Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 03

ZAHNÄRZTLICHE MITTEILUNGEN | WWW.ZM-ONLINE.DE EU-Medizinprodukteverordnung Eine neue Studie zeigt, wie massiv die „Medical Device Regulation“ (MDR) auch die Zahnmedizin belastet. SEITE 18 Die Kunst des Zuhörens Wie Sie das Patientengespräch lenken können, um in kurzer Zeit die wirklich relevanten Informationen zu erhalten. SEITE 56 PRISCUS 2.0 Wirkstoffe aus der Medikationsliste, die für die zahnärztliche Verordnungspraxis eine besondere Bedeutung haben. SEITE 14 AUSGABE 03 | 2024 zm 01.02.2024, Nr. 03 KINDERZAHNARZTPRAXEN „Können wir noch bleiben?“

Liebe Zahnärztinnen und Zahnärzte, eins ist klar: Vorteile bei zahneins müssen Sie nicht mit der Lupe suchen. Wenn Sie auch bei eins anfangen wollen, bewerben Sie sich auf karriere.zahneins.com. Wir freuen uns auf Sie! Wir sind mit 2.400 Mitarbeitenden an 80 Standorten Deutschlands führendes Praxis-Netzwerk. Was unsere Zahnärztinnen und Zahnärzte überzeugt hat, bei zahneins in einer Partnerpraxis anzufangen? Attraktive Perspektiven, hochinteressante Weiterbildungs-angebote – und das Hand in Hand mit ausreichend Zeit für Freunde und Familie. Denn: Bei zahneins sind Sie nicht irgendeine Nummer, sondern die Nummer eins! Dr. Moritz Waldmann, Standort Frankfurt „DurchKommunikationstrainings und dem Mentoringprogrammhabe ich bei Dentaloft in Frankfurt die Möglichkeit mich auch neben meiner zahnärztlichen Expertise zuentwickeln und weiterzubilden.“ MDDr. Tiffany Cantz, Standort München „Mit zahneins als starken Partner kann ich mich auf meine Patienten konzentrieren und sehe den Weg zur zahnärztlichen Leitung als echteAlternative zur Selbstständigkeit.“ Monsi Ciko, Standort Ulm „Schon in meiner Assistenzzeit habe ich eine eigene Assistenz: zahneins! Hierwird Zusammenarbeit durch meinen Mentor undAustausch mit anderenwirklich gelebt.“ Jennifer Weickgenannt, Standort Wiesbaden „zahneins hat mich mit einer betriebswirtschaftlichen Ausbildung, Führungstrainings und Einblicken in dieverschiedensten Partnerpraxenauf das nächste Level gebracht.“ Prof. Dr. Gerd Volland M.Sc., Standort Heilsbronn „Zusammen eins! Als Experte für Laserpräventionsorientierte Zahnmedizin schätze ichdenAustauschim zahneins Netzwerk und die Möglichkeit mich auf meine zahnärztliche Tätigkeit konzentrieren zu können.“ FRAGEN? RUFEN SIE UNS AN! 0160 93110701 Zahnärztlich geführt.

EDITORIAL | 3 Blick auf das Positive Dann stellen wir die überarbeitete PRISCUS-Liste vor. Nach über zehn Jahren war eine Neufassung nötig. Die Medikamentenliste enthält jetzt 177 WirkstoffeundWirkstoffklassen, die bei älteren Menschen zu Problemen führen können (Stichwort Wechselwirkungen). Daneben berichten wir in dieser Ausgabe von einem Hilfseinsatz in Gambia. Drei deutsche Zahnärzte waren vier Wochen im kleinsten afrikanischen Land unterwegs. Dabei im Gepäck waren 450 Kilo Hilfsgüter. Nicht weniger interessant sind kürzlich gefundene Belege dafür, dass die Zahnmedizin der Wikinger – in unserer Vorstellung eher rustikale Gesellen – schon erstaunlich fortschrittlich war. Füllungen waren keine Seltenheit. Auch sonst gibt es einige neue Erkenntnisse über das Volk aus dem hohen Norden zu entdecken. Lassen Sie sich nicht die Laune verderben und viel Spaß bei der Lektüre Sascha Rudat Chefredakteur Deutschland im Januar 2024: Bauern legen mit ihren Traktoren den Verkehr lahm, die Lokführer-Gewerkschaft GDL ruft zum wiederholten Mal zum Streik auf und ein aufgedecktes Treffen von Rechtsextremen und Nazis treibt Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger auf die Straße, um für die Wahrung der Demokratie zu demonstrieren. Vom weltweiten Geschehen braucht man gar nicht erst anzufangen. Wir leben in unruhigen Zeiten und es steht zu befürchten, dass dies erst der Anfang in diesem Jahr ist. Wenn man wollte, könnte man den Blick nur auf Negatives und Konfliktbeladenes lenken – auch im zahnärztlichen Bereich. Das hebt die Laune aber nicht und verstellt vielleicht auch den Blick auf die vielen schönen Seiten des Berufs. Dazu gehört sicher auch die Behandlung von Kindern – wobei die kleinen Patienten auch ganz schön herausfordernd und anspruchsvoll sein können. Aber wenn man sich darauf einlässt, kann ihre Behandlung sehr erfüllend sein. Aber wer sich auf Kinder spezialisiert, hat einiges zu beachten. Eine moderne Kinderzahnarztpraxis geht auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der jungen Patienten ein, denn nicht jedes Kind ist gleich. Doch wenn es gut läuft, wollen die Kinder gar nicht mehr aus der Praxis weg. Dann heißt es schon mal „Können wir nicht noch bleiben?“. Wir stellen in unserer Titelgeschichte ausführlich vor, was es bei der Planung einer Kinderzahnarztpraxis zu beachten gibt. Gewisse Dinge zu berücksichtigen gibt es auch bei der Verwendung des Begriff Kinderzahnarztpraxis oder Kinderzahnärztin/Kinderzahnarzt. Wie so häufig kommt es auf Details an, wie ein Medizinrechtler erklärt. Wirhoffen, mit unserer Titelgeschichte einige Anregungen geben zu können. Außerdem setzen wir in dieser Ausgabe unsere Fortbildung „Lösungen für klinische Herausforderungen“ fort. In der vergangenen Ausgabe hatten wir zwei Beiträge aus der klassischen Zahnerhaltung und der Parodontologie. In dieser Ausgabe beschäftigen wir uns mit den Wegen der modernen Weisheitszahnentfernung. Dabei geben wir eine klinisch orientierte Übersicht über die verschiedenen Techniken mit Blick auf die Indikationsstellung. Der zweite Beitrag befasst sich mit den Möglichkeiten der intraoralen Reparatur von Verblendkeramikfrakturen. Anhand von zwei Fallbeispielen zeigen wir effiziente Möglichkeiten der Behandlung auf. Außerdem befassen wir uns in dieser Ausgabe mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG), genauer gesagt, mit der neu geschaffenen Möglichkeit, dass Kranken- und Pflegekassen die Daten ihrer Versicherten auswerten und diese bei Verdacht auf bestimmte Erkrankungen kontaktieren können. Experten – auch die KZBV und die BZÄK – warnen vor Missbrauch und Fehleinschätzungen. Foto: Lopata/axentis

4 | INHALT 20 Die Zähne der Wikinger Berüchtigt sind sie wegen ihrer barbarischen Plünderungen, doch jetzt zeigt eine Studie, dass die Zahnheilkunde erstaunlich fortschrittlich war. 48 Möglichkeiten der intraoralen Reparatur von Verblendkeramikfrakturen Teil 2 der Fortbildung „Lösungen für klinische Herausforderungen“ MEINUNG 3 Editorial 6 Leitartikel POLITIK 8 Zum Start in den Zahnarztpraxen Mehr als jede zweite Verordnung ist bereits ein E-Rezept 18 Umfrage zu den Folgen der EU-Medizinprodukteverordnung So massiv belastet die MDR auch die Zahnmedizin! 36 Fahrplan des Bundesgesundheitsministeriums Diese Gesetze bestimmen 2024 die Gesundheitspolitik 54 Erweiterte Befugnisse der Krankenkassen durch das GDNG Eine neue Form der Übergriffigkeit 68 Digitale Gesundheitsanwendungen Viel Potenzial, aber nix dahinter? ZAHNMEDIZIN 14 Arzneimittelinteraktionen bei älteren Patienten PRICUS 2.0 für Zahnmediziner 38 Fortbildung „Lösungen für klinische Herausforderungen“ Moderne Wege bei der Weisheitszahnentfernung 48 Fortbildung „Lösungen für klinische Herausforderungen“ Möglichkeiten der intraoralen Reparatur von Verblendkeramikfrakturen 66 Aus der Wissenschaft Führt eine Kariesprävention mit Fluoridlack bei Kleinkindern zu mehr Fluorose? TITELSTORY Kinderzahnarztpraxen 25 Interview mit der Architektin Nathalie Dziobek-Bepler „Bei Kindern geht es viel mehr ums Erleben“ 27 Interview mit Dr. Christine Kirchmann „Freundlich und gemütlich sollte es werden“ 28 Interview mit Dr. Susann Özel „Oft heißt es: ‚Ich will doch noch spielen!‘“ 30 Komplettumbau und Neubau Architektur mit Wow-Effekt! 32 Kein Kinderspiel Worauf man der Bezeichnung „Kinderzahnarztpraxis“ achten muss Inhalt zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (106)

INHALT | 5 76 Hilfseinsatz in Gambia Nach einer Alveolarfortsatzfraktur Fixierung des Oberkiefers durch einen Kupferdraht aus einem Stromkabel TITELSTORY 24 Kinderzahnarztpraxen Wie es architektonisch gelingt, die Praxis für Kinder zu einem Wohlfühlort zu machen. PRAXIS 10 Bundesgerichtshof zur GOZ Praxislabore dürfen angemessenen Gewinn erzielen 22 GOZ Rechtsprechung erleichtert Abschluss einer Vergütungsvereinbarung 56 Gelungene Patientenkommunikation Von der Kunst des Zuhörens 74 Novellierung der Strahlenschutzverordnung Aufzeichnungspflicht der Expositionsparameter entfällt GESELLSCHAFT 20 Studie der Universität Göteborg Die Zahnheilkunde der Wikinger war erstaunlich fortschrittlich 34 Wegen hohem Zucker- und Koffeingehalt Polen verbietet Energydrinks für Minderjährige 53 Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Der behandelnde Arzt darf als Erbe eingesetzt werden 62 Widerstandskämpfer und „Staatsfeinde“ im „Dritten Reich“ Rudolf Glass (1890–1966) – „Staatsfeind“ im „Dritten Reich“ und in der DDR 72 KI überzeugt bei Diagnosequalität und Empathie Passt ein guter Arzt bald in die Hosentasche? 76 Hilfseinsatz in Gambia „Nin ju maa lea kademe“ – Wo sind die Schmerzen? MARKT 82 Neuheiten RUBRIKEN 12 Nachrichten 59 Formular 60 Termine 75 Impressum 80 Bekanntmachungen 98 Zu guter Letzt zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (107)

Das Bundesgesundheitsministerium drückt bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen derzeit bekanntermaßen auf die Tube. Ziel soll es sein, im europäischen Vergleich aufzuholen und das deutsche Gesundheitswesen zukunftsfest zu machen. Start des Prozesses war im März 2023 mit der Vorlage der Digitalisierungsstrategie. Seit Sommer vergangenen Jahres laufen die Gesetzgebungsverfahren für das Digital-Gesetz (DigiG) und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG). Inkrafttreten sollen beide Gesetze im ersten Quartal 2024. Außerdem ist ein weiteres Gesetz zur künftigen Ausgestaltung der gematik als Digitalagentur geplant. Mit Volldampf in die digitale Zukunft also? Ja, aber viel zu machen, bedeutet noch lange nicht, es auch gut zu machen. Neben einigen Lichtblicken – wie zum Beispiel der stärkeren Integration der elektronischen Patientenakte (ePA) und des E-Rezepts in den Versorgungsalltag oder dem Fokus auf einer besseren Interoperabilität sowie auf besseren und mehr Gesundheitsdaten für die medizinische Forschung – gibt es viel Schatten. Zunächst einmal werden wie in anderen Bereichen auch die Leistungserbringer, also diejenigen, die tagtäglich mit den digitalen Anwendungen arbeiten müssen, in der Planung und Umsetzung möglichst weit außen vor gelassen. So hat bei der Entwicklung der Digitalisierungsstrategie keine wirkliche Beteiligung der Vertragszahnärzteschaft stattgefunden. Die KZBV hatte lediglich die Möglichkeit, an einem OnlineFragebogen teilzunehmen. Besonders negativ ist, dass das noch in der Digitalisierungsstrategie hervorgehobene Ziel der Nutzerorientierung im Gesetzgebungsverfahren zu kurz kommt, weil es an den entsprechenden regulatorischen Vorschriften mangelt. Gute Ansätze laufen damit insLeere. Anstatt den Fokus auf praxistaugliche Anwendungen, auf Erprobungen und Tests zu legen, werden die Praxen mit Sanktionen und allerlei Pflichten gedrängt, die Anwendungen zu nutzen. Statt Nutzen entstehen für die Praxen so vor allem mehr Bürokratie und Aufwendungen für die Information ihrer Patienten. Das Anliegen, den Patienten mit besseren Daten besser helfen zu können, wird ins Gegenteil verkehrt, wenn immer mehr Verwaltungsaufgaben auf die Praxen übertragen werden und das Vertrauensverhältnis zu den Patienten ins Wanken gerät, weil immer mehr Daten erhoben werden sollen. Ein gutes Beispiel für gut gemeinte, aber schlecht gemachte Politik ist auch der geplante Aufbau eines Forschungsdatenzentrums, um Gesundheitsdaten besser verknüpfen und nutzbar machen zu können. Das ist aus unserer Sicht ein Schritt in die richtige Richtung. Aber leider ist Vieles nicht geklärt. So gibt es keine eindeutigen regulatorischen Vorgaben, die eine Forschung aus kommerziellen Marktzwecken verlässlich ausschließen. Das muss nachgebessert werden, damit die Forschungsdaten ausschließlich für die Verbesserung der Versorgung genutzt werden. Auch die automatisierte Verarbeitung von Gesundheitsdaten durch Kranken- und Pflegekassen zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Versicherten ist kritisch zu sehen, weil die zugrundeliegenden Methoden unklar sind und Versicherte in zweierlei Hinsicht verunsichert werden könnten. Wir müssen leider festhalten, dass das allgemeine Misstrauen des BMG gegenüber der Selbstverwaltung in der Gesamtschau auch in den Digitalisierungsplänen zum Ausdruck kommt. Anstelle von Beteiligung stehen Bevormundung und – mit dem geplanten Umbau der gematik – der Ausschluss von der Planung der Prozesse. Man stellt sich immer wieder verwundert die Frage, warum die nicht zu knapp vorhandene digitale Kompetenz der Zahnärzteschaft seitens der Politik nicht schlau genutzt wird, um wirklich praxisnahe Prozesse zu etablieren, die sich gut anwenden lassen und den Patienten einen wirklichen Nutzen bringen. Stattdessen wird versucht, Prozesse top-down durchzusetzen. Dabei bleibt leider viel innovatives Potenzial auf der Strecke, das wir für eine wirklich nachhaltige digitale Zukunftsfähigkeit dringend brauchen. Dr. Karl-Georg Pochhammer Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung Lesen Sie mehr zum Thema E-Rezept auf Seite 8. Gut machen, nicht nur viel Foto: Jan Knoff 6 | LEITARTIKEL

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zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (110) 8 | POLITIK ZUM START IN DEN ZAHNARZTPRAXEN Mehr als jede zweite Verordnung ist bereits ein E-Rezept Wie läuft es mit dem E-Rezept, das seit dem 1. Januar 2024 verpflichtend ist? Verschreibungspflichtige Medikamente müssen seitdem weitestgehend elektronisch verordnet werden. Die Zahnarztpraxen waren insgesamt gut vorbereitet – es gab aber auch Startschwierigkeiten. In den ersten drei Januarwochen wurden über 350.000 E-Rezepte in Zahnarztpraxen ausgestellt. Die Zahlen zeigen, dass die Zahnärzte die Umstellung erfolgreich gestemmt haben. Mehr als jede zweite Verordnung ist bereits ein E-Rezept. Auch die Gesamtzahlen entwickeln sich rasant. Insgesamt wurden in den ersten drei Wochen rund 25 Millionen E-Rezepte ausgestellt, 41 Millionen wurden insgesamt eingelöst (Stand 22.01.2024). Laut gematik wird das Gros der E-Rezepte mit der Gesundheitskarte (eGK) eingelöst, gefolgt vom Ausdruck und App. Der sprunghafte Anstieg der Zahlen hat zu mehr Rückfragen geführt. Einige Praxisverwaltungssystemhersteller und einzelne Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZV) berichten von einem erhöhten Aufkommen in den Hotlines in den ersten Januartagen, weil Zahnarztpraxen Fragen zum Handling der Software, zum Umfang des E-Rezepts oder zur Umstellung der Praxisabläufe hatten. In der Gesamtschau ist der Umstieg auf das E-Rezept im vertragszahnärztlichen Bereich aber mit wenigen Ausnahmen ohne größere Behinderungen angelaufen. Wichtig ist, dass Zahnarztpraxen bei Freitextverordnungen die Hinweise beachten, die die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) gemeinsam mit den Apothekern erstellt hat: www.kzbv.de/erezept#faq_freitext oder über den QR. Die Technik muss stabiler werden Es gab aber auch technische Störungen zum Start. Betroffen waren zum einen die sektoralen Identity Provider (IDP) der Kassen, die die Versichertenidentitäten verwalten, was Auswirkungen auf die Nutzung der E-Rezept-App hatte. Zum anderen haben Probleme bei mehreren Internet-Providern dazu geführt, dass Apotheken kurzzeitig keine E-Rezepte vom Fachdienst abrufen konnten. Die Störungen führen allen Beteiligten erneut vor Augen, dass die technische Leistung aller beteiligen Systeme und Dienste stabiler werden muss – und nicht nur die Fachdienste betrachtet werden dürfen, die in der Tat bislang störungsfrei laufen. Auch an Stellen, an denen das E-Rezept technisch läuft, hakt es noch, etwa beim Thema Berufsbezeichnung. Fehlt diese, darf die Apotheke sie nicht selbst im Freitext ergänzen. Stattdessen muss ein neues E-Rezept mit der Angabe der Berufsbezeichnung angefordert werden. Zahnarztpraxen sollten deshalb darauf achten, eine sinnvolle Berufsbezeichnung einzutragen. Probleme gibt es hier und da auch bei der Korrektur von E-Rezepten. Hier hilft das Dokument „E-Rezepte korrigieren: So funktioniert es“: https://www.gematik.de/ media/gematik/Medien/ E-Rezept/Dokumente/gematik_eRezepte_korrigieren.pdf oder über den QR. Um die Versorgung der Patienten mit ihren Medikamenten reibungslos zu gestalten, müssen Zahnarztpraxen zudem dafür Sorge tragen, dass das E-Rezept signiert ist, bevor der Patient in der Apotheke steht und seine eGK steckt. E-Rezepte sollten daher direkt und am besten mit der Komfortsignatur signiert werden. Auf dem Weg zur Verordnungsroutine Schließlich müssen die Ausnahmen für das E-Rezept beachtet werden. Die Pflicht zur Nutzung bezieht sich aktuell auf Arzneimittel, die verschreibungspflichtig sind und zulasten der GKV verordnet werden. Apothekenpflichtige Arzneimittel, die der Patient selbst bezahlen muss, können digital oder als Papierrezept ausgestellt werden. Möglich ist das E-Rezept zum Beispiel für blaue und grüne Rezepte sowie für OTC-Präparate. Bei technischen Störungen, Defekten der Soft- und Hardware oder Hausbesuchen muss das rosa Papierrezept genutzt werden. Weiterhin ausschließlich auf Papier dürfen unter anderem Monofluoridpräparate, Heil- und Hilfsmittel sowie Sprechstundenbedarf verordnet werden. Der Umfang des E-Rezepts wird in den nächsten Jahren Schritt für Schritt erweitert. Weitere Informationen finden Zahnarztpraxen unter www.kzbv.de/erezept oder über den QR. Christian Pfeifer, Abteilung Telematik der KZBV In der Apotheke werden die E-Rezepte in erster Linie mit der eGK eingelöst. Foto: Drobot Dean - adobe.stock.com

Mehr erfahren ® 1Durchschnittlicher jährlicher Abverkauf in Packungen von elmex® gelée 38g in deutschen Apotheken (IQVIA Eigenanalyse, Juli 2018 bis Aug 2021) vs. Anzahl der in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 6 und 17 Jahren (Statista 2020). *Bitte „Individualprophylaxe nach § 22 SGB V“ auf Kassenrezept notieren. Bisher profitierennur ca.10 % der Kinder von elmex® gelée1 – Sie können das ändern 1x WÖCHENTLICH Sie können das ändern WÖCHENTLICH Bei Ausstellung einer Verschreibung bis zum 18. Lebensjahr zu 100% erstattungsfähig* 1x Bei Ausstellung einer Verschreibung bis zum 18. Lebensjahr zu 100 % elmex® gelée 1,25 % Dentalgel. Zusammensetzung: 100 g elmex® gelée enthalten: Aminfluoride Dectaflur 0,287 g, Olaflur 3,032 g, Natriumfluorid 2,210 g (Fluoridgehalt 1,25 %), gereinigtes Wasser, Propylenglycol, Hyetellose, Saccharin, Apfel-Aroma, Pfefferminz-Aroma, Krauseminzöl, Menthon-Aroma. Anwendungsgebiete: Zur Kariesprophylaxe; therapeutische Anwendung zur Unterstützung der Behandlung der Initialkaries und zur Behandlung überempfindlicher Zahnhälse. Gegenanzeigen: Nicht anwenden bei Überempfindlichkeit gegen einen der Inhaltsstoffe, Abschilferungen der Mundschleimhaut, fehlender Kontrolle über den Schluckreflex, bei Kindern unter 3 Jahren und bei Knochen- und/oder Zahnfluorose. Nebenwirkungen: sehr selten: Exfoliation der Mundschleimhaut, Gingivitis, Stomatitis, Rötung, Brennen oder Pruritus im Mund, Gefühllosigkeit, Geschmacksstörungen, Mundtrockenheit, Schwellung, Ödem, oberflächliche Erosion an der Mundschleimhaut (Ulkus, Blasen), Übelkeit oder Erbrechen, Überempfindlichkeitsreaktionen. Dieses Arzneimittel enthält Aromen mit Allergenen. Bei entsprechend sensibilisierten Patienten können durch Pfefferminzaroma und Krauseminzöl Überempfindlichkeitsreaktionen (einschließlich Atemnot) ausgelöst werden. Nicht über 25 °C lagern. Packungsgrößen: 25 g Dentalgel (apothekenpflichtig); 38 g Dentalgel (verschreibungspflichtig); 215 g Klinikpackung (verschreibungspflichtig). CP GABA GmbH, 20097 Hamburg. Stand: April 2023.

zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (112) 10 | PRAXIS BUNDESGERICHTSHOF ZUR GOZ Praxislabore dürfen angemessenen Gewinn erzielen Werner Blau, Manuela Weber Im vergangenen Sommer hatte der Bundesgerichtshof die Inhaberinnen und Inhaber zahnärztlicher Praxislabore in ihrer Tätigkeit gestärkt und die Erzielung eines kalkulatorischen Gewinns bestätigt. Eine juristische Bewertung. Der Hersteller eines CAD/CAM-Systems zur Herstellung von Zahnersatz hatte damit geworben, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte bei der Abrechnung von in ihrem Praxislabor hergestelltem Zahnersatz nach § 9 Abs. 1 GOZ einen Gewinn erzielen könnten. Gegen diese Werbung klagte die Wettbewerbszentrale mit der Begründung, sie sei irreführend, denn nach § 9 Abs. 1 GOZ dürfte der Zahnarzt nur „die tatsächlich entstandenen angemessenen Kosten für zahntechnische Leistungen als Auslagen“ berechnen, die Verwendung der Begriffe„Kosten“ und „Auslagen“ zeige aber, dass hier nicht noch ein Gewinnaufschlag vorgenommen werden könne. Würde man § 9 Abs. 1 GOZ so eng auslegen, hätte dies wohl das weitgehende Ende der Praxislabore bedeutet, obwohl deren Zulässigkeit vom Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich anerkannt worden und die Herstellung von Zahnersatz Teil der zahnärztlichen Berufsausbildung ist. Dürften Zahnärzte mit einem Praxislabor nur Verluste erzielen, aber keine Gewinne, so könnten sie Praxislabore angesichts der damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken kaum weiter betreiben. Außerdem wäre es praktisch äußerst schwierig, den Zahnersatz aus dem Praxislabor über das Jahr hinweg gegenüber den Patienten genau so abzurechnen, dass zwar kein Gewinn, aber auch kein substanzieller Verlust entsteht. Das Landgericht Darmstadt und das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatten die Klage abgewiesen, der Bundesgerichtshof (BGH) beschloss, diesen wirtschaftlich bedeutsamen Fall zu entscheiden, obwohl ursprünglich die Revision zum Bundesgerichtshof gar nicht zugelassen worden war. Der BGH teilte Generalverdacht gegenüber Zahnärzten nicht Der BGH betonte, es sei kein Grund ersichtlich, dass zwar ein externes Dentallabor bei der Herstellung von Zahnersatz einen Gewinn erzielen dürfe, ein Zahnarzt mit seinem Praxislabor aber nicht. Die Begriffe „Kosten“ und „Auslagen“ stünden dem nicht entgegen. Der Begriff „Auslagen“ diene nur zur Abgrenzung zu dem Begriff „Gebühren“. Entgegen der Ansicht der Wettbewerbszentrale sei eine Gewinnmarge des Praxislabors auch nicht deshalb unzulässig, weil der Zahnarzt dadurch verführt werde, seine Therapieentscheidung statt nach zahnmedizinischen Gesichtspunkten danach auszurichten, einen möglichst hohen Gewinn aus seinem Praxislabor zu erzielen. Einen solchen Generalverdacht gegenüber den Zahnärzten teilte der BGH nicht; § 9 Abs. 1 GOZ verfolge auch nicht den Zweck, einem solchen Missbrauch des Praxislabors vorzubeugen. Zudem dürfe der Zahnarzt nach § 1 Abs. 2 GOZ sowieso nur Leistungen abrechnen, die für eine zahnmedizinisch notwendige Versorgung erforderlich seien. Hätte der BGH anders entschieden, hätte er vielen Patienten die Vorteile genommen, die in den Fällen der Herstellung von Zahnersatz im zahnärztlichen Praxislabor entstehen, wie etwa die Möglichkeit, die Zahl der Zahnarzttermine zu verringern und auf Provisorien zu verzichten. Daneben verbleiben weiterhin genügend Fälle, in denen künftig externe Dentallabore anstelle von Praxislaboren tätig werden, gerade auch unter Anwendung der CAD/CAM-Systeme. „ Foto: mmphoto - stock.adobe.com Dr. Werner Blau Rechtsanwalt Rechtsanwälte Arnecke Sibeth Dabelstein (ASD-Law) Foto: ASD-Law Manuela Weber Rechtsanwältin Rechtsanwälte Arnecke Sibeth Dabelstein (ASD-Law) Foto: SICHTSTARK fotodesign

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12 | NACHRICHTEN BMG SETZT SANKTIONEN FÜR PRAXEN AUS Keine Kürzung der TI-Pauschale bei vorherigen ePA-Versionen Praxen, die nicht die aktuelle Software-Version der elektronischen Patientenakte (ePA) vorhalten, drohen vorerst keine Sanktionen. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit. Das BMG schreibt in seiner Festlegung zur Finanzierung der Telematikinfrastruktur (TI) vor, dass Arzt- und Zahnarztpraxen die jeweils aktuelle Version bestimmter Anwendungen unterstützen und dies gegenüber ihrer KV und KZV nachweisen müssen. Sonst wird ihnen die monatliche Pauschale, die sie zur Erstattung ihrer TI-Kosten erhalten, gekürzt. Wie die KBV jetzt mit Verweis auf eine Mitteilung des BMG meldet, wird diese Regelung für die ePA aber bis zur Bereitstellung der ePA-Version 3.0 ausgesetzt. Zahnärzten, Ärzten und Psychotherapeuten werde die TI-Pauschale nicht gekürzt, wenn sie keine Zwischenversion nachweisen. Für alle anderen Anwendungen wie die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und das elektronische Rezept werde jedoch weiterhin der Nachweis einer aktuellen Version verlangt. ck Bei der Version 3.0 handelt es sich um eine funktionell erweiterte ePA, die alle gesetzlich Versicherten automatisch erhalten sollen, wenn sie nicht aktiv widersprechen (Opt-out-Verfahren). Die ePA soll dann von den Zahnärzten, Ärzten, Psychotherapeuten und weiteren Gesundheitsberufen im Behandlungskontext mit befüllt werden. AKTUELLES URTEIL DES BUNDESSOZIALGERICHTS Ärzte und Zahnärzte nun definitiv für Übermittlung der AU-Bescheinigungen zuständig Martin Wortmann Für die Übermittlung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse sind seit Anfang 2021 nun definitiv die Vertragsärzte und -zahnärzte zuständig. Das hat in oberster Instanz nun auch das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschieden. Danach können weder technische Störungen noch die früher fehlende Telematikinfrastruktur den Versicherten vorgehalten werden. Eine verspätete Übermittlung führt nicht mehr zum Verlust des Krankengeldanspruchs. Mit der Klage war damit ein freiwillig bei einer Betriebskrankenkasse versicherter Arbeitnehmer aus dem Raum Köln erfolgreich. Er war vom 31. März bis zum 21. Juli 2021 krank. Nach dem Ende der Lohnfortzahlung zahlte seine Kasse unter Hinweis auf die fehlenden AU-Bescheinigungen kein Krankengeld. Erst nachträglich reichte der Mann die Bescheinigungen nach. Wie nun das BSG entschied, muss die Krankenkasse das Krankengeld zahlen. Seit Anfang 2021 seien die Vertragsärzte, -zahnärzte und Krankenhäuser verpflichtet, die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkasse zu übermitteln. Die Obliegenheit Versicherter zur Meldung einer vertragsärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit sei damit entfallen. Weil die für die Übermittlung notwendige Telematikinfrastruktur noch nicht lief, hatten Ärzte, Zahnärzte und Krankenkassen die Einführung der eAU allerdings mehrfach verschoben. Doch dies könne die seit dem 1. Januar 2021 geltende gesetzliche Regelung nicht aushebeln und den Versicherten nicht zugerechnet werden, urteilte das BSG. Gleiches würde nach dem Kasseler Urteil heute auch für technische Störungen gelten: Auch wenn Zahnärzte einem Patienten eine Bescheinigung in Papierform ausgehändigt haben, müssen danach die Versicherten diese nicht bei ihrer Krankenkasse einreichen. Solche „Einzelfallumstände“ seien „rechtlich nicht mehr von Belang“. Entsprechend hatten in der Vorinstanz das Landessozialgericht Essen und in einem anderen Fall auch das Landessozialgericht Potsdam entschieden. Martin Wortmann Bundessozialgericht, Az.: B 3 KR 23/22 R, Urteil vom 30. November 2023 [ohne mündliche Verhandlung, schriftlich veröffentlicht am 15. Januar 2024] NEWS zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (114) Erst ab der Bereitstellung der ePA-Version 3.0, die für Januar 2025 geplant ist, müssen Zahnärzte, Ärzte und Psychotherapeuten diese nachweisen, damit ihre TI-Pauschale nicht gekürzt wird. Foto: agenturfotografin_stock.adobe.com Foto: Thorsten Malinowski mpix-foto - adobe.stock.de

Der staatlich anerkannte und akkreditierte erste deutsche Studiengang Orale Implantologie und Parodontologie mit dem Abschluss Master of Science erfüllt die internationalen Bologna-Kriterien. Wissenschaftsbasiert und praxisorientiert 7vermittelt er profunde Kenntnisse und Fähigkeiten nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Herzlichen Glückwunsch! Master of Science Orale Implantologie und Parodontologie Die Deutsche Gesellschaft für Implantologie und die Steinbeis-Hochschule gratulieren den Kolleginnen und Kollegen, die den postgradualen Masterstudiengang Orale Implantologie und Parodontologie mit der Abschlussprüfung erfolgreich beendet haben. ZÄ Shirin Meredgylyjova · 960314 Frankfurt Dr. Kata Korsos · A-4982 Obernberg /Inn Dr. Adam Mark Nemeth · A-4982 Obernberg /Inn Dr. Mathias Gabriel · 86356 Neusäß Dr. Roland Schuster · A-4020 Linz Dr. Dominic Schwarz · 71384 Weinstadt ZA Stefan Talaga · 44649 Herne Dr. Philip Cochardt · 82211 Herrsching Dr. Maximilian Dieckmann · 59302 Oelde ZA Marten Ebbers · 30559 Hannover Dr. Nils Ecker · 23564 Lübeck Dr. Christian Empt · 50389 Wesseling Dr. Alexander Froß · 79331 Teningen Dr. Gustav Gerstenkamp · 34346 Hann. Münden Dr. Miriam Hallhuber · 94496 Ortenburg Dr. Thomas Hauser · 41516 Grevenbroich ZA Mohammad Khalass · 27568 Bremerhaven Dr. Jana Kuenz · 78239 Rielasingen-Worblingen Dr. Lukas Mätzler · A-6850 Dornbirn ZA Marc Mertens · 29320 Hermannsburg Dr. Andreas Nagy · 40470 Düsseldorf ZA Muharem Salihovic · 68219 Mannheim Dr. Arno Schlapschy · A-8750 Judenburg Am 25. November 2023 erhielten in Berlin ihre Urkunde: Steinbeis-Transfer-Institut Management of Dental and Oral Medicine der Steinbeis-Hochschule Berlin | Direktor: Prof. Dr. Günter Dhom Bismarckstr. 27 | 67059 Ludwigshafen | Tel.: +49 621 681244-57 Fax: +49 621 681244-66 | info@dgi-master.de | www.dgi-master.de

14 | ZAHNMEDIZIN ARZNEIMITTELINTERAKTIONEN BEI ÄLTEREN PATIENTEN PRISCUS 2.0 für Zahnmediziner Frank Halling Die PRISCUS-Liste wurde zur Erhöhung der Medikationssicherheit insbesondere bei älteren Patienten entwickelt und enthält aktuell 177 Wirkstoffe und Wirkstoffklassen, die als „potenziell inadäquate Medikation im Alter“ (PIM) eingestuft werden. Die Liste ist in erster Linie als Orientierungshilfe für Hausärzte und Allgemeinmediziner gedacht, enthält jedoch auch einige Wirkstoffgruppen, die zahnärztlich verordnet werden. Untersuchungen zeigen, dass die Zahl der Menschen in Deutschland, die 65 Jahre und älter sind, von 2021 bis 2060 von 22 Prozent auf 30 Prozent steigen wird. Dabei wird sich der Bevölkerungsanteil der Personen, die 80 Jahre und älter sind, von sieben Prozent auf elf Prozent erhöhen [Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2021]. Bei älteren Menschen ist bei zahlreichen Medikamenten das Risiko für Nebenwirkungen erhöht. Dies ist oft auf die verminderte hepatische Metabolisierung und/oder die verzögerte renale Elimination zurückzuführen. In der Folge kann sich die Wirkdauer verlängern und die Intensität der Arzneimittelwirkung steigen, so dass der Körper insgesamt empfindlicher auf die Wirkstoffe reagiert [Delafuente, 2008; Maher et al., 2008]. Da bei vielen älteren Menschen eine Multimorbidität besteht, das heißt, es liegen drei und mehr behandlungsbedürftige Krankheiten vor, nimmt diese Patientengruppe häufig auch mehrere Medikamente gleichzeitig ein. Ab fünf Medikamenten spricht man von Polypharmazie, die ein besonderes medizinisches Risiko darstellt [Moßhammer et al., 2016; Masnoon et al., 2017]. Daten der AOK aus dem Jahr 2020 zeigen, dass 42,4 Prozent aller Menschen in Deutschland, die 65 Jahre und älter sind, regelmäßig fünf oder mehr Medikamente einnehmen. Knapp sieben Prozent nehmen sogar zehn und mehr Wirkstoffe dauerhaft ein [Thürmann et al., 2022]. Werden auch noch jene Medikamente berücksichtigt, die sich Patientinnen und Patienten ohne ärztliche Verordnung selbst in der Apotheke kaufen (OTC-Präparate), dann steigen diese Zahlen nochmals an. Zwischen der Anzahl der eingenommenen Arzneimittel und dem Auftreten arzneimittelbezogener Probleme besteht eine linear positive Assoziation [Viktil et al., 2007; Nobili et al., 2009]. Die Zahl der therapeutischen Konflikte und der möglichen Wechselwirkungen nimmt deutlich zu [Markun et al., 2014; Ude und Ude, 2013]. Vor diesem Hintergrund kann eine Liste „potenziell ungünstiger Medikamente (PIM)“ in der täglichen Praxis hilfreich sein. Um Wirkstoffe, die für ältere Menschen möglicherweise ungeeignet sind und vermieden werden sollten, klarer zu definieren, wurde 2010 für den deutschen Arzneimittelmarkt die erste PRISCUSListe (priscus: lateinisch für alt, ehrwürdig) mit PIM für ältere Menschen veröffentlicht [Holt et al. 2010]. Die Liste fand mittlerweile Eingang in medizinische Lehrbücher und diverse Verordnungssoftware. Nach mehr als zehn Jahren bedurfte die erste PRISCUS-Liste dringend einer Aktualisierung. Die Arbeitsgruppe um Prof. Petra Thürmann (Witten/Herdecke) hat nun Ende 2022 die lang erwartete Überarbeitung präsentiert: PRISCUS 2.0 [Mann et al., 2023]. PRISCUS 2.0 stuft nun 177 Wirkstoffe/Wirkstoffklassen als PIM ein, wo- „Aspirin-burn“ im Bereich des Unterkiefervestibulums durch direkte Einwirkung von Acetylsalicylsäure auf die Mundschleimhaut Foto: Frank Halling zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (116)

ZAHNMEDIZIN | 15 bei insgesamt 133 Wirkstoffe neu aufgenommen wurden. Damit ist PRISCUS 2.0 doppelt so umfangreich wie die vorherige Liste aus dem Jahr 2010. Die Einstufung als PIM sollte ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung über eine Medikamentenverordnung sein. Jedoch kann die Verordnung eines PIM im Einzelfall trotzdem sinnvoll und notwendig sein [Mühlbauer, 2023]. Immerhin 12,4 Prozent aller Medikamente, die ältere Menschen in Deutschland erhalten, sind PIM. Nahezu jede zweite ältere Person (65 Jahre und älter) hat im Jahr 2021 mindestens eine PIMVerordnung erhalten (49,5 Prozent), wobei der Anteil unter den weiblichen GKV-Versicherten mit 52,3 Prozent höher war als unter den männlichen mit 45,6 Prozent [Thürmann et al., 2022]. Obwohl die Anzahl und Anteile verschiedener PIM aus der PRISCUS-2.0Liste für ältere (> 65 Jahre) GKV-Versicherte im Arzneimittelkompass 2022 nach Facharztgruppen differenziert werden, sind die Zahnmediziner lediglich unter der Rubrik „Sonstige“ subsumiert [Thürmann et al., 2022]. In einer US-amerikanischen Studie, der die mit PRISCUS vergleichbare Beers-Liste zugrunde lag, wurde festgestellt, dass 56,9 Prozent der älteren Patienten zumindest ein problematisches Medikament beim Zahnarzt erhalten hatten, bei 28,3 Prozent waren es sogar zwei und mehr PIM [Skaar und O'Connor, 2017]. Im Folgenden soll speziell auf die Wirkstoffe/Wirkstoffgruppen aus der PRISCUS-2.0-Liste eingegangen werden, die für die zahnärztliche Verordnungspraxis eine besondere Bedeutung haben. Nichtsteroidale Antiphlogistika und Antirheumatika (NSAR) Diese Wirkstoffgruppe wird in der neuen PRISCUS-Liste sehr differenziert behandelt. Generell begünstigen bei älteren Patienten neben Antihypertensiva (36 Prozent) vor allem nichtsteroidale Analgetika/Antiphlogistika (17,8 Prozent) häufig unerwünschte Arzneimittelwirkungen [Onder et al., 2012]. Ketoprofen, Dexketoprofen oder Ibuprofen sind bei einer Einmalgabe unproblematisch [Gaskell et al., 2017]. Jedoch sollte bei älteren Patienten 3 x 400 mg Ibuprofen /Tag ohne Magenschutz maximal für eine Woche verordnet werden, bei längerer Einnahme ist zusätzlich ein Protonenpumpenhemmer (PPI) erforderlich [Mann et al., 2023]. Das Risiko einer schwerwiegenden NSAR-induzierten gastrointestinalen Komplikation steigt mit zunehmendem Alter, der Schwere und der Art der Grunderkrankung, etwa Morbus Crohn, bei gleichzeitiger Einnahme von Kortikoiden oder Antikoagulanzien, bei kardiovaskulärer Erkrankung sowie bei Ulkus oder gastrointestinaler Blutung in der Vorgeschichte [Wolfe et al., 1999; Hernandez-Diaz, 2000]. Besondere Vorsicht gilt in diesem Zusammenhang bei der Verordnung von Diclofenac und selektiven Cyclooxygenase-2-Inhibitoren (Coxiben) [Heimes und Kämmerer, 2023]. Nach bisherigem Kenntnisstand führen NSAR zu einer drei- bis fünffachen Erhöhung des Risikos für Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt [Henry und McGettigan, 2003]. Aus diesem Grund ist die Verschreibung von NSAR bei Personen mit aktiver Gastritis oder einer Ulkusanamnese kontraindiziert. Erschwerend kommt einer Studie zufolge hinzu, dass die meisten Patienten vor Auftreten einer schweren NSARassoziierten gastrointestinalen Komplikation keinerlei Symptome aufweisen [Willen, 2023]. In der PRISCUS-Liste wird explizit auf die gastrointestinalen Nebenwirkungen der NSAR wie Ulzerationen und Blutungen hingewiesen. Diese Ulzerationen können bei unsachgemäßer Anwendung auch im oralen Bereich auftreten (Abbildung). zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (117) PD Dr. Dr. Frank Halling Gesundheitszentrum Fulda, Praxis für MKG-Chirurgie/ Plast. Operationen, Gerloser Weg 23a, 36039 Fulda und Klinik und Poliklinik für Mund-, Kieferund plastische Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg Baldingerstraße, 35043 Marburg Foto: privat Zahnärztliche Verordnungshäufigkeit von Ibuprofen in Deutschland (2012–2021) 0,6 0,6 0,7 0,7 0,7 0,8 0,8 0,8 0,9 0,9 0,9 DDD (Ibu)/Tag/1000 GKV Mitglieder 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Jahr 2018 2019 2020 2021 0,65 0,7 0,75 0,8 0,85 0,9 0,95 Grafik: Verordnungshäufigkeit (in Tagesdosen/1.000 GKV-Versicherte), [mod. nach Albrecht et al., 2024]

zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (118) 16 | ZAHNMEDIZIN Thematisiert wird in der neuen PRISCUS-Liste auch das kardiovaskuläre Risikoprofil der NSAR, das in den vergangenen Jahren eine breite Diskussion über deren Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgelöst hat. Klar ist, dass NSAR und Coxiben im Vergleich zu Placebo mit einem erhöhten Risiko kardiovaskulärer Komplikationen wie Herzinfarkt, Apoplex oder periphere arterielle Verschlüsse assoziiert sind [Moore et al., 2007; Trelle et al., 2011]. Eine 2017 publizierte Metaanalyse bestätigte diese Ergebnisse und fand sogar bei nur kurzzeitigem Gebrauch von NSAR Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Myokardinfarkte [Bally et al., 2017]. Letztlich bleibt der Einsatz von NSAR bei kardiovaskulären Vorerkrankungen, die im Fall der Hypertonie und der ischämischen Herzkrankheiten zu den zehn häufigsten hausärztlichen Diagnosen zählen [KBV, 2017], immer problematisch. Registerdaten aus Dänemark mit Angaben von 28.947 Menschen in einem durchschnittlichen Alter von 70 Jahren zeigten, dass unter lbuprofen oder Diclofenac das Risiko für einen plötzlichen Herztod um 31 beziehungsweise 50 Prozent anstieg [Sondergaard et al., 2017]. Besondere Vorsicht ist bei der Verschreibung von Diclofenac und Coxiben wie Etoricoxib geboten: Die Gabe ist bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinsuffizient NYHA II–IV, koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen) deshalb ebenfalls kontraindiziert [Heimes und Kämmerer, 2023]. In einer Übersichtsarbeit von Worm und Team [Worm et al., 2014] zu ADACLuftrettungseinsätzen aufgrund einer anaphylaktischen Reaktion zeigte sich, dass Schmerzmittel an erster Stelle bei den medikamenteninduzierten Auslösern zu finden sind. Hierbei belegen die NSAR Diclofenac, Acetylsalicylsäure und Ibuprofen die ersten drei Plätze! Vor diesem Hintergrund erscheint es besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass Ibuprofen seit Langem das mit Abstand „beliebteste“ NSAR im zahnmedizinischen Bereich in Deutschland ist. Eine aktuelle Analyse zeigt, dass die Verordnungshäufigkeiten seit 2012 praktisch kontinuierlich zugenommen haben, so dass mittlerweile fast 80 Prozent aller zahnärztlichen Analgetikaverordnungen für den Wirkstoff Ibuprofen ausgestellt werden [Albrecht et al., 2024] (Grafik). Codein Die „schwächer“ wirksamen Opioide, zu denen auch Codein gehört, werden hepatisch metabolisiert. Codein ist eine sogenannte „Prodrug“, es entfaltet seine analgetische Wirkung erst durch die Umwandlung in den aktiven Metaboliten Morphin, der zu etwa zehn Prozent durch Demethylierung unter Beteiligung des Enzyms CYP2D6 in der Leber entsteht. Insgesamt ist das Potenzial für Arzneimittelinteraktionen bei allen schwachen Opioiden besonders in der Polypharmakotherapie als erheblich anzusehen [Doan et al., 2013]. Ältere Menschen zeigen generell eine höhere Empfindlichkeit gegenüber denEffekten der Opioide. Codein wird in der Zahnmedizin am häufigsten als Inhaltsstoff in einem Kombinationspräparat (Dolomo TN®) verordnet. Das Präparat ist in der Zahnmedizin sehr beliebt, aber pharmakologisch kritisch zu sehen [Daubländer und Höcherl, 2021]. Neben der Obstipation durch die Verminderung der gastrointestinalen Peristaltik müssen auch Benommenheit und Schwindel als relevante Nebenwirkungen genannt werden, denn es besteht immer die Gefahr von Stürzen und den daraus resultierenden Einschränkungen der Mobilität bis hin zur Pflegebedürftigkeit [Kojda, 2014]. Bei älteren Patienten kann sich die starke Wirkung der Opioide auf das zentrale Nervensystem durch eine verringerte Atemfrequenz bis hin zur Atemdepression äußern [Kojda, 2016]. Insbesondere bei betagten Patienten (> 85 Jahre) mit Atemwegserkrankungen ist das Risiko einer Ateminsuffizienz durch Codein deutlich erhöht [Tchoe et al., 2020]. Codein und andere Opioide sollten daher bei Störungen der Atemfunktion und chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen wie COPD nicht verordnet werden. Fluorchinolone (Breitbandantibiotika) Obwohl Fluorchinolone (wie Moxifloxacin, Ciprofloxacin) im zahnmedizinischen Bereich eher selten eingesetzt werden [Sobottka et al., 2012; Slots, 2022], ist besonders bei älteren Patienten mit Komorbiditäten Vorsicht geboten. Regelhaft ist eine geringe Verlängerung des QTc-Intervalls im EKG nachweisbar. Wenn gewisse weitere Risikofaktoren wie Elektrolytstörungen, kardiale Vorerkrankungen oder eine Therapie mit Antiarrhythmika hinzukommen, können schwerwiegende Rhythmusstörungen („Torsades de pointes“) auftreten. Außerdem sind die Wirkungen der Chinolone auf Strukturen des Bindegewebes zu berücksichtigen: Chinolone können zu Tendopathien (Tendinitis, Rupturen) führen, die sich offenbar auch noch Wochen und Monate nach einer Chinolontherapie – zum Beispiel in Form einer Achillessehnenruptur – klinisch manifestieren können [Stahlmann, 2017]. Fazit Obwohl die PRISCUS-2.0-Liste im Wesentlichen eine Orientierung für Hausärzte und Allgemeinmediziner darstellt, sollte sie auch im zahnmedizinischen Bereich mehr Beachtung finden. Zwar sind es nur wenige Arzneimittelgruppen aus dieser Liste, die zahnärztlich häufiger verordnet werden, diese spielen aber besonders im Hinblick auf die NSAR eine durchaus relevante Rolle im Praxisalltag. Der unüberlegte Einsatz von Ibuprofen und anderen NSAR kann bei älteren Patienten zahlreiche unerwünschte Arzneimittelreaktionen hervorrufen, die in seltenen Fällen auch lebensbedrohlich sein können. Generell sollte jeder Arzneimitteleinsatz bei Senioren gut überlegt sein, da durch die Veränderungen körperlicher Funktionen (verminderte Resorption, reduzierter Metabolismus, verzögerte Elimination) und umfangreiche Komedikationen Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen deutlich häufiger und intensiver auftreten können. „ ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden.

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18 | POLITIK UMFRAGE ZU DEN FOLGEN DER EU-MEDIZINPRODUKTEVERORDNUNG So massiv belastet die MDR auch die Zahnmedizin! Explodierende Kosten, fehlende Medizinprodukte, schwindende Innovationskraft: Wie massiv die europäische Medizinprodukteverordnung deutsche Hersteller belastet, zeigt eine neue Studie. Besonders betroffen: die Zahnmedizin. Eine aktuelle Befragung der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), der MedicalMountains GmbH und des Industrieverbands Spectaris von fast 400 Unternehmen zu den Auswirkungen der „Medical Device Regulation“ (MDR) kommt zu einem fatalen Ergebnis: Die Verordnung führe dazu, dass bereits heute schon viele Medizinprodukte vom Markt genommen werden – und bis 2027 zahlreiche weitere zu verschwinden drohen. In knapp 20 Prozent der Fälle sind die eingestellten Produkte den Herstellern zufolge alternativlos beziehungsweise nicht mehr in gleichwertiger Qualität auf dem EU-Markt verfügbar. Weitere 45 Prozent sind nicht vollständig kompensierbar. Unterm Strich sind danach nur 36 Prozent der Produkte, die aufgrund der MDR auf dem EU-Markt eingestellt werden, vollständig durch Wettbewerber-Produkte ersetzbar und stehen der Patientenversorgung weiterhin zur Verfügung. Für Anwender und Patienten außerhalb der EU bleiben viele dieser Medizinprodukte allerdings weiterhin verfügbar. So vertreiben 58 Prozent der Unternehmen, die ihre Produkte in der EU einstellen, diese weiterhin in Ländern außerhalb der EU – vornehmlich in den USA. Jedes fünfte Produkt ist ohne Alternative Generell stelle die MDR nahezu alle befragten Unternehmen vor große Umsetzungsprobleme: Drei Viertel der Betriebe sehen demzufolge negative Folgen für die Innovationstätigkeit, mehr als jede zweite Firma nehme einzelne Produkte oder komplette Produktionen und Sortimente vom Markt – tangiert seien davon alle 21 abgefragten Anwendungsgebiete. Die Produktgruppe mit den meisten eingestellten Artikeln sind laut Befragung chirurgische Instrumente wie Scheren, Nadelhalter und Pinzetten. Hier geben 70 Prozent der Hersteller an, mindestens einzelne Produkte vom EUMarkt zu nehmen. In der Zahnmedizin sind es 67 Prozent (Abbildung), darunter vor allem orthodontische Brackets und Drahtbögen. In Pneumologie und Schlafmedizin, Anästhesie und Intensivmedizin stoppen 63 Prozent der Betriebe die Produktion, zumeist von Beatmungsstativen, Notfallbeatmungsgeräten oder auch Schlafdiagnosegeräten. Bei der Thoraxchirurgie sind es 60 Prozent, in Traumatologie und Unfallchirurgie 58 Prozent und in der Radiologie 58 Prozent der Firmen. Zwar wurden Ende 2022 die Übergangsfristen für Bestandsprodukte bis 2027/2028 verlängert, dies ändere jedoch nichts an den strukturellen Problemen, heißt es in der Studie. Im Gegenteil: „Es manifestiert sich sogar die Einschätzung aus der ersten gemeinsamen Erhebung im Frühjahr 2022, wonach die MDR nach wie vor nicht praxistauglich ist“, bilanzieren die Autoren. Ob chirurgische Instrumente, Herzkatheter für Neugeborene, Notfallbeatmungsgeräte oder eben auch Brackets: Zwei Jahre nach Einführung der europäischen „Medical Device Regulation“ (MDR) ziehen deutsche Hersteller eine ernüchternde Bilanz. Foto: Michael Tieck_stock.adobe.com zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (120) 15 PROZENT DER BETRIEBE STELLEN PRODUKTE AUS DER ZAHNMEDIZIN HER Die für die Studie befragten Unternehmen sind in unterschiedlichen Produktbereichen und Anwendungsgebieten tätig, vielfach auch in mehreren Anwendungsgebieten oder Produktgruppen. Der Herstelleranteil von chirurgischen Instrumenten beträgt fast 30 Prozent. Knapp 26 Prozent sind im der Bereich „Orthopädie, Rehabilitation, Rheumatologie“ tätig. Weitere Anwendungsgebiete und Produktgruppen sind: „Neurologie und Neurochirurgie“ (17 Prozent), Zahnmedizin, Nephrologie und Urologie (jeweils 15 Prozent), Traumatologie und Unfallchirurgie (13 Prozent). „Kreislaufsystem und Kardiologie“, Gefäßchirurgie, Thoraxchirurgie, Medizinische Software/Apps und Ophthalmologie (jeweils zwischen 11 und 13 Prozent).

POLITIK | 19 Allein die Dokumentationskosten steigen um 111 Prozent Fast alle Betriebe (97 Prozent) haben nämlich nach wie vor Probleme bei der Umsetzung – insbesondere aufgrund der hohen Kosten- und Bürokratiebelastungen. Unter den Herausforderungen steht laut Umfrage mit 67 Prozent der Aufwand zur Anpassung der technischen Dokumentationen ganz oben. Hier seien die Kosten im Durchschnitt um 111 Prozent gestiegen. Die für den Marktzugang erforderliche Zusammenarbeit mit „Benannten Stellen“ stoße ebenfalls auf erhebliche Hindernisse. Die Unternehmen verzeichnen an dieser Stelle laut Befragung durchschnittliche Kostensteigerungen von 124 Prozent. Die Hersteller gaben an, dass in 91 Prozent der Fälle die kompletten Zertifizierungskosten den Ausschlag dafür geben, Medizinprodukte vom EU-Markt zu nehmen. Gerade Nischenprodukte mit kleinem Absatzmarkt könnten somit nicht mehr wirtschaftlich vermarktet werden. Auch die Dauer der Verfahren verlängere sich für viele Betriebe drastisch: Bei 37 Prozent der Unternehmen sei die Verfahrensdauer sogar 3-mal so lang wie vor der MDR, wodurch sich die Bereitstellung der Produkte massiv verzögere. Deutschland und die EU drohen abgehängt zu werden „Die Politik muss die Wettbewerbs- und Innovationskraft der mittelständisch geprägten Medizintechnik-Branche erhalten und stärker in den Blick nehmen – das wäre auch wichtig für die zuverlässige Gesundheitsversorgung in der EU“, fordert der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks angesichts dieser Trends. Die Entwicklung berge zugleich Zündstoff für weitere gesellschaftliche Debatten – auch, weil die EU damit nicht mehr unbestrittene Nummer eins bei Neuzulassungen sei: Mehr als jedes fünfte Unternehmen weicht der Studie zufolge mit medizintechnischen Innovationen auf andere Märkte aus – meistens indieUSA. Gerade die Situation der vielen kleinen Unternehmen sei besorgniserregend, weil ihnen in der Regel weniger finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stünden. Dercks: „Unter dem Dauerdruck droht die mittelständisch geprägte Branche von der Basis her zu erodieren.“ Somit fordern die Initiatoren: „Die Zahlen müssen Brüssel nun zum schnellen Handeln bringen und kurzfristig zu pragmatischen, grundlegenden Schritten führen.“ Aussitzen sei keine Option mehr. ck Aktuelle Bilanz der Hersteller von Medizinprodukten zu den Auswirkungen der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR): Ungelöste Probleme schwächen die Gesundheits- und Innovationsstandorte Deutschland und EU. Ergebnisse einer bundesweiten Unternehmensumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), der Clusterinitiative MedicalMountains und des Deutschen Industrieverbandes SPECTARIS, Dezember 2023 zm114 Nr. 03, 01.02.2024, (121) „DIE MDR HAT ZU EINEM STERBEN VON MEDIZINPRODUKTEN GEFÜHRT!“ Die Ergebnisse der DIHK-Studie zu den Auswirkungen der MDR bestätigen leider das, wovor wir seit Jahren auf europäischer und nationaler Ebene warnen. Der EU-Gesetzgeber ist mit der MDR von 2017 über das Ziel hinaus geschossen. Die MDR hat nicht mehr Produktsicherheit gebracht, sondern zu einem bedenklichen „Sterben“ von Medizinprodukten geführt. Die EU-Kommission muss schnellstmöglich den Vorschlag für eine grundlegende Korrektur der MDR vorlegen. Erneute Verschiebungen bringen nichts. Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer ANTEIL DER EINZELNEN ANWENDUNGSGEBIETE/PRODUKTGRUPPEN Mind. teilweise Einstellung des Vertriebs Chirurgische Instrumente 70% Zahnmedizin 67% Pneumologie und Schlafmedizin, Anästhesie, lntensivmedizin 63% Thoraxchirurgie 60% Traumatologie, Unfallchirurgie 58% Radiologie 58% Neurologie und Neurochirurgie 56% Geburtshilfe und Gynäkologie, einschließlich Reproduktionsmedizin 53% Orthopädie, Rehabilitation, Rheumatologie 52% Gastroenterologie und Hepatologie 52% Gefäßchirurgie 51% Kreislaufsystem, Kardiologie 50% Kinderheilkunde (Kinderchirurgie, Kinderkardiologie, Pädiatrie, u.w.) 47% Nephrologie und Urologie 47% Viszeralchirurgie 46% Ophthalmologie 40% Medizinische Software/Apps 30% Investitionsgüter (z.B. Betten, Sterilisatoren, Geräte) 30% Endokrinologie und Diabetes 25% Medizinische Hilfsmittel 25% Digitale Gesundheits- oder Pflegeanwendung (DIGA/DIPA) 11% Über alle 21 abgefragten Anwendungsgebiete und Produktgruppen hinweg erfolgt bei 53 Prozent aller Sortimente eine mindestens teilweise Einstellung des Vertriebs der Produkte in der EU. Die Zahnmedizin steht an zweiter Stelle.

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