GESELLSCHAFT | 63 Abb. 1: Rudolf Glass – Hä ftlings-Personal-Karte im KZ Buchenwald (undatiert, nach 1938) Foto: Arolsen Archives Wohnung in Braunschweig-Querum abgemeldet, das heißt, er war fortan wohnungslos. In Buchenwald wurde er auf der Zahnstation eingesetzt Glass kam bis zum Ende des „Dritten Reiches“ nicht wieder frei. Vielmehr wurde er am 13. September 1938 von Bremen aus in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar überstellt. Dort erhielt er die Häftlingsnummer 2.788. In Buchenwald wurde er unter anderem als Schreiber der Zahnstation (1939–1941) und späterhin als zahnärztlicher Gehilfe (1941–1945) abgestellt – wohl aufgrund seiner handwerklichen Fähigkeiten als Stuckateur beziehungsweise aufgrund möglicher Vorerfahrungen im Bereich der Zahnheilkunde [Arolsen Archives R. Glass, 1890; Hackett, 2010]. Er überlebte das Konzentrationslager und kam mit dem Ende des Krieges frei. Seine Tätigkeit in der Zahnstation des KZ Buchenwald machte ihn in der Nachkriegszeit zumindest unter den Fachhistorikern bekannt, denn er fungierte nun als Zeitzeuge und gab den Alliierten detaillierte Informationen über die Verhältnisse auf besagter Zahnstation [Hackett, 2010; Riaud, 2015]. So führte er 1945 zu den KZ-Zahnbehandlern und zur Versorgung der Inhaftierten im KZ Buchenwald aus: „Eine geordnete zahnärztliche Versorgung der Häftlinge bestand bis Mitte 1939 nicht. Instrumente und Medikamente dafür fehlten. Das ärztliche und Pflegepersonal, dem jede zahnärztliche Kenntnis fehlte, behandelte die Häftlinge nach Gutdünken. In der Regel wurde jeder schmerzende Zahn gezogen, soweit ihn der betreffende SS-Angehörige überhaupt fand. Es kam sehr oft vor, daß gesunde Zähne gezogen wurden. Kranke Zähne hätten bei geeigneter Behandlung meist erhalten werden können. […] Da dem SS-Personal jede fachliche Fertigkeit fehlte, wurden die meisten Zähne nicht gezogen, sondern abgebrochen. Der Zahnrest blieb im Kiefer, und die Pfuscharbeit wurde erst später entfernt. Im Juni 1939 wurde dann eine komplette Zahnstation für Häftlinge im Block 7 des Lagers eingerichtet, zwar völlig modern, aber es fehlte an fachlich geschultem Personal. Der erste SS-Zahnarzt war der SS-Oberscharführer Coldewey. Er hatte praktisch überhaupt noch nicht gearbeitet und machte demnach seine ersten zahnärztlichen Gehversuche auf Kosten der Häftlingspatienten. Zu seiner Unfähigkeit kam noch seine sadistische Veranlagung. Jeder Behandlung ging ein Exerzieren mit den Häftlingspatienten voraus. Es wurden öfter Ohrfeigen und Fußtritte als zahnärztliche Behandlung verabfolgt. Dieser Mann liebte auch das Extrahieren ohne Injektion. Den Häftlingspatienten sagte er vorher, daß es nicht weh täte. Fast keiner seiner Extraktionsversuche gelang ihm, so daß später Komplikationen eintraten und größere Operationen notwendig waren [...]“ [Hackett, 2010]. Er wurde Zeuge dilettantischer, sadistischer Behandlungen Glass nannte in seinen Ausführungen mehrere Zahnärzte, von denen ein Fachvertreter hier kurz näher vorgestellt werden soll: Georg Coldewey (1910–1994). Coldewey, zuletzt Sturmbannführer der Waffen-SS, trat im KZ Buchenwald tatsächlich durch besonders brutale Aktionen und fachlich dilettantisch ausgeführte Behandlungszm114 Nr. 03, 01.02.2024, (165)
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