Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 01-02

66 | MEDIZIN endlich zur Nekrose der oberflächlichen Haut führt und bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. von Hippokrates beschrieben wurde. Aufgrund der hohen Durchblutung im Hals- und Kopfbereich ist das Krankheitsbild hier seltener und tritt vermehrt in der Lendenregion (Fournier-Gangrän) und an den Extremitäten auf [Descamps et al., 1994]. Gefürchtete Komplikationen wie Sepsis, Schock und Multiorganversagen lassen die Mortalität mit 10,0 bis 14,4 Prozent hoch ausfallen [Lazzeri et al., 2010]. Risikofaktoren sind Alkoholismus, Diabetes mellitus, Kollagen- und Gefäßerkrankungen, rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes, tiefe Venenthrombose und Immunsuppressiva [Scheepers et al., 2010]. Ursächlich für die Infektion sind in den meisten Fällen grampositive Gruppe-A beta-hämolytische Streptokokken (GABHS), gefolgt von Pseudomonas. In einem Review von Amrith et al. waren sieben von 20 untersuchten Fällen Mischinfektionen, die auf GABHS und Staphylococcus aureus zurückzuführen waren [Amrith et al., 2013]. Das M-Protein in der Zellwand der GABHS ist ein Superantigen, das für die Virulenz des Organismus verantwortlich ist, da es die Antikörper-vermittelte Phagozytose hemmt. Diese Stämme sezernieren auch die Exotoxine A und B, was zu einer Protease-induzierten Gewebezerstörung und einem toxischen Schock führt. Wie in unseren Fallbericht ist die Eintrittspforte für Bakterien meist ein Trauma, das so trivial sein kann, dass die Patienten oft nicht in der Lage sind, sich rückwirkend daran zu erinnern [Amrith et al., 2013; Gates et al., 2001]. Aufgrund der geringen Inzidenz von nur 0,24 pro 1.000.000 Einwohner pro Jahr kann die rasche Diagnosestellung dieser seltenen Erkrankung erschwert sein [Flavahan et al., 2014]. Da die Haut über der Schwellung erythematös erscheint und Bullae zusammen mit livider Verfärbung imponieren können, kann das klinische Bild mit einem Erysipel oder einer viralen Erkrankung wie dem Zoster verwechselt werden [Amrith et al., 2013]. Die massive Erhöhung der Leukozyten im Blutbild stellt hier ein deutliches Krankheitszeichen dar [Wong et al., 2004]. Im fortgeschrittenen Stadium lässt sich eine Krepitation der Weichteile vernehmen, die radiologisch als eingeschlossene Luftblasen verifizierbar ist. CT und MRT sind somit wichtige Hilfsmittel, um Differenzialdiagnosen auszuschließen und die Ausbreitung in den Weichteilen und auf Faszienebene abzuschätzen, lange bevor kutane Nekrosen sichtbar sind [Wysoki et al., 1997]. Durch Thromben der kleineren und kleinsten Blutgefäße ist die Bioverfügbarkeit der Antibiotika in den betroffenen Hautarealen stark reduziert. Daher muss die antibiotische Therapie zusätzlich mit einem unverzüglich begonnenen Wunddebridement kombiniert werden, das klassischerweise chirurgisch-resektiv erfolgt. Daneben sind mikrobiologische Untersuchungen für die Wahl der Antibiose entscheidend. Beta-Lactam-Antibiotika (wie Penicilline oder Cephalosporine) und Clindamycin sind hier der Standard. Benzyl-Penicillin ist besonders wirksam gegen GABHS [Amrith et al., 2013]. Ein wiederholtes Debridement kann notwendig werden, wenn das Ansprechen auf die Behandlung nicht adäquat ausfällt. Folgend müssen dann umfangreiche resektive Eingriffe durchgeführt werden, die eine rekonstruktive Wiederherstellungschirurgie zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich machen. Die schwerwiegendste Komplikation stellt dabei die Entfernung des Augapfels – und damit konsekutiv der Verlust der Sehkraft – dar [Wysoki et al., 1997]. Hintergrund Lange bevor moderne Antibiotika die Medizin revolutionierten, wurden Maden zur Reinigung von Wunden beim Ngemba-Stamm der Aborigines oder von den Maya eingesetzt. Im Mittelalter ging dieses Wissen teilweise verloren, so dass nur sporadische Berichte davon existieren. Beispielsweise bemerkte 1799 der französische Chirurg Baron Dominique Jean Larrey im Zuge der Ägypten-Expedition von Napoleon Bonaparte, dass „blaue Fliegen“ nekrotisches Gewebe aus Wunden selektiv entfernen [Wollina, 2019]. Sein Therapieansatz scheiterte allerdings, da er die französischen Soldaten von der unappetitlichen Anwendung nicht überzeugen konnte. Erst als der US-amerikanische Chirurg William S. Baer durch seine gewonnenen Erkenntnisse aus dem Ersten Weltkrieg erfolgreich 21 Osteomyelitis-Patienten behandelte, hatte die Mazm114 Nr. 01-02, 16.01.2024, (64) Abb. 6: Dritte Woche: blande Wundverhältnisse bei fortschreitender Heilung Abb. 7: Abschlussbild nach sieben Wochen: fast vollständig geschlossene Wunde, neue Epithelialisierung von den Rändern Fotos: Lucas Greilich

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