Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 03

zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (118) 16 | ZAHNMEDIZIN Thematisiert wird in der neuen PRISCUS-Liste auch das kardiovaskuläre Risikoprofil der NSAR, das in den vergangenen Jahren eine breite Diskussion über deren Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgelöst hat. Klar ist, dass NSAR und Coxiben im Vergleich zu Placebo mit einem erhöhten Risiko kardiovaskulärer Komplikationen wie Herzinfarkt, Apoplex oder periphere arterielle Verschlüsse assoziiert sind [Moore et al., 2007; Trelle et al., 2011]. Eine 2017 publizierte Metaanalyse bestätigte diese Ergebnisse und fand sogar bei nur kurzzeitigem Gebrauch von NSAR Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Myokardinfarkte [Bally et al., 2017]. Letztlich bleibt der Einsatz von NSAR bei kardiovaskulären Vorerkrankungen, die im Fall der Hypertonie und der ischämischen Herzkrankheiten zu den zehn häufigsten hausärztlichen Diagnosen zählen [KBV, 2017], immer problematisch. Registerdaten aus Dänemark mit Angaben von 28.947 Menschen in einem durchschnittlichen Alter von 70 Jahren zeigten, dass unter lbuprofen oder Diclofenac das Risiko für einen plötzlichen Herztod um 31 beziehungsweise 50 Prozent anstieg [Sondergaard et al., 2017]. Besondere Vorsicht ist bei der Verschreibung von Diclofenac und Coxiben wie Etoricoxib geboten: Die Gabe ist bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinsuffizient NYHA II–IV, koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen) deshalb ebenfalls kontraindiziert [Heimes und Kämmerer, 2023]. In einer Übersichtsarbeit von Worm und Team [Worm et al., 2014] zu ADACLuftrettungseinsätzen aufgrund einer anaphylaktischen Reaktion zeigte sich, dass Schmerzmittel an erster Stelle bei den medikamenteninduzierten Auslösern zu finden sind. Hierbei belegen die NSAR Diclofenac, Acetylsalicylsäure und Ibuprofen die ersten drei Plätze! Vor diesem Hintergrund erscheint es besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass Ibuprofen seit Langem das mit Abstand „beliebteste“ NSAR im zahnmedizinischen Bereich in Deutschland ist. Eine aktuelle Analyse zeigt, dass die Verordnungshäufigkeiten seit 2012 praktisch kontinuierlich zugenommen haben, so dass mittlerweile fast 80 Prozent aller zahnärztlichen Analgetikaverordnungen für den Wirkstoff Ibuprofen ausgestellt werden [Albrecht et al., 2024] (Grafik). Codein Die „schwächer“ wirksamen Opioide, zu denen auch Codein gehört, werden hepatisch metabolisiert. Codein ist eine sogenannte „Prodrug“, es entfaltet seine analgetische Wirkung erst durch die Umwandlung in den aktiven Metaboliten Morphin, der zu etwa zehn Prozent durch Demethylierung unter Beteiligung des Enzyms CYP2D6 in der Leber entsteht. Insgesamt ist das Potenzial für Arzneimittelinteraktionen bei allen schwachen Opioiden besonders in der Polypharmakotherapie als erheblich anzusehen [Doan et al., 2013]. Ältere Menschen zeigen generell eine höhere Empfindlichkeit gegenüber denEffekten der Opioide. Codein wird in der Zahnmedizin am häufigsten als Inhaltsstoff in einem Kombinationspräparat (Dolomo TN®) verordnet. Das Präparat ist in der Zahnmedizin sehr beliebt, aber pharmakologisch kritisch zu sehen [Daubländer und Höcherl, 2021]. Neben der Obstipation durch die Verminderung der gastrointestinalen Peristaltik müssen auch Benommenheit und Schwindel als relevante Nebenwirkungen genannt werden, denn es besteht immer die Gefahr von Stürzen und den daraus resultierenden Einschränkungen der Mobilität bis hin zur Pflegebedürftigkeit [Kojda, 2014]. Bei älteren Patienten kann sich die starke Wirkung der Opioide auf das zentrale Nervensystem durch eine verringerte Atemfrequenz bis hin zur Atemdepression äußern [Kojda, 2016]. Insbesondere bei betagten Patienten (> 85 Jahre) mit Atemwegserkrankungen ist das Risiko einer Ateminsuffizienz durch Codein deutlich erhöht [Tchoe et al., 2020]. Codein und andere Opioide sollten daher bei Störungen der Atemfunktion und chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen wie COPD nicht verordnet werden. Fluorchinolone (Breitbandantibiotika) Obwohl Fluorchinolone (wie Moxifloxacin, Ciprofloxacin) im zahnmedizinischen Bereich eher selten eingesetzt werden [Sobottka et al., 2012; Slots, 2022], ist besonders bei älteren Patienten mit Komorbiditäten Vorsicht geboten. Regelhaft ist eine geringe Verlängerung des QTc-Intervalls im EKG nachweisbar. Wenn gewisse weitere Risikofaktoren wie Elektrolytstörungen, kardiale Vorerkrankungen oder eine Therapie mit Antiarrhythmika hinzukommen, können schwerwiegende Rhythmusstörungen („Torsades de pointes“) auftreten. Außerdem sind die Wirkungen der Chinolone auf Strukturen des Bindegewebes zu berücksichtigen: Chinolone können zu Tendopathien (Tendinitis, Rupturen) führen, die sich offenbar auch noch Wochen und Monate nach einer Chinolontherapie – zum Beispiel in Form einer Achillessehnenruptur – klinisch manifestieren können [Stahlmann, 2017]. Fazit Obwohl die PRISCUS-2.0-Liste im Wesentlichen eine Orientierung für Hausärzte und Allgemeinmediziner darstellt, sollte sie auch im zahnmedizinischen Bereich mehr Beachtung finden. Zwar sind es nur wenige Arzneimittelgruppen aus dieser Liste, die zahnärztlich häufiger verordnet werden, diese spielen aber besonders im Hinblick auf die NSAR eine durchaus relevante Rolle im Praxisalltag. Der unüberlegte Einsatz von Ibuprofen und anderen NSAR kann bei älteren Patienten zahlreiche unerwünschte Arzneimittelreaktionen hervorrufen, die in seltenen Fällen auch lebensbedrohlich sein können. Generell sollte jeder Arzneimitteleinsatz bei Senioren gut überlegt sein, da durch die Veränderungen körperlicher Funktionen (verminderte Resorption, reduzierter Metabolismus, verzögerte Elimination) und umfangreiche Komedikationen Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen deutlich häufiger und intensiver auftreten können. „ ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.

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