Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 01-02

30 | ZAHNMEDIZIN FORTBILDUNG „LÖSUNGEN FÜR KLINISCHE HERAUSFORDERUNGEN“ Wurzelresorptionen frühzeitig erkennen und richtig behandeln Matthias Widbiller, Gabriel Krastl Wurzelresorptionen gehören sowohl diagnostisch als auch therapeutisch zu den Herausforderungen des klinischen Alltags. Dabei ist die korrekte Diagnose, das heißt die richtige Einordnung der klinischen und der röntgenologischen Befunde, eine wichtige Voraussetzung für die Wahl einer Erfolg versprechenden Intervention. Der Beitrag gibt einen Überblick über mögliche Ursachen, Pathomechanismen, Typen und Therapiemöglichkeiten von Wurzelresorptionen. Zahnhartsubstanzdefekte, die durch Resorptionen verursacht werden, werden häufig zufällig bei routinemäßigen zahnärztlichen Untersuchungen entdeckt. Ihr klinisches und röntgenologisches Erscheinungsbild ist äußerst vielfältig, was die genaue Diagnosestellung für Zahnärztinnen und Zahnärzte erschwert. Im Gegensatz zur natürlichen Resorption von Milchzahnwurzeln handelt es sich bei Resorptionsvorgängen an bleibenden Zähnen immer um pathologische Vorgänge, die in der Regel eine therapeutische Intervention erfordern. Pathophysiologie Obwohl der menschliche Knochen einem ständigen Umbau unterliegt, sind die Zähne über den Parodontalapparat im Kieferknochen verankert, ohne selbst an den Knochenumbauprozessen beteiligt zu sein. Dies ist speziellen Gewebeelementen zu verdanken, die das Eindringen von Hartgewebe abbauenden Zellen, den Odontoklasten, in den Zahn verhindern. Schutzbarrieren an der Außenseite der Zahnwurzel sind das Präzement, die Zementoblasten und das parodontale Ligament (Abbildung 1). Gleichzeitig wird das Pulpenkavum durch eine Schicht aus Prädentin und Odontoblasten, die die Kanalwand auskleidet, vor resorptiven Prozessen von innen geschützt (Abbildung 1) [Heboyan et al., 2022; Trope, 1998]. Die genauen Ursachen pathologischer Wurzelresorptionen sind oft unbekannt. Man weiß jedoch, dass die Zerstörung der Schutzbarriere des Zahnes und ein zusätzlicher Reiz notwendig sind, damit die Odontoklasten das Dentin angreifen und abbauen können. Bei relativ kleinflächigen Defekten (< 20 Prozent der Wurzeloberfläche) kann eine autonome Regeneration durch parodontale Zellen erfolgen, wodurch die Schutzbarriere wiederhergestellt wird [Andreasen und Kristerson, 1981]. Ist das Ausmaß der regenerationsfähigen Defektgröße überschritten, dringt das entzündliche Resorptionsgewebe zunächst in die Zahnwurzel ein. Bei weiteren Reizen breitet sich die Resorption allmählich im Zahn in alle Richtungen aus (Progression). Nach der Auflösung durch das entzündliche Gewebe kommt es zu einem knochenähnlichen Umbau der Zahnhartsubstanz, der als Reparatur bezeichnet wird. Während die Resorptionen in der Progressionsphase radiologisch transluzent sind, stellen sich die Defekte in der anschließenden Reparaturphase als radioopak dar. Odontoklasten sind mehrkernige Riesenzellen, die durch ihre Haftung am Dentin stabile Resorptionslakunen bilden (Abbildung 2). Im Bereich des basalen Faltensaumes setzen sie Enzyme wie Kollagenasen und Proteasen aus den Lysosomen frei, die die organische Matrix abbauen. Zusätzlich bewirken die sezernierten Ionen (H+, Cl-) eine Absenkung des pH-Wertes, was zur Auflösung des mineralisierten Gewebes führt. Odontoklasten sind eng verwandt mit den etwas größeren Osteoklasten, die zum mononukleärphagozytären System gehören und am physiologischen Knochenumbau beteiligt sind. Diese Zellen entstehen aus Vorläuferzellen, die sich durch Bindung von Signalmolekülen wie RANKL (Receptor Activator of NF-κB Ligand) und M-CSF (Macrophage Colony-stimulating Factor) an zelleigene Rezeptoren in mehreren Schritten differenzieren [Suda et al., 1999; Widbiller, 2020]. Die Signalmoleküle RANKL und M-CSF sowie der biologische Gegenspieler von RANKL, OPG (Osteoprotegerin) werden von Osteoblasten, den knochenbildenden Zellen, gebildet. Darüber hinaus können auch Zementoblasten und Pulpazellen OPG als Teil eines Schutzmechanismus produzieren, um die Differenzierung und Aktivierung klastischer Zellen zu hemmen und so Resorptionen zu verhindern [Galler et al., 2021; Iglesias-Linares und Hartsfield, 2017; Kim et al., 2020]. Ätiologie Verletzungen der schützenden Barriere auf der Oberfläche der Zahnwurzel treten häufig als Folge von Zahnunfällen auf. Bei schweren Traumata, zum Beispiel Intrusionen, können erhebliche mechanische Schäden auftreten. Nach Avulsionen können unsachgemäße Lagerung und Austrocknung zu Schädigungen der Desmodontalzellen führen [Krastl et al., 2021; Souza et al., 2020]. Häufig werden auch übermäßige kieferorthopädische Belastungen als Auslöser von Wurzelresorptionen beobachtet. Weitere mögliche Ursachen sind Verletzungen bei zahnärztlichen Eingriffen wie Zahnextraktionen, parodontalen Reinigungen oder intrakoronalen Zahnaufhellungen. Impaktierte Zähne, Zysten oder Tumoren können zm114 Nr. 01-02, 16.01.2024, (28)

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