Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 01-02

60 | GESELLSCHAFT „Sudetenland“ (heute Tschechien). Von den rund 100.000 Gefangenen in Flossenbürg kam wiederum rund ein Drittel (mindestens 30.000 Personen) um. Etliche Häftlinge fielen hierbei der harten Zwangsarbeit zum Opfer: Sie wurden im Steinbruch und später zur Produktion von Jagdflugzeugen der Messerschmitt GmbH Regensburg eingesetzt. Doch anders als etwa Paul Rentsch oder Helmut Himpel überlebte Berghoff den Holocaust. Er gehörte zu den Überlebenden, die 1945 aus dem KZ befreit werden konnten, und kehrte zurück nach Wien. Dort nahm er alsbald seine Tätigkeit als praktischer Zahnarzt wieder auf. Er blieb dem VIII. Wiener Bezirk treu, praktizierte nun aber in der Piaristengasse, wo er bis mindestens 1962 nachweislich niedergelassen war [Österreicher der Gegenwart, 1951; Adressbuch Wien, 1962]. Im Laufe der 1960er-Jahre dürfte er in den Ruhestand eingetreten sein. Er blieb aber auch in der Folgezeit in Wien ansässig, zuletzt im XIV. Wiener Bezirk in der Hütteldorfer Straße. Dort verstarb er am 23. September 1974 [Groß, 2024; Mentzel, 2018]. Die Biografie von Berghoff steht in dieser Reihe stellvertretend für deutsche und österreichische Juden, die sich bereits vor dem politischen Machtwechsel in sozialdemokratischen und sozialistischen Organisationen engagierten. Tatsächlich waren jüdische Mitglieder in jenen Vereinigungen überrepräsentiert. Dementsprechend boten jene Mitglieder den Nationalsozialisten nach der Machtübernahme einen doppelten Verfolgungsgrund: einen „rassischen“ und einen politischen. Zu Recht betont Kröner: „Jüdische Ärzte waren traditionell stärker im linken Bereich des Parteienspektrums vertreten und stellten auch einen großen Teil der Mitglieder des ‚Vereins sozialistischer Ärzte‘, waren also im ‚Dritten Reich‘ oft in doppelter Hinsicht verfolgt“ [Kröner, 1989]. Berghoffs Biografie ist noch in anderer Hinsicht bemerkenswert: Ähnlich wie Hellmuth Elbrechter, der in der letzten zm-Folge (zm 23-24/2023) vorgestellt wurde, fand auch Berghoff in der Nachkriegszeit keine innere Ruhe mehr. Elbrechter und Berghoff weisen mehrere biografische Parallelen auf: Elbrechter war bis ins höhere Alter beruflich auf der Suche. Er praktizierte zuerst als Zahnarzt, absolvierte dann in den 1940er-Jahren ein Medizinstudium und eine Weiterbildung zum Kinderarzt [Groß, 2023b]; schlussendlich war er aber nicht als Pädiater tätig, sondern führte „Frischzellentherapien“ durch, die in den 1950erJahren als „Anti-Aging-Maßnahmen“ angepriesen wurden und zur „Revitalisierung“ führen sollten. Außerdem focht Elbrechter über viele Jahre juristische Auseinandersetzungen mit dem Land Nordrhein-Westfalen, einen Unterhaltsstreit mit seiner zeitweilig in Brasilien lebenden Frau und ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung aus [Groß, 2023b; Groß, 2024]. In der Nachkriegszeit fand er keine Ruhe mehr Auch Berghoff war in der Nachkriegszeit beruflich auf der Suche, und auch er geriet in eine Außenseiterrolle [Mentzel, 2018; Groß, 2024]. So unternahm er den Versuch, von der Zahnheilkunde in das Fach Medizingeschichte zu wechseln. Sein medizinhistorisches Oeuvre war durchaus zm114 Nr. 01-02, 16.01.2024, (58) Berghoff (1954), Titelblatt Alle Fotos: Groß

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