Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 23-24

70 | GESELLSCHAFT ar 1953 wurde er zunächst durch den Kreis-Anerkennungs-Ausschuss „als Verfolgter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anerkannt“ [LA NRW, BR 3008, Nr. 10984]. Als Belege dienten hierbei – neben Elbrechters detaillierten Angaben – eidesstattliche Erklärungen von Brüning und Treviranus [LA NRW, BR 3008, Nr. 10984]. Der Kampf um Anerkennung und Entschädigung Am 29. Mai 1957 sprach ihm die Landesrentenbehörde auf der Grundlage einer „verfolgungsbedingten Erwerbsminderung“ rückwirkend eine „Beschädigtenrente“ ab dem 1. Januar 1945 zu [LA NRW, BR 2182, Nr. 5029]. Doch gegen diese Entscheidung erhob Elbrechter am 15. August 1957 Klage: Er stellte den Antrag, „das Land Nordrhein-Westfalen zu verurteilen, an mich eine Kapitalentschädigung zur Beschädigtenrente nicht erst ab 1.1.45, sondern ab 1. Aug. 1934 zu zahlen“. Zur Begründung gab er an, dass sein „Gesundheitsschaden“ viel früher aufgetreten sei: „Es war Ende Juli 34, anlässlich eines abendlichen Telefongesprächs in Amsterdam im Hotel Carlton, als ich die telefonische Nachricht erhielt, dass wegen meiner Flucht anlässlich der Ermordungen des 30. Juni 34 zwei Geiseln festgenommen wurden, um mich unter Druck zu setzen, nach Deutschland zurückzukehren.“ Er habe einen „derartigen Schock“ erlitten, „dass ich zum ersten Mal, wie der Laie sagt, am Telefon ‚weiche Knie‘ bekam und ich mich nur mit Mühe aufrecht erhalten konnte. Von dieser Zeit an litt ich jahrelang unter sehr starken Kopfschmerzen, Schwindel und stärkster Schlaflosigkeit. Die damals eingetretene Erniedrigung des Blutdruckes besteht praktisch jetzt noch“ [LA NRW, BR 2182, Nr. 5029]. Auf Elbrechters Klage folgte ein zweieinhalbjähriges rechtliches Verfahren, in dessen Verlauf Elbrechter zweimal ärztlich begutachtet wurde. Am 19. Juni 1959 wies die Erste Entschädigungskammer des Landgerichts in Düsseldorf dann seine Klage ab. Zum einen waren die beiden involvierten ärztlichen Gutachter Elbrechters Argumentation, dass sein Gesundheitszustand sich 1934 schlagartig verschlechtert habe, nicht gefolgt, und zum anderen hatte Elbrechter selbst an früherer Stelle erklärt, erst seit 1938 unter den besagten gesundheitlichen Einschränkungen zu leiden. Insofern wurden seine Aussagen als widersprüchlich und die spätere Forderung dementsprechend als unglaubwürdig bewertet. Elbrechter wiederum legte gegen den Bescheid Widerspruch ein – allerdings ohne Erfolg. Überlebt – ohne fortan seine innere Ruhe wiederzufinden Wie wäre die deutsche Geschichte verlaufen, wenn Schleicher auf Elbrechters Vorschlag eines „kalten Staatsstreichs“ eingegangen wäre oder wenn sich Schleicher beziehungsweise Strasser innenpolitisch gegen Hitler durchgesetzt hätten? Und was hätte dies für Elbrechters weiteres Leben bedeutet? Jede Antwort auf diese Fragen ist spekulativ. Fest steht, dass Elbrechters Status als Prominenten-Zahnarzt, Politikberater und „graue Eminenz“ in Berlin mit dem vermeintlichen „RöhmPutsch“ jäh beendet war. Er überlebte zwar die Jahre der Verfolgung, fand aber fortan keine innere Ruhe mehr. Dies sollte sich auch in der Bundesrepublik nicht mehr ändern. Hinweise auf Elbrechters Befindlichkeit in den 1950er-Jahren geben nicht nur seine juristischen Auseinandersetzungen mit dem Land Nordrhein-Westfalen, sondern auch weitere im Landesarchiv NRW dokumentierte, mit seiner Person verbundene Rechtsstreitigkeiten – etwa ein Verfahren und ein Berufungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung sowie ein Unterhaltsstreit mit seiner zeitweilig in Brasilien lebenden Frau [LA NRW, NW 205; LA NRW, NW 377; LA NRW, Gerichte Rep 120]. Liest man die betreffenden Aktenbestände, so drängt sich der Eindruck auf, dass es Hellmuth Elbrechter in seinen späten Jahren nicht mehr gelang, innere Ruhe zu finden und auf die Sonnenseite des Lebens zurückzukehren. „ zm113 Nr. 23-24, 01.12.2023, (2140) Schreiben des Regierungspräsidenten in der Entschädigungssache Elbrechter vom 6.12.1957 [LA NRW, BR 2182 Nr. 5029] Foto: [LA NRW, BR 2182 Nr. 5029] ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.

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