GESELLSCHAFT | 67 Ende 1922 ließ sich Elbrechter in eigener Praxis in Elberfeld (Kolk) nieder. 1926 zog er nach Berlin um, wo er zunächst die Praxis eines verstorbenen Kollegen übernahm. In der Hauptstadt konnte er in kurzer Zeit eine exklusive, mondäne und profitable Zahnarztpraxis etablieren, in der „in der Hauptsache Diplomaten und ihre Familienangehörigen“ verkehrten, wobei Elbrechter eigenen Angaben zufolge in den Jahren 1930 bis 1933 ein jährliches Durchschnittseinkommen von jeweils circa 30.000 bis 35.000 Reichsmark erzielte [LA NRW, BR 3008, Nr. 10984]. Da er aus später auszuführenden Gründen von den Nationalsozialisten politisch verfolgt wurde, flüchtete Elbrechter im Sommer 1934 als „Staatsfeind“ ins Ausland, wo er in den Niederlanden und später in England untertauchte. Anfang der 30er-Jahre läuft seine Praxis exzellent Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hielt sich Elbrechter wieder in den Niederlanden auf. Von dort wurde er im Mai 1940 nach Deutschland abgeschoben. Er wurde inhaftiert und erst nach mehrmonatiger Festsetzung entlassen. In der Folgezeit lebte er im Raum Hamburg. Dort bestritt er seinen Lebensunterhalt notdürftig mit fachfremden Tätigkeiten – insbesondere mit dem Verkauf von Tiefkühlprodukten und Sojabohnenerzeugnissen. Bis zum Ende des „Dritten Reiches“ war es Elbrechter nicht mehr möglich, zahnärztlich tätig zu werden. Es gelang ihm jedoch, sich 1941 für das Fach Medizin zu immatrikulieren und Ende 1946 die ärztliche Approbation zu erlangen. 1948 promovierte er dann an der Universität Hamburg mit der Schrift „Übersicht über das Carcinom im Kindesalter“ bei Johann Baptist Mayer (1907–1981) zum Dr. med. [Elbrechter, 1948]. Seit 1948 wirkte er als praktischer Arzt in Düsseldorf – zunächst als Praxisvertreter und seit Ende 1953 in selbstständiger Position. Elbrechter war zweimal verheiratet – in erster Ehe seit Juli 1921 mit Cadtie Erna Gertrud Elbrechter, geb. Nobiling (geb. 1896); das Paar wurde 1938 geschieden. Im Dezember desselben Jahres heiratete er die in Concepción (Chile) geborene Carmen Margarete Elfriede Elbrechter, geb. Wünkhaus (1905–1967). Hellmuth und Carmen Elbrechter hatten den gemeinsamen Sohn Michael (geb. 1944), lebten aber über viele Jahre getrennt. Carmen Elbrechter verstarb 1967, Hellmuth Elbrechter am 10. August 1971 in Düsseldorf [Hellmuth Carl Elbrechter, 1971]. Ausgeklammert blieb bisher die Frage, warumElbrechterzurGruppederzahnärztlichen Widerstandskämpfer und „Staatsfeinde“ zählt und in dieser zmReihe besprochen wird. Um diese Frage zu beantworten, ist es erforderlich, bis in die Mitte der 1920er-Jahre zurückzugehen: Elbrechter fungierte seit etwa 1926 als behandelnder Zahnarzt, Vertrauter und politischer Berater von Gregor Strasser (1892–1934), der sich in diesen Jahren zu einem parteiinternen Rivalen von Adolf Hitler entwickelte. Über Strasser erhielt Elbrechter, der selbst der NSDAP fernblieb, Zugang zum Freundeskreis von Gauleiter Karl Kaufmann (1900–1969). Über Kaufmann lernte lernte Elbrechter auch den damaligen Gaugeschäftsführer Joseph Goebbels (1897–1945) kennen. Elbrechter und Goebbels entwickelten mit der Zeit ein sehr konflikthaftes Verhältnis. Goebbels nimmt in seinen Tagebüchern an zahlreichen Stellen auf Elbrechter Bezug – in teilweise sehr emotionaler und diskreditierender Art und Weise („Elbrechter ist Kaufmanns böser Dämon“; „Verdammter Blutegel Elbrechter“; „Dr. Elbrechter und die ganze Freimaurermischpoke“) [Fröhlich, 2005, 58, 62, 82]. Seit 1929 gehörte Elbrechter zudem zum kleinen Kreis von circa sechs Personen, die die jungkonservative Monatsschrift „Die TAT“ prägten. Für jenes Journal wie auch für die „Tägliche Rundschau“ verfasste er diverse journalistische Beiträge, so zum Beispiel „Die äußere Politik“ (1929), „Gesicht unserer Zeit“ oder „Die Konservative Volkspartei“ [Elbrechter, 1929a, 1929b, 1930]. „Publizierender Zahnarzt mit mannigfachen Verbindungen“ Elbrechter galt in dieser Zeit als „publizierender Zahnarzt […] mit mannigfachen Verbindungen“ [Demant, 1971, 33 (Zitat), 57]. Über seinen Berliner Zirkel lernte er auch Reichswehrgeneral Kurt von Schleicher (1882–1934) kennen, der sich in jenen Jahren – ähnlich wie Strasser – zu einem politischen Gegner Hitlers entwickelte. Schleicher sollte von Anfang Dezember 1932 bis Ende Januar 1933 der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik sein. Elbrechter wurde dessen Berater und lud zu vertraulichen Treffen in seine Berliner Wohnung (Schaperstraße) ein. Hierzu notierte Demant mit Bezugnahme auf Elbrechter: „Seine eigentliche Bedeutung lag […] darin, daß er in engem Kontakt zu Schleicher stand und so zwischen TAT-Redaktion und Reichswehrministerium als Vermittler und Überbringer auftreten konnte“ [Demant, 1971, 69]. Ähnlichen Einfluss nahm Elbrechter auf Strasser: Der vielbeachtete „Arbeitsbeschaffungsplan“, den Strasser am 10. Mai 1932 im Reichstag öffentlich vorstellte, dürfte „vor allem von Elbrechter“ verfasst worden sein [Kissenkoetter, 1978, 11]. Kissenkoetter konstatiert weiter, dass Elbrechter „in den Wochen des Spätsommers und Herbsts 1932 so etwas wie eine ‚graue Eminenz‘ wurde, die in Berlin hinter den Kulissen wirkte“ [Kissenkoetter, 1978, 147]. Elbrechter informierte Reichskanzler Schleicher am 5. Januar 1933 auch über die geheimen Verhandlungen, die Hitler und Franz von Papen (1878– 1969) im Haus des Kölner Bankiers Kurt Freiherr von Schröder (1889– 1966) führten. Dabei handelte es sich um das „historische“ Treffen, bei dem sich von Papen, der im Auftrag von Hindenburg agierte, und Adolf Hitler auf die Reichskanzlerschaft Hitlers verständigten. Da Elbrechter im Vorfeld zm113 Nr. 23-24, 01.12.2023, (2137) Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Dr. phil. Dominik Groß Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Vorsitzender des Klinischen Ethik-Komitees des UK Aachen Universitätsklinikum der RWTH Aachen University MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen Foto: UK Aachen
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