Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 03

ZAHNMEDIZIN | 15 bei insgesamt 133 Wirkstoffe neu aufgenommen wurden. Damit ist PRISCUS 2.0 doppelt so umfangreich wie die vorherige Liste aus dem Jahr 2010. Die Einstufung als PIM sollte ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung über eine Medikamentenverordnung sein. Jedoch kann die Verordnung eines PIM im Einzelfall trotzdem sinnvoll und notwendig sein [Mühlbauer, 2023]. Immerhin 12,4 Prozent aller Medikamente, die ältere Menschen in Deutschland erhalten, sind PIM. Nahezu jede zweite ältere Person (65 Jahre und älter) hat im Jahr 2021 mindestens eine PIMVerordnung erhalten (49,5 Prozent), wobei der Anteil unter den weiblichen GKV-Versicherten mit 52,3 Prozent höher war als unter den männlichen mit 45,6 Prozent [Thürmann et al., 2022]. Obwohl die Anzahl und Anteile verschiedener PIM aus der PRISCUS-2.0Liste für ältere (> 65 Jahre) GKV-Versicherte im Arzneimittelkompass 2022 nach Facharztgruppen differenziert werden, sind die Zahnmediziner lediglich unter der Rubrik „Sonstige“ subsumiert [Thürmann et al., 2022]. In einer US-amerikanischen Studie, der die mit PRISCUS vergleichbare Beers-Liste zugrunde lag, wurde festgestellt, dass 56,9 Prozent der älteren Patienten zumindest ein problematisches Medikament beim Zahnarzt erhalten hatten, bei 28,3 Prozent waren es sogar zwei und mehr PIM [Skaar und O'Connor, 2017]. Im Folgenden soll speziell auf die Wirkstoffe/Wirkstoffgruppen aus der PRISCUS-2.0-Liste eingegangen werden, die für die zahnärztliche Verordnungspraxis eine besondere Bedeutung haben. Nichtsteroidale Antiphlogistika und Antirheumatika (NSAR) Diese Wirkstoffgruppe wird in der neuen PRISCUS-Liste sehr differenziert behandelt. Generell begünstigen bei älteren Patienten neben Antihypertensiva (36 Prozent) vor allem nichtsteroidale Analgetika/Antiphlogistika (17,8 Prozent) häufig unerwünschte Arzneimittelwirkungen [Onder et al., 2012]. Ketoprofen, Dexketoprofen oder Ibuprofen sind bei einer Einmalgabe unproblematisch [Gaskell et al., 2017]. Jedoch sollte bei älteren Patienten 3 x 400 mg Ibuprofen /Tag ohne Magenschutz maximal für eine Woche verordnet werden, bei längerer Einnahme ist zusätzlich ein Protonenpumpenhemmer (PPI) erforderlich [Mann et al., 2023]. Das Risiko einer schwerwiegenden NSAR-induzierten gastrointestinalen Komplikation steigt mit zunehmendem Alter, der Schwere und der Art der Grunderkrankung, etwa Morbus Crohn, bei gleichzeitiger Einnahme von Kortikoiden oder Antikoagulanzien, bei kardiovaskulärer Erkrankung sowie bei Ulkus oder gastrointestinaler Blutung in der Vorgeschichte [Wolfe et al., 1999; Hernandez-Diaz, 2000]. Besondere Vorsicht gilt in diesem Zusammenhang bei der Verordnung von Diclofenac und selektiven Cyclooxygenase-2-Inhibitoren (Coxiben) [Heimes und Kämmerer, 2023]. Nach bisherigem Kenntnisstand führen NSAR zu einer drei- bis fünffachen Erhöhung des Risikos für Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt [Henry und McGettigan, 2003]. Aus diesem Grund ist die Verschreibung von NSAR bei Personen mit aktiver Gastritis oder einer Ulkusanamnese kontraindiziert. Erschwerend kommt einer Studie zufolge hinzu, dass die meisten Patienten vor Auftreten einer schweren NSARassoziierten gastrointestinalen Komplikation keinerlei Symptome aufweisen [Willen, 2023]. In der PRISCUS-Liste wird explizit auf die gastrointestinalen Nebenwirkungen der NSAR wie Ulzerationen und Blutungen hingewiesen. Diese Ulzerationen können bei unsachgemäßer Anwendung auch im oralen Bereich auftreten (Abbildung). zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (117) PD Dr. Dr. Frank Halling Gesundheitszentrum Fulda, Praxis für MKG-Chirurgie/ Plast. Operationen, Gerloser Weg 23a, 36039 Fulda und Klinik und Poliklinik für Mund-, Kieferund plastische Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg Baldingerstraße, 35043 Marburg Foto: privat Zahnärztliche Verordnungshäufigkeit von Ibuprofen in Deutschland (2012–2021) 0,6 0,6 0,7 0,7 0,7 0,8 0,8 0,8 0,9 0,9 0,9 DDD (Ibu)/Tag/1000 GKV Mitglieder 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Jahr 2018 2019 2020 2021 0,65 0,7 0,75 0,8 0,85 0,9 0,95 Grafik: Verordnungshäufigkeit (in Tagesdosen/1.000 GKV-Versicherte), [mod. nach Albrecht et al., 2024]

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