Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm113 Nr. 23-24, 01.12.2023, (2138) 68 | GESELLSCHAFT von dem geplanten Treffen erfahren hatte, sandte er einen Vertrauten zu Schröders Anwesen – dieser konnte die Beteiligten beim Betreten des Hauses ablichten. Elbrechter war somit in der Lage, Schleicher „Beweisfotos“ von jenem geheimen Treffen vorzulegen. Wie Elbrechter davon erfahren hatte, ist nicht zweifelsfrei geklärt. Jedenfalls soll Elbrechter Schleicher den Vorschlag unterbreitet haben, auf jenes Treffen mit einem „kalten Staatsstreich“ zu antworten. Dieser hätte das Ziel gehabt, den Reichstag ohne Zustimmung des Reichspräsidenten aufzulösen, um so die Bildung einer Regierung Hitler zu verhindern und bis zu den nachfolgenden Neuwahlen eine von Strasser angeführte, mit der NSDAP konkurrierende rechte Partei aufzubauen. Schleicher schreckte jedoch schlussendlich vor der Umsetzung dieses riskanten Plans zurück – wohl auch aufgrund eines chronischen Leidens, das ihn körperlich schwächte [Demant, 1971; Höhne, 1983]. Wiederholt wurde er von der Gestapo verhört Nach Hitlers Regierungsübernahme am 30. Januar 1933 schied Elbrechter aus der Redaktion der TAT aus, hielt jedoch weiterhin heimlich Kontakt zu Gregor Strasser, wie auch zu Heinrich Brüning (1888–1970), Reichskanzler der Jahre 1930 bis 1932. In dieser Zeitphase wurde Elbrechter wiederholt durch die Gestapo verhört. Im Dezember 1933 und im April 1934 führte die Gestapo zudem zwei „Hausdurchsuchungen“ in seiner Wohnung durch [LA NRW, BR 2182, Nr. 5029]. Offenbar blieben die Verdachtsmomente gegen Elbrechter bestehen. Jedenfalls sagte Heinrich Brüning im Jahr 1953 an Eides statt aus, dass Elbrechter zum Kreis der Personen gehörte, die am 30. Juni 1934 in Berlin als Reaktion auf den vermeintlichen „Röhm-Putsch“ in einer von Hitler veranlassten „Säuberungsaktion“ getötet werden sollten. Doch Elbrechter war am 30. Juni 1934 zufällig nicht in Berlin, sondern weilte zu einem Krankenbesuch in Weimar. So entkam er der Mord-Aktion und flüchtete umgehend in die Niederlande [LA NRW, BR 2182; LA NRW, BR 3008]. Mitte der 1930er-Jahre begab er sich nach England. Dort suchte Elbrechter Kontakt zu dem deutschen DNVP-Politiker, Schleicher-Vertrauten und Hitler-Gegner Gottfried Reinhold Treviranus (1891–1971). Dieser war 1934 ebenfalls den Ermordungen im Kontext des „Röhm-Putsches“ entkommen und nach England geflüchtet, wo er Kontakte zu Winston Churchill (1874–1965) und weiteren englischen Politikern knüpfte und diese vor Hitlers Expansions- und Vernichtungspolitik warnte. Elbrechters Versuche, in England beruflich Fuß zu fassen, erfüllten sich nicht: Er stellte ein Aufnahmegesuch als Zahnarzt an den britischen General Medical Council, dieses wurde jedoch 1935 abgelehnt [Zamet, 2007]. Ende der 1930er-Jahre trug er sich mit dem Gedanken, nach Chile zu emigrieren – dem Herkunftsland seiner zweiten Frau. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen: Zu Kriegsbeginn hielt sich Elbrechter in den Niederlanden auf und wurde nach Deutschland abgeschoben. Er wurde noch in der Grenzstadt Emmerich am Rhein festgenommen, dann in das Gestapo-Gefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße verbracht und nachfolgend im KZ Oranienburg inhaftiert. Dort wurde er im Herbst 1940 – nach zweimonatiger Haft – aus Krankheitsgründen als „wehrunfähig“ entlassen. Anschließend verblieb Elbrechter in Deutschland–offenbar sah er sein Leben nicht länger bedroht. An eine Praxiszulassung war dennoch nicht zu denken. Stattdessen hielt er sich bis zum Ende des „Dritten Reiches“ mit fachfremden Tätigkeiten über Wasser. Elbrechters politische Rolle in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“ wird unter Zeithistorikern seit den 1960er-Jahren intensiv diskutiert, etwa in Fachbeiträgen zu Strasser, Goebbels und Schleicher [zum Beispiel Fraenkel/ Manvell, 1960; Demant, 1971; Kissenkoetter, 1878; Fröhlich, 2004–2006]. Demgegenüber wurde seine Biografie im Fach Medizingeschichte bislang kaum wahrgenommen. Selbst Michael Köhn wusste offenbar nicht um Elbrechters politische Rolle im „Dritten Reich“, sondern zählte ihn in seiner ansonsten kenntnisreichen Monografie „Zahnärzte 1933–1945“ summarisch zu den Zahnärzten, „die aus den Zahnärzteverzeichnissen zwischen 1933 und 1938 verschwanden und bei denen kein Hinweis auf eine jüdische Herkunft gefunden wurde“ [Köhn, 1994, 192]. Umso lohnender erscheint eine wissenschaftliche Auswertung der verfügbaren Quellen zu Elbrechter. Teile seines Nachlasses finden sich im „Institut für Zeitgeschichte“ in München [IFZ München, Nachlass P. Schulz / A. Elbrechter]. Etliche weitere Aktenbestände sind im Landesarchiv NRW verwahrt [LA NRW, NW 205; LA NRW, NW 377; LA NRW, BR 3008; LA NRW, Gerichte Rep 120; BR 2182]. Besagte Archivalien werden derzeit im Rahmen eines medizinhistorischen Promotionsprojekts an der RWTH Aachen ausgewertet. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geriet Elbrechters Leben nicht in ruhiges Fahrwasser. Zum einen schlug er beruflich ein neues Kapitel auf – er wechselte von der zahnärztlichen zur ärztlichen Tätigkeit und spezialisierte sich in den 1950er-Jahren auf die „Frischzellentherapie“. Zum anderen machte er als NS-Verfolgter Entschädigungsansprüche gegenüber dem Land NRW geltend: Am 4. FebruZU UNSERER REIHE ZAHNÄRZTE ALS WIDERSTANDSKÄMPFER UND „STAATSFEINDE“ IM DRITTEN REICH 1. zm 17/2023: Ulrich Boelsen 2. zm 19/2023: Hermann Ley 3. zm 21/2023: Paul Rentsch 4. zm 23–24/2023: Helmuth Ellbrechter 5. zm 1-2/2024: Emanuel Berghoff 6. zm 3/2024: Rudi Glass 7. zm 5/2024: Helmut Himpel 8. zm 7/2024: Walter Rank 9. zm 9/2024: Ewald Fabian 10. zm 11 / 2024: Streitfälle (Otto Berger & Karl Eisenreich)

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