, um diese Ziele zu erreichen. Aus dem Verhalten von J. lässt sich darüber hinaus ableiten, dass vermeintlich schlechter versicherte Patienten nicht die gleiche Behandlung erfahren würden. Eine gleichberechtigte Entscheidungsfindung gegenüber allen Patienten ist daher nicht gegeben, was bei einer rein medizinischen Herangehensweise gesichert wäre. Die junge Assistentin steckt in einem Dilemma, weil sie die medizinischen Belange den wirtschaftlichen Interessen bei der Entscheidungsfindung unterordnen soll. Hinzu kommt, dass die enge Zusammenarbeit und das anfänglich gute Verhältnis zu J. den Druck erhöhen. Grundsätzlich ist es am Beginn der beruflichen Laufbahn nicht ungewöhnlich, dass Behandlungen mehr Zeit in Anspruch nehmen als bei einer erfahrenen Kollegin oder einem erfahrenen Kollegen. Daher wird sich zwangsläufig eine wirtschaftlich schwächere Leistung ergeben – wobei dies auch bei der Vergütung berücksichtigt wird. Mit diesem Bewusstsein sollte jeder Praxisinhaber die Entscheidung treffen, eine Assistentin oder einen Assistenten einzustellen. Statt Druck aufzubauen und letztendlich zu kündigen, wäre es stattdessen wünschenswert, dass J. seine junge Assistentin fördert und ihr beibringt, durch schnellere und effizientere Behandlungen die Umsatzziele zu erfüllen. Leider fügen sich viele junge Kollegen dem Willen der Arbeitgeber aus der Angst heraus, ähnliche arbeitsrechtliche Sanktionen zu erhalten, obwohl sich bei näherer Betrachtung feststellen lässt, dass keines der genannten ethischen Prinzipien die Herangehensweise von J. rechtfertigt. Bei solch unterschiedlichen Auffassungen medizinischer Entscheidungen wie in diesem Fall ist es – unabhängig von der ethischen Betrachtung – gegebenenfalls besser, wenn sich die junge Kollegin eine passendere Assistenzarztstelle sucht.
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