Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 01-02

GESELLSCHAFT | 57 zm114 Nr. 01-02, 16.01.2024, (55) sität Wien mit der Promotion zum Dr. med. univ. ab und erhielt die ärztliche Approbation [Mentzel, 2018; Groß, 2024; WStLA]. Wer in Österreich in jener Zeit Zahnarzt werden wollte, sah sich zwei Besonderheiten gegenüber [Groß, 2019 und 2023a]: Zum einen war der Weg zur Ausübung der Zahnheilkunde an ein volles Medizinstudium gebunden, dem anschließend eine Weiterbildung in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde folgte. Zum anderen handelte es sich bei der medizinischen Promotion in Österreich um ein sogenanntes Berufsdoktorat. Das bedeutete, dass die Doktorwürde mit dem erfolgreichen Abschluss des Medizinstudiums und dem Ablegen der Rigorosen verliehen wurde, ohne dass hierfür eine Dissertation anzufertigen war – eine Regelung, die für das Medizinstudium in Österreich in ähnlicher Form noch heute Bestand hat. Dementsprechend wurde Berghoff nach den erfolgreichen ärztlichen Prüfungen automatisch zum „Doktor der gesamten Heilkunde“ promoviert. Weiterbildung im Fach Zahnheilkunde Ob Berghoff zu dem Zeitpunkt schon wusste, dass er eine zahnärztliche Laufbahn einschlagen würde, darf bezweifelt werden. Jedenfalls war er zunächst als Assistent in der dermatologischen Abteilung der Universität Wien bei Gabriel Nobl (1864–1938) tätig. Er entschied sich 1923 aber doch für eine Weiterbildung im Fach Zahnheilkunde [Mentzel, 2018; Groß, 2024; WStLA]. Diese absolvierte er am Zahnärztlichen Institut der Universität Wien bei Rudolf Weiser (1859– 1928) und Hans Pichler (1877–1949). Vor allem Pichler war eine in jener Zeit weithin bekannte Größe des Faches [Groß, 2022a und 2022b]. Anschließend ließ Berghoff sich als Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in eigener Praxis nieder – in der Langegasse im VIII. Wiener Bezirk [Reichsverband Österreichischer Zahnärzte, 1933; Reichsverband Österreichischer Zahnärzte, 1936]. Er trat mit klinisch orientierten Fachaufsätzen in Erscheinung [Berghoff, 1928c; Berghoff, 1931]. Nebenbei war er an der Schulärztlichen Klinik und am Krankenkassenambulatorium für Industrieangestellte in Wien tätig. Spätestens seit 1928 betrieb er dann – parallel zu seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Zahnarzt – medizinhistorische Forschungen am Institut des Wiener Ordinarius für Medizingeschichte Max Neuburger (1868–1955). Berghoff arbeitete bis 1938 eng mit Neuburger zusammen, avancierte zum „Neuburger-Schüler“ und entfaltete eine rege Publikationstätigkeit [Berghoff, 1928a, 1928b, 1932 und 1937]. Auch engagierte er sich in der von Neuburger 1931 gegründeten „Akademischen freien Vereinigung für medizinische Geistesgeschichte und praktische Medizin“ als Vorstandsmitglied (Schriftführer) und als Referent. Besondere Aufmerksamkeit erzielte Berghoffs „Festschrift zum 80. Geburtstag von Max Neuburger“. Er hatte das Werk bereits 1938 zum 70. Geburtstag zusammengestellt – es konnte jedoch wegen der widrigen politischen Verhältnisse erst 1948 veröffentlicht werden [Berghoff, 1948a]. Bis 1938 schien Berghoffs Leben somit in geordneten Bahnen und zu seiner vollen Zufriedenheit zu verlaufen. Er konnte bei all seinen beruflichen Aktivitäten Erfolge verzeichnen und tat auch privat einen wichtigen Schritt: Er heiratete im Juni 1936 die Wienerin Anna Maria [Annamaria] Pisa (1907–1989). Später bekam das Paar ein gemeinsames Kind – die Tochter Edith, später verheiratete Komarek (1947–1983) [Groß, 2024; Mentzel, 2018; WStLA]. Verfolgt aus rassistischen und politischen Gründen Doch 1938 – im Jahr des „Anschlusses“ Österreichs ans „Deutsche Reich“ – sollte sich alles ändern: Berghoff war jüdischer Herkunft und sah sich nun Repressionen seitens des NS-Regimes ausgesetzt. Er wurde jedoch nicht allein aus rassistischen, sondern auch aus politischen Gründen verfolgt: Bereits seit Anfang der 1920er-Jahre war er in der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs“ (SDAPÖ) aktiv und hatte sich dort vor allem Fragen des Mutterschutzes und der Kindererziehung gewidmet. Zudem hatte er sich in der Lebensreform- und Körperkulturbewegung und bei den „Naturfreunden“ der Bezirksgruppe Josefstadt engagiert. Überdies trat er ab 1927 als „Referent im Verband der sozialistischen Arbeiterjugend“ in Erscheinung [Mentzel, 2018]. Auch seinen Publikationen war zu entnehmen, dass er sich in jener Zeit eher im linken politischen Spektrum bewegte: Er schrieb wiederholt in der „Arbeiter-Zeitung“ zu Fragen der „sozialen Zahnheilkunde“ – etwa Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Dr. phil. Dominik Groß Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Vorsitzender des Klinischen Ethik-Komitees des UK Aachen Universitätsklinikum der RWTH Aachen University MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen Foto: UK Aachen ZU UNSERER REIHE ZAHNÄRZTE ALS WIDERSTANDSKÄMPFER UND „STAATSFEINDE“ IM DRITTEN REICH 1. zm 17/2023: Ulrich Boelsen 2. zm 19/2023: Hermann Ley 3. zm 21/2023: Paul Rentsch 4. zm 23–24/2023: Hellmuth Elbrechter 5. zm 1-2/2024: Emanuel Berghoff 6. zm 3/2024: Rudi Glass 7. zm 5/2024: Helmut Himpel 8. zm 7/2024: Walter Rank 9. zm 9/2024: Ewald Fabian 10. zm 11 / 2024: Streitfälle (Otto Berger & Karl Eisenreich)

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